Orbáns Thron wackelt noch nicht

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Weder der Verlust der Zweidrittelmehrheit im Parlament noch die erstarkten Lebenszeichen der Zivilgesellschaft gefährden den Putin-Freund in Budapest. Von Marta S. Halpert

Viktor Orbán kann sich in seinem Thron getrost zurücklehnen und entspannen. Vielleicht sieht es auf den ersten Blick nicht so aus, aber der wendige Schaukelpolitiker hat seine politische Agenda in den letzten Wochen im In- und Ausland relativ unfallfrei durchgebracht. Angesichts des jüngsten Verlustes der Zweidrittelmehrheit im ungarischen Parlament ist ihm höchstens eine Zacke aus der Krone gebrochen, aber mehr nicht. Denn der kluge Stratege hatte auch schon mit dieser Möglichkeit bei der schwach abgesicherten Mehrheit gerechnet: Kurz vor Weihnachten 2014 peitschte er in einer zweitägigen parlamentarischen Abstimmungsorgie drei Dutzend neue Gesetze und Gesetzesänderungen durch.

Sozial- und Bildungsabbau, exzessive Besteuerung, Amtsmissbrauch und Korruption ...

Doch beginnen wir dort, wo die Scheinwerfer zuletzt außenpolitisch auf den kühl kalkulierenden Taktiker gerichtet waren. Als EU- und NATO-Mitglied trägt Ungarn die Russlandsanktionen in der Ukraine-Krise unwillig mit. Dieser Umstand hinderte Orbán jedoch keineswegs daran, Vladimir Putin in Budapest die mediale Bühne für angriffige und verächtliche Polemik gegen die Ukraine zu bieten. Hatte der Gastgeber doch für seine nationalistischen Alleingänge eine eigene konkrete Tagesordnung: die Sicherstellung der Energielieferungen und damit weitere Abhängigkeit von Russland sowie den Ausbau des Atomkraftwerks Paks II mit einem russischen Zehn-Milliarden-Euro-Kredit. Die augenfällige Frage, wie sich dieser Putin-freundliche Kuschelkurs mit der Position eines EU-Mitgliedstaates verträgt, musste Orbán nicht einmal seinen konservativen Freunden in der EVP, allen voran Angela Merkel, beantworten. Denn erstens war sie bereits vor Putin in Budapest zu Besuch gewesen, und zweitens gehen die europäischen Parteifreunde Orbáns unbeirrt nachsichtig mit ihm um. Den ungarischen Regierungschef drängte es dennoch, diese nicht gestellte Frage zu beantworten: Der russischen Tageszeitung Kommersant offenbarte er, dass er der Einzige sei, der noch die Türe nach dem Osten offen halte, und daher könne nur er als Vermittler seitens der EU auftreten: „Ich möchte nicht wieder in einem Europa des Kalten Krieges leben.“ Also nicht Österreich, das sich immer wieder als neutraler Vermittler anpreist, sondern das ehemals von russischen Truppen geknechtete Ungarn sei der ideale Friedensbringer.

Weniger friedlich benahmen sich zuletzt die Untertanen von König Viktor. Das lautstarke Aufmucken kam aus der Mitte der ungarischen Gesellschaft, aber nicht unbedingt aus den Reihen der zerstrittenen und rivalisierenden Oppositionsparteien, sondern von spontan gegründeten Bürgerrechtsbewegungen: „Die Internetsteuer ist ein digitaler Eiserner Vorhang“, verkündete der Student Balázs Gulyás über Facebook. 230.000 Menschen stimmten ihm zu und Hunderttausende protestierten mit ihm auf Budapests Straßen, zehn weitere Kundgebungen gab es im ganzen Land. Péter Juhász, 44-jähriger Aktivist der linksliberalen Együtt (Gemeinsam), initiierte einen symbolischen Marsch vom Ost- zum West-Bahnhof unter der Losung „Putin njet, Europa ja!“ und bekam großen Zulauf.

Die Demos sollen für ein „Ungarn in Europa“ Stellung beziehen und all das thematisieren, was jüngst immer wieder abertausende Menschen auf die Straßen trieb: Sozial- und Bildungsabbau, exzessive Besteuerung, Amtsmissbrauch und Korruption in gigantischen Maßstäben sowie massive Versuche, die bürgerlichen Freiheiten einzuschränken. Um genau diese machen sich die jüdischen Bürger Ungarns mehr Sorgen als um den latenten und ausgelebten Antisemitismus. Denn sie gehören zweifellos zu jenem Segment der ungarischen Zivilgesellschaft, das in einem westlichen Wertesystem leben möchte und die von Orbán propagierte „illiberale Demokratie“ am meisten fürchtet. Sie repräsentieren nämlich jenen Mittelstand, der von den Segnungen des Orbán’schen Wirtschaftserfolges am wenigsten hat: der totalen Ausschöpfung von EU-Fördergeldern durch den extrem EU-kritischen Premier sowie den Exportquoten durch deutsche Produktionsstätten von Audi, Mercedes und Bosch. Für die Opposition bringt die Eroberung der traditionellen Fidesz-Hochburg Vészprem nur einen Prestigeerfolg, denn sowohl die neue Verfassung wie auch das Wahl- und Mediengesetz sind längst einzementiert.

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