Mit dem Wiener Kongress beginnt ein neues Zeitalter. Die Kinder der tolerierten Juden gründen Geschäftshäuser, sind gut ausgebildet, intellektuell und regimekritisch. Sie gründen Geselligkeitsvereine, betätigen sich schriftstellerisch und journalistisch, betreiben Lobbying und Networking. Sie bauen die soziale Infrastruktur für die österreichische Gesellschaft auf und beweisen sich als würdige, ernstzunehmende Mitglieder des neuen Bürgertums. Eine Serie von Tina Walzer
Präsident Oskar Deutsch steht für die Öffnung der IKG nach außen. Er findet sich damit in guter Tradition der Wiener Kehile: Zur Zeit ihrer Gründung 1829 suchen die Jungen, darunter zahlreiche Geschäftsleute, aktiv die Integration in die bürgerliche Gesellschaft der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung. Es ist ein Phänomen: Man ist schick und anziehend, führt weg von der jahrhundertelangen Ghettoisierung, ist fortschrittlich und modern; eine Generation nach dem Höhepunkt der Aufklärung mit ihren Religionsaustritten um 1800. Doch es geht nicht nur um eine angemessene Reaktion auf den josefinischen Assimilationsdruck, sondern auch um eigene Interessen. Die Spaßgesellschaft Ludlamshöhle, in der gleich mehrere Vertreter der Kultusgemeinde-Gründer mitmachen, ist bester Ausdruck dieser Bestrebungen. Sie berühren die angesagten Wiener Künstlerkreise um Franz Schubert, Ludwig van Beethoven, Carl Maria von Weber. Schriftstellerische Ambitionen, Herausgebertätigkeit eigener Zeitschriften, Journalismus prägen das Bild der jüdischen Vereinsmeier – die erwachende bürgerliche Öffentlichkeit wollen sie mitgestalten, die öffentliche Meinung prägen. Damit setzen sie Trends fort, die ihre Eltern in den Salons der Arnstein und Eskeles begonnen haben. Und im Gegensatz zur Vorgängergeneration (Nathan Adam Arnstein, Bernhard Eskeles und 43 weitere Tolerierte unterschreiben das Statut nicht) zeigen sie Engagement beim Aufbau ihrer Religionsgemeinschaft. Ihnen geht es um die Schaffung einer staatlich institutionalisierten, offiziellen Vertretung ihrer Glaubensgemeinschaft – was beweist, dass Aufklärung, säkulare bürgerliche Gesellschaft und Religiosität einander nicht ausschließen müssen. Im Gegenteil: Hier wird ein Erfolgsrezept geboren, jene Basis, auf der die berühmten Juden Wiens um 1900, die Geistes- und Wissenschaftsgrößen sich entwickeln konnten. Die IKG Wien stand und steht als Garant für die Konstanz kultureller Parameter und Werte: Bildung und Diskurs, politische Partizipation und Selbstbewusstsein.