Ohne

Das Filmarchiv Austria nahm die Restaurierung des Filmes Die Stadt ohne Juden von Hans Breslauer aus dem Jahr 1924 nach dem gleichnamigen Roman von Hugo Bettauer zum Anlass, in einer Ausstellung im Wiener Metrokino zu hinterfragen, welche Gesellschaftsgruppen heute aus dieser Stadt von so manchem sozusagen weggewünscht werden. Die Stadt ohne nennt sich die durchaus kontroversiell angelegte Schau, die den Untertitel Juden Muslime Flüchtlinge Ausländer trägt.

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Spielen wir Juden vertreiben. 1938 brachte die Dresdner Firma Günther & Co. das nationalsozialistische Brettspiel Juden raus! auf den Markt, das die Vertreibung der Juden spielerisch darstellen sollte.© Filmarchiv Austria: Yoram-Reshef; ÖNB
© Filmarchiv Austria: Yoram-Reshef; ÖNB

Die Frage ist eine inzwischen massiv diskutierte: Darf der Holocaust mit einem anderen Genozid oder aber Verfolgung allgemein verglichen werden? Und so stellte Barbara Staudinger, die gemeinsam mit Andreas Brunner und Hannes Sulzenbacher die beklemmende Ausstellung kuratierte, schon bei der Eröffnung der Schau Die Stadt ohne klar: Wenn man die Situation von Jüdinnen und Juden in den 1930er-Jahren mit jener von Muslimen und Musliminnen oder Ausländern heute vergleiche, dann tue man genau das – man vergleiche. Aber man setze nicht gleich. Zudem beleuchtet die Ausstellung nicht die Schoah an sich, sondern den Antisemitismus, der bereits vor der NS-Zeit herrschte.

Die Dokumente, welche die Ausstellungsmacher hier zusammengetragen haben, sprechen jedenfalls eine klare Sprache. Eine Gegenüberstellung von politischen Plakaten und Flugblättern aus der Zwischenkriegs- und der heutigen Zeit zeigen ähnliche Muster – damals wie heute wurde polarisiert, wurden die einen gegen die anderen aufgehetzt.

Einfache Lösung. „500.000 Arbeitslose. 400.000 Juden.
Ausweg sehr einfach! Wählt Nationalsozialisten.“ –
Wahlwerbung der NSDAP zur Wiener Landtags- und
Gemeinderatswahl 1932.
© Filmarchiv Austria: Yoram-Reshef; ÖNB

„Wiener! Wollt ihr den ins Rathaus tragen? Nein! Dann wählet deutschnational-antisemitisch!“ Dieses Sujet kreierte beispielweise die „Deutschnationale Bewegung“ 1919. Die Christlichsoziale Partei plakatierte 1920 den Slogan „Deutsch Christen – rettet Österreich!“ Und selbst die Sozialdemokraten bedienten sich antisemitischer Vorurteile: Auf einem Wahlplakat aus dem Jahr 1920 ruht auf einem Berg toter Menschen eine riesige blutbespritzte Krone des Kaiserreichs, und auf ihr sitzt unter anderem ein übergewichtiger Mann mit Zylinder, Zigarre – und Hakennase (wodurch sich Kapitalismuskritik und Antisemitismus vereinigen).

Antisemitische Abwertung. In den Jahrzehnten nach 1945 ging es zurückhaltender weiter. Doch 1970 warb die ÖVP mit einem Konterfei von Spitzenkandidat Josef Klaus. Der Slogan darunter: „Ein echter Österreicher.“ Im Wissen, dass sein Kontrahent von der SPÖ Bruno Kreisky war, ergibt sich eine antisemitische Abwertung des sozialdemokratischen Kandidaten.

Die Ausstellung beleuchtet nicht die Schoah an sich, sondern den Antisemitismus, der bereits vor der NS-Zeit herrschte.

In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde der Feind ein anderer. „Daham statt Islam“, reimte die FPÖ im Nationalratswahlkampf 2006. Zehn Jahre später war bei einer Demonstration der Freiheitlichen vor einer Flüchtlingsunterkunft auf einem Transparent zu lesen: „Je mehr Ausländer vom Geld der Wiener leben, umso ärmer werden die Wiener!“

Szenen aus Die Stadt ohne Juden.
Grundlage für eine Diskussion
zum Thema: Wen wünscht man
sich heute weg aus der Stadt?
© Filmarchiv Austria: Yoram-Reshef;
ÖNB

Hugo Bettauer konzipierte seinen Roman satirisch. In der Rückblende schnürt einem das Wissen um die Stadt Wien, die in der NS-Zeit nahezu „judenrein“ wurde, die Kehle zu. Staudinger, Sulzenbacher und Brunner erinnern in der Schau aber auch an das Container-Projekt Christoph Schlingensiefs aus dem Jahr 2000, das die „Ausländer raus“-Politik der FPÖ künstlerisch in Szene setzte und dabei für Debatten nicht nur im Feuilleton, sondern auch direkt vor dem Container vor der Oper sorgte.

„Judenrein“ versus „Ausländer raus“: Die Intention ist die nämliche, die Umsetzung in einem demokratischen Rechtsstaat, der Österreich heute ist, aber eben nicht möglich. Man könnte auch sagen: Die FPÖ (aber nicht nur) ist sich der Nichtumsetzbarkeit ihrer Forderung durchaus bewusst, schürt hier aber Ressentiments zwecks Stimmenmaximierung. Die Gesellschaft wird dadurch dennoch vergiftet.

Das Filmarchiv Austria liefert mit dieser Schau einen wichtigen Beitrag zum Republiksjubiläumsjahr (1918–2018). In Frage gestellt wird hier das Funktionieren des Ansatzes „aus der Geschichte lernen“. Auch das böte interessanten Diskussionsstoff.

Ausstellung: „Die Stadt ohne. Juden Muslime Flüchtlinge Ausländer“

bis 30. Dezember 2018

METRO Kinokulturhaus, Wien

filmarchiv.at/program/exhibition/die-stadt-ohne

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