Jüdische Wissenschaftsmäzene standen am Beginn bedeutender Forschungen in Wien – und blieben lange unbedankt. Von Reinhard Engel
Am Anfang stand eine Pleite. 1873 wurde im Rahmen der Wiener Weltausstellung am Beginn der Prater Hauptallee ein prächtiges Neu-Renaissance-Gebäude errichtet, um darin ein Schauaquarium unterzubringen. Innerhalb mehrerer Jahre entwickelte sich daraus ein etwas umfangreicherer Zoo, mit Terrarien voller Schlangen und Krokodilen, sogar mit Affengehegen. Ab 1888 hieß das Aquarium dann entsprechend Vivarium – und gab damit auch der heute noch existierenden Straße den Namen.
Doch ökonomisch kam der Tiergarten nie in die Gänge. Immer wieder änderten die wechselnden Betreiber die Attraktionen. Ob mit dem Schwerpunkt Reptilien oder als Heim für Tiere aus kalten Regionen wie Pinguine, Eisbären oder Seelöwen, es ging nicht gut. 1902 musste die Tiergartengesellschaft Konkurs anmelden, der Tiergarten Schönbrunn, der keinen Eintritt verlangte, war ein zu mächtiger Gegner.
Ein Freundeskreis wohlhabender Wissenschaftler erkannte die Chance und kaufte das Vivarium – um darin ein modernes Forschungsinstitut zu errichten, die Biologische Versuchsanstalt. „Hans Przibram stand der zoologischen Abteilung vor, Wilhelm Figdor und Leopold Ritter von Portheim der botanischen Abteilung“, so Johannes Feichtinger von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Ab 1907 kam eine physikalisch-chemische Abteilung hinzu, die von Wolfgang Pauli, dem Vater des Nobelpreisträgers geleitet wurde, und ab 1913 eine physiologische Abteilung, der Eugen Steinach von der Prager deutschen Universität vorstand.“ Es gab damals wohl eine Reihe – vor allem adeliger – Wissenschaftsmäzene, die vorrangig der Universität Wien Mittel zukommen ließen, geläufig waren etwa die Namen Liechtenstein, Dumba, Drasche oder Wilczek. Doch die Gründung eines ganzen zielgerichteten Instituts mit modernen Labors, Versuchstieren und Klimakammern stellte für Wien eine Novität dar.

Klaus Taschwer, Wissenschaftsjournalist bei der Tageszeitung Der Standard, beschäftigt sich seit einiger Zeit mit der Biologischen Versuchsanstalt: „Die BVA wurde bald zu einem Vorbild für etliche Forschungsinstitute von New York bis Moskau. Denn auch die Forschungsorganisation war höchst innovativ: Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen arbeiteten interdisziplinär zusammen, es herrschte ein reges Kommen und Gehen von Forschern aus dem In- und Ausland. Viele Dissertationen – so etwa jene des späteren Nobelpreisträgers Karl von Frisch – wurden am Vivarium geschrieben.“
Der Hauptproponent der BVA, Hans Przibram, stammte aus einer wohlhabenden jüdischen böhmisch-Wiener Bürgerfamilie, „für alle Errungenschaften der Kunst und Wissenschaft“ offen, wie sein Bruder Karl einmal später anmerkte. Und Hans war gleich mehrfach talentiert. Als Künstler konnte er zweimal seine grafischen Werke in der Secession ausstellen, er gestaltete ein Titelbild der Kunstzeitschrift Ver Sacrum – und später sollte er diese Begabung für das Zeichnen von Tieren in der BVA nutzen.
Experimentelle Biologie, 1902 in Wien
Was wollten Przibram und seine Mitgründer bewirken? Wissenschaftler Feichtinger: „Zum Programm der „neuen Anstalt für experimentelle Biologie in Wien“ hatte Hans Przibram im September 1902 auf der 74. Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte Auskunft gegeben: Ihr Hauptzweck sei experimentelle Forschung, ihre Tätigkeit sollte „alle großen Fragen der Biologie“ umfassen: „Keine Spezialisierung, eine Verallgemeinerung gewonnener Erfahrungen ist unser Ziel, nicht auf der Grundlage von Beschreibung und Vergleichung, sondern durch das biologische Experiment.“ Heute würde man das „basic research“ nennen, Fächer übergreifende Grundlagenforschung. Und auch Przibram selbst war „sehr produktiv“, schreibt der Wissenschaftsjournalist Taschwer: „In hunderten Publikationen befasste er sich unter anderem mit dem Wachstum von Tieren, Fragen der Färbung und der Regeneration. Er entwickelte aber auch neue Transplantationstechniken, war ein Pionier der quantitativen Biologie und hinterließ ein siebenbändiges Werk über Experimentalzoologie.“