OH DE SCHANEL

Schmates (jiddisch für Textilien) sind das Geschäftsmodell der Brüder Alain und Gerard Wertheimer. Sie haben Chanel zu einer der exklusivsten und wertvollsten Marken in der Modewelt gemacht. Als 2018 erstmals die Geschäftszahlen von Chanel veröffentlicht wurden, betrug der Umsatz nahezu zehn Milliarden Euro und übertraf damit deutlich die Konkurrenten Gucci und Luis Vuitton. Heute erwirtschaftet das Unternehmen fast 20 Milliarden Euro.

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Pierre Wertheimer war ein ebenso kluger wie weitsichtiger Fachmann, und das nicht nur in der Welt des Parfüms © Pierre Wertheimer 1924, Pressefoto/Agence Rol

Die französischen Unternehmer Alain (76) und Gérard (73) Wertheimer, oft als „die stillsten Milliardäre der Modebranche“ bezeichnet, sind die alleinigen Besitzer der renommierten Modemarke Chanel. Neben ihrem Engagement in der Modewelt verfügen sie über Weinberge in Frankreich und den USA und züchten erfolgreiche Vollblut-Rennpferde. In der Schweiz gelten sie als die wohlhabendsten Bürger des Landes; im Jahr 2024 belegt ihr geschätztes Vermögen von rund 50 Milliarden USD Platz 40 auf der Forbes-Liste. Diskretion ist eine der obersten Maximen der Wertheimer-Brüder, die sowohl in Genf als auch in New York leben und nur selten in der Öffentlichkeit auftreten. Nach dem 7. Oktober 2023 verurteilten die Brüder aber öffentlich den Terrorangriff auf Israel und spendeten vier Millionen Dollar im Namen von Chanel.

Chanel ist eines der wenigen Modehäuser, das nicht Teil der beiden großen Luxusmode-Konglomerate LVMH und Kering ist. Das 1910 von der legendären Coco Chanel gegründete Unternehmen war und ist nicht auf ausländisches Kapital angewiesen. Seit drei Generationen wird Chanel erfolgreich von der Familie Wertheimer geführt. Während die eleganten Kleider und Kostüme in der Öffentlichkeit oft im Vordergrund stehen, sind die Hauptquellen des Einkommens aber tatsächlich Parfüms, Crèmes und Lippenstifte.

Die Erfolgsgeschichte begann mit Pierre Wertheimer, dem Großvater von Alain und Gérard. Im Jahr 1922 stellte Théophile Bader, der Gründer des bekannten Pariser Luxuskaufhauses Galerie Lafayette, Pierre Wertheimer während eines Pferderennens Coco Chanel vor. Pierre war ein angesehener Züchter und hatte kurz zuvor von seinem Vater das Unternehmen Bourjois, eines der größten und erfolgreichsten Kosmetik- und ParfümUnternehmen Frankreichs, geerbt. Coco Chanel hatte im Jahr zuvor den berühmten Parfümeur Ernest Beaux beauftragt, ein Parfüm zu entwickeln, das sie in ihrer Boutique verkaufen wollte. Er kreierte das ikonisch gewordene Parfüm „Chanel No 5“, das Coco mit finanzieller Unterstützung von Pierre einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen wollte.

Gabrielle Bonheur Chasnel, besser bekannt als Coco Chanel, wurde 1883 geboren und entwickelte sich zu einer gefeierten Modedesignerin, der es gelang, die Frauen vom engen Korsett zu befreien. Durch ihre innovativen Kostüme aus weichem Jersey-Stoff schuf sie neue Bewegungsfreiheit für Frauen. Ein Meilenstein ihrer Karriere war die Kreation des revolutionären „kleinen Schwarzen“ im Jahr 1926, das auf eine bisher unerreichte Weise schlichte Eleganz verkörperte.

 

„Wir reden nie. Es geht um Coco Chanel.
Es geht um Karl. Es geht um jeden, der
20.000 Menschen, die bei Chanel arbeiten.
Es geht nicht um die Wertheimers.“

 

In einer geschäftlichen Vereinbarung schlossen Bader, Chanel und Wertheimer einen Deal: Pierre gründete „Parfums Chanel“, um die Produktion, das Marketing und den Vertrieb von Chanel No 5 zu finanzieren, was ihm 70 Prozent der Anteile sicherte. Galerie Lafayette übernahm den Verkauf des Parfüms, wofür Bader 20 Prozent der Anteile erhielt, während Coco ihren Namen Chanel für zehn Prozent der Anteile lizensierte.

Doch die Beziehung zwischen Coco und Pierre verschlechterte sich bald. Als die Verkaufszahlen in die Höhe schossen und Chanel No 5 zu Cocos größtem Erfolg wurde, begann sie, ihre Vereinbarung in Frage zu stellen. Sie fühlte sich von Pierre in ihren kreativen Talenten ausgenutzt und engagierte einen Anwalt, um die Bedingungen neu zu verhandeln. Trotz ihrer Bemühungen blieb Pierre Wertheimer jedoch Mehrheitseigentümer.

Im Jahr 1939, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, unternahm Coco Chanel einen weiteren Versuch, die Kontrolle über das Unternehmen zurückzugewinnen. Pierre Wertheimer und seine Familie mussten in die USA fliehen und setzten einen arischen Freund der Familie ein, um ihre Geschäfte während ihrer Abwesenheit zu leiten. In Paris begann Coco eine Liaison mit dem deutschen Geheimdienstoffizier Hans Günther von Dincklage. Sie denunzierte Wertheimer wegen der angeblich falschen „Arisierung“ von „Les Parfums Chanel“ bei den deutschen Behörden, in der Hoffnung, so die Kontrolle über die Firma zu erlangen. Doch auch dieses Unterfangen blieb erfolglos, denn Coco wusste nicht, dass Pierre bereits einen Stellvertreter bestellt hatte, gegen den der Rechtsanwalt machtlos war.

© Pierre Wertheimer 1924, Pressefoto/Agence Rol

Erfolgreiche Übernahme, Ausbau des Familienbetriebs. Nach dem Ende des Krieges wurde Coco Chanel aufgrund ihrer Liaison mit Dincklage selbst ins Exil gezwungen. Acht Jahre später, im Jahr 1953, kehrte sie aus der Schweiz nach Paris zurück. Angesichts ihrer erheblichen finanziellen Probleme wandte sie sich 1954 erneut, trotz des erbitterten Streits, an Pierre Wertheimer und bat um Unterstützung, um ihr Atelier wiederzueröffnen. Im Gegenzug erwarb Pierre Wertheimer neben den Rechten am Parfüm auch jene aller anderen Produkte von Chanel. Um seine Position weiter zu festigen, kaufte er später auch Baders 20-prozentigen Anteil an „Parfums Chanel“.

1965 verstarb Pierre, und sein Sohn Jacques übernahm die Führung von Chanel sowie anderer Geschäftsbereiche, darunter Pferdezucht und Immobilien. Nach dem Tod von Coco im Jahr 1971 erwarb Jacques deren verbleibende zehn Prozent und wurde damit Alleineigentümer von Chanel. Allerdings galt sein Interesse mehr den Pferden und der Rennbahn, was zu einem Rückgang der Geschäftszahlen und einem sinkenden Ruf von Chanel führte. Aus seiner kurzen Ehe mit Eliane, die nur fünf Jahre dauerte, gingen zwei Söhne hervor: Alain und Gérard.

Im Jahr 1974, im Alter von nur 25 und 23 Jahren, überzeugten die beiden Brüder den Vorstand, ihnen die Leitung von Chanel zu übertragen. Gemeinsam gelang es ihnen, das angeschlagene Modehaus wiederzubeleben – insbesondere, als Alain Wertheimer den Designer Karl Lagerfeld 1983 überreden konnte, die Rolle des künstlerischen Leiters zu übernehmen. In der Dokumentation Lagerfeld Confidential aus dem Jahr 2007 erinnerte sich Lagerfeld daran: „Als ich Chanel übernahm, war es eine schlafende Schönheit. Nicht einmal eine schöne. Sie schnarchte. Also sollte ich eine tote Frau wiederbeleben.“

Während seiner über 35-jährigen Tätigkeit für Chanel schaffte es Karl Lagerfeld, das Modehaus zu neuer Exklusivität zu führen. Nach seinem Tod im Jahr 2019 ernannte Alain Wertheimer Virginie Viard, Lagerfelds langjährige Assistentin, zur Kreativdirektorin. Seit Mitte Dezember 2024 hat Matthieu Blazy diese Position übernommen.

Nach dem Tod ihres Vaters Jacques im Jahr 1996 wurden Alain und Gérard Wertheimer offiziell die alleinigen Eigentümer von Chanel. Seither haben die Brüder die Verantwortlichkeiten klar aufgeteilt: Während Alain von den USA aus als Vorsitzender die Modeabteilung von Chanel leitet, führt Gérard die Uhrenabteilung von der Schweiz aus. Darüber hinaus kümmert sich Gérard um den Pferdebestand der Familie, die schätzungsweise fast 200 Pferde in ihren Gestüten in der Normandie sowie in Kalifornien und Kentucky hält. Auch in der Pferdezucht sind die Brüder äußerst erfolgreich; Wertheimer-Pferde haben den prestigeträchtigen Breeders’ Cup in den USA bereits viermal gewonnen.

Alain und Gérard Wertheimer bleiben wegen der spärlichen öffentlichen Informationen ein ziemliches Mysterium. Gérard erklärte einmal im New York Times Magazine: „Wir reden nie. Es geht um Coco Chanel. Es geht um Karl. Es geht um jeden, der 20.000 Menschen, die bei Chanel arbeiten. Es geht nicht um die Wertheimers.“ Wenn die Brüder an Mode-Events von Chanel teilnehmen, fahren sie selbst in einem unauffälligen Auto dorthin und sitzen in der dritten oder vierten Reihe. Sie sprechen nie mit der Presse und sind auch nicht bei Eröffnungen neuer Chanel-Boutiquen dabei. Wer das Modehaus einmal übernehmen wird, bleibt vorerst ungewiss. Beide Brüder sind verheiratet; Alain hat mit seiner Frau drei Kinder, während Gérard zwei hat.

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