Patronen für Faschisten und Demokraten

Der österreichische Industrielle Fritz Mandl exportierte in den 1930er-Jahren illegal in zahlreiche Länder, floh ins argentinische Exil und versorgte dann das österreichische Bundesheer. Eine neue Biografie beschreibt seine dunklen Talente.

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Er war so wichtig für die Nazis, dass sie nach dem „Anschluss“ Österreichs den jüdischen Unternehmer nicht einfach enteigneten wie Tausende andere, sondern um seine Patronenfabrik verhandelten. Fritz Mandl hatte dafür schon klug vorgebaut: Der überwiegende Teil der Aktien der Hirtenberger AG lag in einem Zürcher Banktresor. Für die Übergabe an den deutschen Rüstungskonzern Gustloff Werke erzielte er einerseits einen beachtlichen Preis – noch dazu teilweise in Devisen –, anderseits konnte er unbehindert nach Argentinien emigrieren.
Mandl, Jahrgang 1900, war in eine assimilierte jüdische Familie hineingeboren worden. „Er war mit Arthur Schnitzler verwandt und galt in den Zwanzigern als der reichste Industrielle im Land“, schreibt die Münchner Historikerin Ursula Prutsch in ihrer aktuellen Biografie Wer war Fritz Mandl. Nazis, Waffen und Geheimdienste. Die Familie stammte aus Mähren, Mandls Urgroßvater Leopold war Arzt und zog über einen Zwischenstopp in Ungarn nach Wien. Sein Großonkel Ludwig, einer von fünf Söhnen Leopolds, ursprünglich Getreidehändler, kaufte sich zuerst in eine Munitionsfabrik in Wien ein, später in Niederösterreich, in Hirtenberg. 1894, nach dem Tod Ludwigs, trat Fritz Mandls Vater Alexander, ein Neffe des Firmenchefs, in das Unternehmen ein. Er war studierter Chemiker und Physiker, mit Hilfe der Wiener Großbank Creditanstalt baute er den Patronenerzeuger kräftig aus. Schon um die Jahrhundertwende arbeiteten dort 1.600 Frauen und Männer, neben Munition für Jagdwaffen wurde militärische erzeugt, und gerade in diesem Bereich wuchsen die Exporte – auch in Kooperation mit der Rüstungsfabrik Steyr – recht kräftig. Dann sorgte der Erste Weltkrieg für einen ungeahnten Boom: 4.200 Beschäftigte zählte das Stammwerk in Hirtenberg, eine weitere Fabrik in Ungarn führte noch einmal 3.500 Arbeiterinnen und Arbeiter auf ihren Lohnlisten.

Ursula Prutsch: Wer war Fritz Mandl. Nazis, Waffen und Geheimdienste. Molden Verlag, 304 S., € 30

Doch der Krieg endete mit einer Niederlage, das Reich zerfiel, die ungarische Tochterfirma ging verloren, die Friedensverträge schnürten ein sehr enges Korsett für Rüstungsproduktion und einschlägige Exporte. Doch nun kam der junge Chemiestudent Fritz Mandl auf die Bühne – und in die Geschäftsführung von Hirtenberger. Und er sollte sich als äußerst geschäftstüchtig erweisen, ebenso als geschickt und skrupellos, was die Umgehung der internationalen Bestimmungen betraf. Eine kleine Auswahl: Da man in Österreich keine Waffen produzieren durfte, beteiligte sich Mandl – gemeinsam mit der deutschen Rheinmetall – an einem Schweizer Rüstungsunternehmen. Unter anderem über eine Tochterfirma in den Niederlanden exportierte er Munition in die Türkei und nach Argentinien, später verdiente er Millionen an Lieferungen für Italien, das in Abessinien Krieg führte. Lieferungen an das Militär sind immer nahe an der Politik gebaut. Mandl, zwar getauft, aber aus einer jüdischen Familie stammend, schloss sich der politischen Rechten an. In Italien pflegte er enge Kontakte zu den Faschisten Mussolinis, in Österreich wurde der HeimwehrFührer Ernst Rüdiger Starhemberg ein enger Freund, auch in das ebenfalls stramm rechts regierte Ungarn lieferte Hirtenberger. Exporte gingen unter anderem nach Spanien, nach China und Mexiko, große Mengen aber – illegal – an die Heimwehren und an das österreichische Bundesheer. Einer dieser Deals flog auf, darüber wurde als „Hirtenberger Affäre“ groß in den Zeitungen Europas berichtet.

Die Augen in dem scharf gezeichneten, massiv aussehenden Kopf
auf einen fragenden Ausdruck eingestellt.
[…] Er sieht gefährlich aus.
Orson Wells

Nach der Enteignung durch die Nazis emigrierte Mandl nach Argentinien. Dorthin hatte er wiederholt geliefert, dort verfügte er über lokale und europäische Geschäftspartner, auch durchaus solche mit Nazi-Hintergrund. Und Mandl war auch in Übersee – bei allen Schwierigkeiten – äußerst geschäftstüchtig. Sein beträchtliches Vermögen, das er hatte transferieren können, verbrauchte er nicht – auch wenn sein Lebensstil eher aufwändig blieb. Er investierte in eine Fahrradfabrik, in ein Unternehmen der Metallproduktion, in eine Kohlengrube in Peru. Zur Patronenproduktion kam er in Lateinamerika nicht, dafür waren die politischen Widerstände trotz Nähe zum damaligen Minister und späteren Präsidenten Juan Perón zu groß. Überdies stand Mandl in Fokus der US-Geheimdienste, die in ihm einen verdeckten Nazi vermuteten.

Nach Kriegsende kehrte er wieder nach Österreich zurück, erhielt auch nach langen Verhandlungen die Hirtenberger Fabrik wieder. Sie hatte wegen ihrer günstigen Lage keine Zerstörungen durch alliierte Bomben erlitten, die Nachfrage nach Munition war freilich nicht gerade groß. Das sollte sich ab 1956 ändern, dem Jahr des von den Russen blutig niedergeschlagenen Aufstands in Ungarn. Österreich baute ein neues Bundesheer auf, und dieses benötigte Patronen. Mandl lieferte. Auch Exporte konnte er wieder in die Wege leiten: nach Nigeria und Biafra, nach Bolivien, Chile und Südafrika. Mandl war fünf Mal verheiratet, er eroberte als reicher, charmanter, aber auch autoritärer Mann stets schöne und intelligente Frauen. Die bekannteste unter seinen Ehefrauen war die Wiener Jüdin Hedwig Kiesler, später als Hedy Lamarr in Hollywood als Schauspielerin bekannt. Doch diese Beziehung ging schief, wie auch die anderen.
Die geschäftliche Karriere und die politischen Verstrickungen Mandls sind im neuen Buch der an der Ludwig-Maximilians-Universität München lehrenden Professorin für Geschichte Ursula Prutsch ausführlich beschrieben, der historische Hintergrund wird klar und verständlich ausgeleuchtet. Die Hauptfigur bleibt dennoch etwas blass. „Die Aura, die ihn umgab, wurde vom Rauch seiner HavannaZigarren, seinem Markenzeichen, seinen maßgeschneiderten Anzügen und den Hemden mit abnehmbaren Krägen geprägt, deren Reinigung dem Butler auferlegt wurde.“ Das könnte wohl viele wohlhabende Unternehmer beschreiben, ohne ihnen wirklich näher zu kommen. Und auch die Zuflucht zu einem Text des englischen Regisseurs Orson Welles, der Mandl einmal am Comer See kennen lernte, erschließt den Leserinnen und Lesern kaum die Gedanken- oder Gefühlswelt des Patronenfabrikanten: „Die Augen in dem scharf gezeichneten, massiv aussehenden Kopf auf einen fragenden Ausdruck eingestellt. Es sind die Augen eines gerissenen Jägers, aber in ihnen überrascht doch eine seltsam fahle Leere – ein toter Fleck. So, als ob das Zentrum einer Zielscheibe weiß ausgemalt wäre, oder wie der stille, luftleere Raum im Herzen eines Wirbelsturms. Er sieht gefährlich aus.“ Fritz Mandl starb 1977 im Wiener AKH an Krebs. Ein Gutteil seiner Geschäfte – legal und illegal – ist dokumentiert. Der Mensch hat viele Geheimnisse bewahrt. Wer war Fritz Mandl? Letztlich wissen wir es nicht.

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