„Beim Belf ist’s billiger“, sollen sich Kunden nebenan beim „Schlesinger“ beschwert haben. In einer Zeit, in der zwei jüdische Buchhandlungen am Rabensteig nahe dem Seitenstetten-Tempel miteinander konkurriert haben. Schlesinger blieb der bekanntere Namen, vor allem weil es ihm gelang, später auch in Israel einen Verlag zu etablieren.
„Von Belf wusste niemand, dass er je existierte“, stellt Monika Schreiber, Leiterin der Bibliothek, fest. Ihrer beharrlichen Recherche und mehreren glücklichen Zufällen verdankt sich die Wiederentdeckung dieser einstmals höchst erfolgreichen Buchhändler- und Verlegerdynastie, deren Anfänge bis in das Jahr 1868 zurückreichen. Da bekam der von Lemberg nach Wien gewanderte Joel Moses Belf die Konzession für eine hebräische Druckerei, ein Recht, das Juden vorher verwehrt gewesen war. Er begann mit dem Druck religiöser Bücher, die immer das Kerngeschäft der Belfs blieben, und gründete eine Verlags- und Sortimentsbuchhandlung.
„Wie viele jüdische Buchhandlungen hatten sie auch einen Ritualienhandel und versorgten die jüdische Gemeinde mit religiöser Literatur und Gebrauchsgegenständen, wie die hier zu sehenden Jom-Kippur-Kappen. Dazu passend sind Postkarten des Gründers, wo er mit Vertragshandwerkern in Russland korrespondierte, die auf Kommission verschiedene Stickereiarbeiten etwa für Toramäntel ausgeführt haben, hier ist der von Joel Moses Belf selbst gespendete ausgestellt.“
Einige rare Beispiele von Siddurim (Gebetbüchern), Haggadot, jüdischen Kalendern finden sich in den Vitrinen, Leihgaben aus dem Jüdischen Museum, der Sammlung Muzicant und der Sammlung Krupnick. Entdeckt wurden sie allerdings erst auf Grund eines einzigen Zufallsfundes.


Vergessene Zeitdokumente aktuell in der Judaistik-Bibliothek im Alten AKH zu sehen:
Warenkatalog für die löbliche Cultusgemeinden. (o.) Joel Moses und Babette Belf mit ihren Kindern, Wien um 1890 (m.); Tora-Mantel gestiftet von Jakob Schwartzbart zum Andenken an seine verstorbene Frau Gitel um 1913 (u.).

Spurensuche. „Ein dreibändiges Werk mit dem Händlerstempel Belf wurde in der Bibliothek der Judaistik gefunden, aber zusätzlich mit Stempel des Orientalischen Instituts versehen. Als die Judaistik 1966 begründet wurde, erhielt Professor Schubert von der Orientalistik einen Bücherbestand, die Hebraica. Darunter befanden sich einige geraubte Bände, weil die Orientalistik einen Nazi-Professor gehabt hatte, Dekan Viktor Christian, der von der Gestapo beschlagnahmte Bücher für sein Institut requirierte. Ein Großteil davon ist schon in den späten 1940er-Jahren der IKG zurückgegeben worden, einiges ist übrig geblieben, und darunter ist eben dieses Buch aufgetaucht. Durch den Stempel Belf, den man nicht kannte, und den Stempel der Orientalistik konnte es dem großen Konvolut des Raubguts zugeordnet werden. Man hat daraufhin die Erben der Familie und die damals noch lebende jüngste Tochter, Gertrude Eisinger- Belf, in den USA ausfindig gemacht und restituiert“, erzählt Monika Schreiber von den Anfängen ihrer Nachforschungen, durch welche sie auch die in Wien noch vorhandenen Exemplare aufspüren konnte. Nachdem sie den „Fall“ bei einer Konferenz in den USA präsentierte, wurde sie von amerikanischen Familienangehörigen kontaktiert. Vor allem Adam Krupnick, Ehemann von Paige Shilling, der Urenkelin von Josef Belf, dem Geschäftsinhaber der zweiten Generation, zeigte sich besonders interessiert.
„Schlaflos“ als Vater eines Säuglings stieß Adam im Internet auf das Projekt, woraus sich eine informelle Forschungskooperation mit Schreiber entwickelte, wie Krupnick in seinem Vortrag anlässlich der Ausstellungseröffnung berichtete. Bereits seit einigen Jahren sammelt er weltweit Bücher der Verlagsbuchhandlung, die daheim auf einem „Belf Shelf“ Platz finden. Mit Ehefrau und zwei kleinen Kindern nach Wien angereist, referierte er auch über die Geschichte der kinderreichen Generationen.
„Belf versorgte die jüdische
Gemeinde mit religiöser Literatur
und Gebrauchsgegenständen.“
Zeitenwende. Ein Foto zeigt die Familie bei einem Urlaub in Pörtschach 1934, im gleichen Jahr gab es bereits einen Sprengstoffanschlag auf das Geschäft. Nach Josef Belfs Entlassung aus Dachau, wo er nach Folterungen inhaftiert gewesen war, gelang es der gesamten Familie größtenteils in die USA zu emigrieren.
„Neben dem religiösen Angebot fanden die politischen Entwicklungen der Zeit, der Antisemitismus, auch im Repertoire der Firma Belf ihren Niederschlag. Sie begannen säkulare zionistische Literatur und Ratgeber für die Auswanderung nach Palästina zu verlegen. Zum Beispiel das Vokabelheft für den hebräischen Grundwortschatz. Auch ein Schulbuch für den jüdischen Religionsunterricht an österreichischen Schulen mit einem Stempel der Volksschule Börsegasse ist da zu sehen“, weist Monika Schreiber auf die Exponate hin. Friedrich Fred Belf hat dann in der dritten Generation das Verlagssortiment für säkulare, auch nicht jüdische Themen geöffnet.
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BELF. Geschichte einer Wiener jüdischen Buchhandlung
bis 31. Oktober 2025
Fachbibliothek Zeitgeschichte,
Spitalgasse 2, Hof 1, 1090 Wien.
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Die ursprüngliche Idee, gemeinsam mit Kuratorin Felicitas Heimann-Jelinek vom Jüdischen Museum entstanden und entwickelt, sah die Ausstellung an dem historischen Ort am Rabensteig vor, wo Dorly Singer bis vor wenigen Jahren einen jüdischen Bookshop führte, ursprünglich wohl nichts von ihren Vorgängern ahnend. Zwei sensationelle alte Fotos zeigen die gesamte Ladenfront und das geöffnete Schaufenster der Buchhandlung Belf vor dem Ersten Weltkrieg. Diese Kopien aus dem Bestand eines französischen Archivs wurden Dorly Singer von einem Touristen übermittelt, der ihr Geschäft besucht hatte.
„Wir wollten es noch dort machen, aber es hat irgendwie nicht gepasst“ – und so kam es eben nun zum Schauplatz in „ihrer“ Fachbibliothek des Instituts im Alten AKH, resümiert Monika Schreiber. Eine symbolträchtige Installation wird auch nach dem Ende der Ausstellung dauerhaft zu bestaunen sein: Ein vor dem Korridorfenster angebrachter Spiegel eröffnet den Blick auf die nachbarlichen „Shoah-Namensmauern“.























