Pioniere in der Wüste

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© Meirav Dvash
© Meirav Dvash

Mehr und mehr junge Israelis tauschen die Gemütlichkeit des Zentrums gegen die Unwirtlichkeit der Negev-Wüste. wina besuchte eine Siedlung, in der man noch den Zionismus von einst hautnah erleben kann.
Von Itamar Treves-Tchelet

Eine richtige Zufahrtsstraße gibt es hier noch nicht. Auch keine Hinweistafel. Nur einen großen Stein mit einer Aufschrift, die die Gäste begrüßt. Auf einem Hügel liegt die Siedlung Shizaf, genau im richtigen Winkel, sodass der Wind stets Sand, sehr viel Sand, herbeiwehen kann.

Shizaf steht auf Hebräisch für ein robustes und immergrünes Dornengewächs, aus dem vermutlich auch die Dornenkrone Jesu hergestellt wurde. Seit März 2012 steht Shizaf auch für eine Siedlung in der nördlichen Negev-Wüste, eine halbe Autostunde auf der Autobahn Nummer 40 südlich von Be’er Scheva. Dort wo die Zivilisation eigentlich aufhört – oder neuerdings: beginnt.

In benachbarten Containern leben hier Ron Segal und Meirav Dvash. Diese sind ihr Zuhause für die nächsten Jahre, bis die Bürokratie geregelt ist und sie ihr Traumhaus bauen dürfen. Die temporäre Lösung finden sie aber nicht schlecht, auch nicht während des kalten Winters und der gelegentlichen Sandstürme. Meirav grinst: „Manchmal bist du nicht sicher, ob dein Container während des Sturms nicht einfach wegfliegt.“ Und Ron ergänzt: „Und dann hast du halt sieben Mal im Jahr dein Bett voller Sand. Es ist Teil des Daseins.“ Außerdem gibt es in Shizaf eine ungeschriebene Regel: Sand ist kein Dreck!

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Die Idee, Shizaf zu gründen, geht auf die zionistische Vision einer der Gründ­erfamilien zurück. Kurz darauf – mithilfe des Internets – gelang es ihnen, auch andere Paare für die Idee zu begeistern. Es waren die Sozialproteste von 2011, die das Projekt in die Gänge gebracht haben: Damals hat eine kleine Kerngruppe der heutigen Einwohner schon einen Wohnwagen vor Ort als Protestaktion gegen die hohen Lebenserhaltungskosten aufgestellt. „Sie blieben dann noch einige Monate länger, und daraus ist Shizaf entstanden“, erinnert sich Ron und gibt offen zu: „Zum Glück war die Bürokratie auf unserer Seite.“

Der Süden wird chic. Die südliche Negev-Wüste erstreckt sich über 60 % des Landes. Trotzdem siedeln nur 8 % der Bevölkerung in dieser Region. Vor etwa zehn Jahren entschied die Regierung, mehrere Militärbasen vom Zentrum Richtung Süden zu verlegen. 2015 sollen die ersten Soldaten mit ihren Familien ankommen – und mit ihnen große Hoffnungen für die Verwirklichung des Potenzials im Negev. Die Prognosen versprechen schon heute einen Bauboom – und Preisanstieg – in der gesamten Negev-Wüste. Allein in den letzten 10 Jahren sind im Norden dieser Region etwa 15 neue, völlig legale Ortschaften gegründet worden.

Unter den jungen Gemeinden ist aber Shizaf die einzige, die durch Zusammenarbeit von Religiösen und Säkularen entstanden ist. Heute wohnen hier acht säkulare und fünf religiöse Familien. „Wir wollen die Botschaft vermitteln, dass wir trotz der Unterschiede doch zusammenleben können“, erklärt Meital Segal, Rons Frau. Mittlerweile leben in Shizaf 36 Einwohner, davon zehn Kinder – sechs Frauen sind derzeit schwanger. Die Bewohner kamen von überall: aus Städten, aus Kibbuzim, sogar aus Australien. Sie sind Lehrer, Sozialarbeiter, Geschäftsleute und (drei!) Hebammen. Alle sind jung (unter 36) und erfüllt von zionistischer Sozialromantik. So wie ihre Großeltern, die Israel gegründet haben.

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Stein auf Stein. Der Alltag in Shizaf ähnelt dem eines Kibbuz’. Ist er aber nicht. Alle Einwohner zahlen eine monatliche Miete für ihr Containerheim. Jeder hat seinen eigenen Job und führt allein seinen Haushalt. Das allgemeine Budget für die Entwicklung der Infrastruktur kommt vom Staat. Jeder Einwohner ist Mitglied in mehreren Kommissionen, die für die Aufnahme, Finanzen, Eventorganisation, Öffentlichkeitsarbeit und Weiterentwicklung der Ortschaft zuständig sind. Die Männer müssen auch jede Nacht den Ort selbst bewachen. „Hier arbeitest du 100 % für deinen Beruf, 100 % für deine Familie und 100 % für Shizaf“, sagt Ron. „Diese 300 % quetscht du in eine Woche. Ich weiß nicht genau wie, aber es gelingt.“

„Wir haben keine politische Agenda“
Bewohner der Siedlung Shizaf in der Negev-Wüste über ihre Beweggründe und Visionen.

Auf einem Sandhügel. Heute wohnen hier 13 Familien als eine Gemeinschaft<br />© Meirav Dvash
Auf einem Sandhügel. Heute wohnen hier
13 Familien als eine Gemeinschaft
© Meirav Dvash

wina: Es fällt nicht schwer, einen Vergleich zwischen euch und den umstrittenen Siedlungen im Westjordanland zu ziehen. Die Häuser weisen ja sehr viel Ähnlichkeit auf.

Ron: Dennoch haben wir keine politische Agenda. Bei den letzten Wahlen waren Vertreter aller Parteien hier, von den extrem Linken bis zu den extrem Rechten. Sie haben uns alle gelobt.

Meirav: Deswegen sind wir auch im Negev.


wina
: Die Alltagsituationen sind aber manchmal viel komplexer als gedacht …

Meirav: Jeder tut bei sich zu Hause, was er will. Aber mit Respekt für die anderen. Wenn ich weiß, dass mein Nachbar religiös ist, würde ich nicht am Schabbat laute Musik hören. Er kann immer zu mir kommen, sein Problem offen ansprechen und mit mir gemeinsam eine Lösung finden. Bisher gab es aber noch keine solchen Probleme.

Ron: Wenn ein Religiöser nach Shizaf kommt, soll er nicht säkularer werden, und der Säkulare nicht religiöser. Es gibt genug Leute draußen, die zu polarisieren versuchen. Wir sagen: Stopp! Lasst uns mal was anderes probieren. Unsere Großeltern sind nicht hierhergekommen, damit wir einander am Ende hassen.

wina: Klingt nach einer idyllischen Blase.

Ron: Ich glaube nicht, dass wir in einer Luftblase leben. Vielleicht wirkt es hier deutlicher, weil wir isoliert sind. Ich glaube, dass alle Menschen gut und nett zu ihren Nachbarn sein wollen. Man braucht aber die Zeit und den richtigen Ort, um es zuzulassen.

wina: Könnt ihr euch arabische Einwohner vorstellen?

Ron: Falls eine arabische Familie hierher ziehen wollte, wäre sie zu unserem Wertesystem verpflichtet. Das heißt: gute Menschen zu sein mit der Bereitschaft, die Nachbarn zu respektieren. Wir wollen hier engagierte Leute, denen es nicht egal ist, wie ihre Umgebung aussieht. Wenn das alles passt, dann ist es egal, ob du säkular, religiös, buddhistisch oder arabisch bist. Es fällt mir aber schwer zu glauben, dass eine nichtjüdische Familie hierher ziehen würde. Unserer Definition nach sind wir immer noch eine jüdische Gemeinde.

wina: Dabei hat niemand von euch wirklich Erfahrung im Aufbau eines Dorfs.

Ron: Langsam lernen wir, wie man Öffentlichkeitsarbeit macht oder mit Bürokratie umgeht. Alle zwei Wochen versammeln wir uns, um über unsere nächsten Schritte zu entscheiden. Manchmal liegen wir richtig, manchmal nicht. Da ist viel Kommunikation nötig. Tatsache ist: Vor anderthalb Jahren hat sich hier nur ein Sandhügel befunden. Heute wohnen hier 13 Familien als Gemeinschaft. Für uns ist jede neue Pflanze ein Erfolg.

2 KOMMENTARE

  1. Ich bin geborener waschechter “ werner“ und meine Enkelin mit Ihren man sind inder
    Siedlung Schisaf habe Sie erst vor 3 Tage zum erstn mal besucht bin sehr Stoltz auf sie
    Das sind Heute die wirklichen „CHALUTZIM“ und wunsche allen viel Glufk und Erfolg

  2. 03.11.13
    Vor 3 Wochen ist meine Enkelin Adi Meier(26 Sozial Arbeiterin)mit Mann(Eran 26 Logistig)von Beer Shewa nach Schisaf gezogen.Beide sind religoes, haben sich in der kurzen Zeit schonn geselschaftlich sehr gut eingewoehnt.Adi arbeitet in der Gegend mit Leuten mit
    Rehabilition von Drugs.Eran faehrt taeglich zur Arbeit 50K.M.in der Stadt Kirjad Gat.in seinem Beruf.Wie gesagt trotz der neuen und nicht einfachen Umgebung sind sie glueglich.

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