Seit 30 Jahren führt er als geistiges Oberhaupt die jüdische Gemeinde Österreichs. So orthodox wie nötig, so offen wie möglich. Paul Chaim Eisenberg. Seine beiden Vornamen sind vielleicht auch sein Programm. Für manche noch der Pauli aus Jugendtagen, für andere Chaim, die religiöse Autorität. Und in der Öffentlichkeit oft auch der singende Rabbi und jüdische Entertainer. Über die Veränderungen der Wiener Gemeinde, über seine Erfolge, seine Familie und vieles mehr sprach der Oberrabbiner mit seiner ehemaligen „Schulkollegin“ Anita Pollak.
wina: Die Zeit vor deinem 63.Geburtstag im diesjährigen Frühsommer war eine Zeit der Feiern, eine Zeit der Ernte. Zuerst das Große Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien, dann das 30-jährige Rabbinerjubiläum und die Bar Mizwa eines deiner Enkelsöhne in Israel. Geht ein Rabbiner da vielleicht heimlich in den eigenen Tempel und bedankt sich beim „Chef“ für so viele „Tojwes“, so viele Wohltaten?
Paul Chaim Eisenberg: Beim Chef im Himmel? Ja. Der Kiddusch der Kultusgemeinde hat mir große Freude bereitet. Ich habe aber die Gelegenheit ergriffen, diese Ehrung mit anderen zu teilen. Ich habe vier Damen geehrt, die viel für unsere Gemeinde gemacht haben, und ihnen den, von mir erfundenen, „Eschet Chajil Orden“ verliehen. Das war ein Ausdruck meiner Überzeugung, dass ich vieles nur mit der Hilfe von anderen erreicht habe. Was die Orden von Wien oder vom Staat Österreich betrifft, so glaube ich, dass nicht nur die Jubiläen zählen, sondern vor allem, was man in dieser Zeit gemacht hat. Und ich werde jetzt ganz unbescheiden sein und sagen: Ein bisserl was haben wir schon vorwärtsgebracht.
wina: Apropos Chef. Hat der Oberrabbiner formal einen Chef?
PCE: Der Präsident der Gemeinde ist vielleicht mein Chef, und dann habe ich 24 Chefs im Vorstand der Kultusgemeinde, mit denen ich zusammenarbeiten muss und möchte. Wichtig ist, nicht nur mit den Chefs zusammenzuwirken, sondern auch mit den Menschen. Ich habe aber auch zu Hause einen Chef, meine liebe Frau. Diese möchte ich aber lieber so bezeichnen, wie die Tora die erste Frau bezeichnete: Sie ist die, mir vom Ewigen, zugeordnete Partnerin.
wina: Wie wichtig ist denn überhaupt die Rebbezn für einen Rabbiner?
PCE: Ganz außerordentlich wichtig. Wir Juden unterscheiden uns vom Katholizismus vor allem darin, dass deren Klerus nicht heiraten darf. Eine der Begründungen dafür ist, dass ein Mensch, der eine Familie hat, sich der Gemeinde nicht voll widmen könne. Ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Gerade wenn man eine Familie hat und eine Frau, vor allem so eine wie ich, die einem auch hilft, dann versteht man seine Gemeinde besser. Deshalb glaube ich, dass es kein Widerspruch ist, ein geistiges Amt innezuhaben und verheiratet zu sein.
wina: Ich möchte kurz zurückblenden. Wir haben ja gemeinsam den Religionsunterricht für alle jüdischen Gymnasiasten in der Wasagasse besucht, ich erinnere mich, dass wir vor der Stunde immer das Holzkreuz in der Klasse abgenommen haben. Einer unserer Lehrer war der früh verstorbene Rabbiner Manfred Papo, den ich sehr geschätzt habe. Später warst du dann übrigens der Religionslehrer meiner Kinder. Heute wäre es allerdings unvorstellbar, dass der Sohn des Oberrabbiners, der du warst, ein ganz normales Gymnasium besucht. Deine Kinder haben jüdische Schulen besucht. Das ist für mich allerdings auch ein Symptom, wie sehr sich diese Wiener jüdische Gemeinde verändert hat. Wie siehst du diese Veränderungen?
PCE: Unsere Elterngeneration ist irgendwie in Wien gelandet, und es war nicht ganz sicher, ob sie hier bleiben würde. Daher gab es auch keinen inneren Druck, eine jüdische Schule zu bauen. Die Orthodoxen hatten immer eine. Ich bin ins Akademische Gymnasium gegangen, habe aber jeden Samstag frei gehabt, unter der Bedingung, dass ich es auch schaffe. Ich war in der Klasse ganz gut integriert, es gab keine jüdische Schule, in die ich hätte gehen können. Es war überhaupt eine ganz andere Zeit, man hat damals auch unter Juden weniger von der Schoa gesprochen, die anderen schon gar nicht. Kurz nachdem ich aus Israel als Rabbiner zurück nach Wien kam, ist die Zwi Perez Chajes Schule gegründet worden. Ich hab’ einen kleinen Anteil daran gehabt, was das Religiös-Inhaltliche betrifft. Diese Schule hat unsere Gemeinde stark verändert. Heute ist zumindest unter den deutschsprachigen Gemeinden Wien führend, was das jüdische Leben betrifft. Aber auch in anderen europäischen Gemeinden vergleichbarer Größe gibt es kaum eine derartige Vielfalt verschiedener Schulen und jüdischer Organisationen wie in Wien. Als Oberrabbiner sag ich manchmal, es sind schon (fast) zu viele. Ich könnte Beispiele nennen, wo zwei Bethäuser ganz knapp Minjan haben und es praktischer wäre, wenn sie fusionieren würden. Das ist aber auch das typisch Jüdische. Jeder will genau eine Schule oder eine Schul nach seinen Vorstellungen. Und in Wien sind häufiger neue Bethäuser entstanden, als dass bestehende fusionieren. Weil es in Wien sehr viele bucharische und grusinische Juden gibt, gab es vor einigen Jahren Bestrebungen, eine eigene „sephardische“ Schule neben der Zwi Perez Chajes Schule zu gründen. Ich habe damals mit einigen Rabbinern dieser Gruppen gesprochen und sie davon überzeugt, dass wir auch miteinander können.