„Offenbachs Bezüge zum Judentum findet man in seiner Musik“

Regisseur Nikolaus Habjan setzt das spritzige Tempo und den charmant-bissigen Witz des Komponisten in La Périchole kongenial um.

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Regisseur Nikolaus Habjan liebt die Kompositionen Offenbachs, © Reinhard Engel die er für alles andere als oberflächlich und nur unterhaltsam hält.

Während der Jahreswende 2022/2023 und danach brachten sowohl die Wiener Volksoper wie auch das Musiktheater an der Wien – beide unter neuer künstlerischer Leitung – Opern von Jacques Offenbach (1819–1880) zur Aufführung. Und das ganz ohne jeglichen Jahrestagszwang. „Da Lotte de Beer Orpheus in der Unterwelt geplant hatte, haben wir uns mit Stefan Herheim für La Périchole entschieden. Ich liebe diese Oper, sie ist eines der meistunterschätzten Werke Offenbachs“, schwärmt Nikolaus Habjan. Der der 35-jährige Grazer hat bereits mit 16 Jahren den Umgang mit Klappmaulpuppen erlernt, mit denen er bis heute arbeitet. Danach studierte er Musiktheaterregie in Wien. 2017 vertraute ihm Klaus Bachler als erste Opernregie Carl Maria von Webers Oberon an der Bayerischen Staatsoper München an. Seither arbeitet er sowohl im Opernbereich wie auch im Sprechtheater und wurde schon drei Mal mit dem Nestroy Preis ausgezeichnet.

„Es ist ärgerlich und auch grundlegend falsch, wenn Offenbachs Kompositionen als leicht, kitschig, nur unterhaltend oder sogar oberflächlich bezeichnet werden“, empört er sich. Und schwärmt weiter: „Nein, sie sind tiefschürfend und humorvoll. Für La Périchole komponierte er reiche und wunderschöne Liebeserklärungen.“

Hat Habjan beim Kantorensohn Offenbach musikalische Bezüge zum Judentum entdeckt? „Ja, eindeutig, sogar einen ganz starken: In La Périchole gibt es eine Hochzeitsszene, in der das Thema gar nicht lustig, sondern voll Aggression steckt. Ich war irritiert, denn das klingt bedrohlich – wie eine Beschwörung.“

„Für La Périchole komponierte er reiche
und wunderschöne Liebeserklärungen.“
Nikolaus Habjan

Das war untypisch für den Komponisten und ließ dem viel beschäftigten Opernregisseur keine Ruhe: Er fand heraus, dass Offenbachs Hochzeit eine unglaubliche Tortur gewesen war, hatte sich doch dessen zukünftiger Schwiegervater eine Reihe von Demütigungen für den schwer Verliebten ausgedacht: Dieser musste nicht nur seinen Übertritt zum Katholizismus notariell bestätigen, sondern auch seinen Verzicht auf die Mitgift– dafür musste Offenbachs Besitz vorher aufgeteilt werden. Mit einem VioloncelloKonzert bei Königin Victoria in London, das der Vater arrangiert hatte, musste der musizierende Bewerber beweisen, dass er seine Frau ernähren konnte. „Sehr zum Leidwesen seines Vaters musste Jacob/ Jacques Offenbach seinem Glauben abschwören“, erzählt Habjan. „Aber dafür findet man starke emotionale Melodien, die in der Klezmermusik ihren Ursprung haben. Ich fand Hinweise, dass mindestens eine Melodie aus den kantoralen Gesängen seines Vaters stammen.“*

Offenbach und der große Erfolg in Wien. „Wien war Jacques Offenbachs ‚zweites Paris‘“, formulierte es der Musikkritiker Julius Korngold 1930. „Hier stellte er seine Bühnenwerke jeweils kurz nach der Uraufführung auf Deutsch vor“, schreibt der Hamburger Historiker und Literaturwissenschafter Boris Kehrmann in seinem Essay Offenbach und Wien, und weiter: „Von hier aus wurden sie nach Mittel-, Ost- und Südeuropa verkauft. Oft ließ er die Klavierauszüge und Textbücher bereits während der Pariser Endproben an die Donau schicken, wo seine ständigen Mitarbeiter sie übersetzten und bearbeiteten.“

Der ausgewiesene Experte hat aufschlussreiche Originalbeiträge über Offenbachs Aktivitäten und großen Erfolge in Wien für das Programmheft zur Produktion von La Périchole am Musiktheater an der Wien erstellt. Nikolaus Habjan inszenierte die Opera buffa in drei Akten in der zweiten Fassung von 1874, angereichert mit Versen von Karl Kraus und Stefan Troßbach sowie eigenen aktuellen politischen Couplets und jener der Mitwirkenden Gerhard Ernst und Boris Eder – ganz in der Tradition Johann Nestroys. Sehr passend, denn im Carltheater, das von 1854 bis 1860 von Nestroy geleitet wurde, erklang hierzulande Offenbachs Musik 1856 zum ersten Mal. Ein Jahr später brachte bereits das Theater an der Wien zwei Werke auf Französisch heraus.

„Die Kapellmeister und künstlerischen Direktoren des Hauses an der Wienzeile, wie Richard Genée und Friedrich Zell, näherten Offenbachs Stücke dem Lokalmilieu an“, erklärt Dramaturg Kehrmann. „Sie wurden mit Balletteinlagen und Persiflagen erweitert, um sie dem Wiener Geschmack anzupassen und so ihre Zugkraft zu erhöhen.“ Genée und Zell wurden später zu den literarischen Vätern der Wiener Operette: Sie schrieben bald die Libretti für Franz von Suppè, Johann Strauss Sohn oder Carl Millöcker. Weniger bekannt ist, dass die Texte zu Die Fledermaus und Die lustige Witwe auch nach Komödien der OffenbachLibrettisten entstanden. Kehrmann zieht eine beeindruckende Bilanz, was die Präsenz Jacques Offenbachs in Wien betrifft: „26 der rund 140 Bühnenwerke des gebürtigen Kölners wurden am Theater an der Wien erst- oder gar uraufgeführt, einige Male dirigierte der Komponist sogar selbst.“ Seine drei Wiener Hauptbühnen (auch das 1863 abgebrannte Treumanntheater auf dem Franz-Josefs-Kai) produzierten zwischen 1856 und 1903 insgesamt 96 OffenbachPremieren.

* Siehe dazu auch Interview mit Dirigent Alexander Joel: Jacques Offenbach hätte sich bei diesem Orpheus amüsiert.

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