Papierflieger und andere Nachbeben des Krieges

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Akram Zaatari/ © J. Casares / efe / picturedesk.com

Akram Zaatari erinnert in seiner Installation in Venedig an die Befehlsverweigerung eines israelischen Piloten. Von Thomas Edlinger

Der Libanonkrieg von 1982 brachte aus israelischer Sicht in den letzten Jahren mindestens zwei exzeptionelle Filme hervor. Ari Folmans autobiografische Traumabearbeitung Waltz With Bashir verknüpfte 2008 Animationstechnik, Popnostalgie und den Schock eines dokumentarischen Schlussakkords. Sie führte so virtuos vor, warum man sich weder auf die offizielle Geschichtsschreibung noch auf die eigene Erinnerung verlassen sollte. Lebanon von Samuel Maosz aus dem Jahr 2009 verengte den bei Folman noch explizit politischen Blick auf den Krieg auf den Innenraum eines verirrten israelischen Panzers. Der Libanon ist für die vier überforderten jungen Soldaten im Bauch des Metallungetüms ein halburbaner Dschungel und eine Quelle ständiger Bedrohung, die man auch als Zuschauer immer nur fragmentarisch, als Bildausschnitt aus dem Zielfernrohr, zu fassen bekommt. Der Libanon als konkretes Land mit wirklichen Menschen aber kommt in diesem Drama über das klassische Kriegsfilmthema der emotionalen und moralischen Zerrüttung nicht vor. Ganz so, als wolle der Film den wachsenden „Autismus“ Israels, wie ihn die Historikerin Diane Pinto ortet, im Bild der Verkapselung vor jeder nachbarstaatlichen Wirklichkeit zur Darstellung bringen.

Es sind Bilder und Medien mit unterschiedlicher Macht, Geschichte und Perspektive, die einander hier durchkreuzen.

Der Filmemacher Akram Zaatari gibt derzeit im, zum zweiten Mal überhaupt, vertretenen libanesischen Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig eine Antwort auf den durchaus kritischen, aber doch auf sich selbst bezogenen Blick der genannten israelischen Aufarbeitungen des Libanonkriegs. Der zentrale Film in seiner gleichnamigen Videoinstallation heißt Letter to a Refusing Pilot und bezieht sich auf ein Gerücht, das sich 1982 wie ein Lauffeuer in der südlibanesischen Kleinstadt Saida verbreitet hatte. Demnach drehte ein israelischer Pilot, dem befohlen worden war, ein bestimmtes, angeblich als Gefechtsstand genutztes Gebäude zu bombardieren, auf seinem Weg ab und entlud seine Bombenlandung über dem Meer. Er tat dies angeblich, weil er als gelernter Architekt im Anflug erkannte, dass das Ziel eine Schule war.

Der 2013 international durchstartende Künstler Akram Zaatari hörte das Gerücht in diversen ausgeschmückten Versionen immer wieder. Er war damals selbst 16 Jahre alt, sein Vater Direktor der besagten Schule. Bis heute fragt sich Zaatari, wie diese Geschichte überhaupt auf dem Boden des Libanon landen konnte. 2002 stellte sich die Vermutung nichtsdestotrotz als wahr heraus. Der Pilot Hagai Tamir bekannte sich in einem Interview in der Haaretz zur Befehlsverweigerung. Er hatte damals als Grund für die nicht erfolgte Zerstörung eine Fehlfunktion an seinen Vorgesetzten gemeldet. Später wurde der Fall aber doch näher untersucht. Tamir insistierte in der Befragung auf seine Verpflichtung, niemals zivile Ziele anzugreifen.

Zaatari verschränkt in seiner eindrücklichen Videomontage die triumphalistische Geschichte israelischer Nachrichtensender über die Bombardierungen mit vergilbten persönlichen Fotografien, historischen Dokumenten und inszenierten Szenen, die am heutigen Gelände der Schule gedreht wurden. Es sind Bilder und Medien mit unterschiedlicher Macht, Geschichte und Perspektive, die einander hier durchkreuzen: Ein von einem Schüler aus Schularbeiten gefalteter Papierflieger gleitet wie ein pazifistisch gewendetes Reenactment des Krieges vom Dach der Schule durch den blauen Himmel. Später, nachdem ein Teenager einen anderen Film in eine Kamera einlegt, zerschneidet ein loszischender Papierflieger mit donnerndem Sound das Panoramabild von Beirut, danach sieht man real aussehende Detonationen im Meer und dann wieder alte Fotodokumente ausgebombter Häuser. Auch die Schule ist letztlich doch noch bombardiert worden: Ein anderer Pilot erledigte den Job, den Tamir nicht machen wollte.

Zur Person

Akram Zaatari beschäftigt sich intensiv mit den erzählerischen Möglichkeiten historischer Bildarchive, auf denen viele seiner eigenen Arbeiten gründen. Er ist Mitbegründer der 1997 ins Leben gerufenen Arab Image Foundation, die auch eine Unzahl von Amateurfotos in das kollektive Gedächtnis einspeist. Seit 2013 stellt der Künstler vermehrt international aus, unter anderem in New York, London und Mexiko City.

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