Pop, Schauder, Meisterschaft

Die Wiener Albertina zeigt einen Ausschnitt aus dem grafischen Werk des amerikanischen Künstlers Jim Dine.

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Jim Dine: Selbstporträt. Mit seinen Selbstporträts war der Künstler bereits 2016 in der Albertina zu sehen. Nun widmet ihm das Museum noch einmal eine umfassende Einzelschau. © ALBERTINA, Wien – Schenkung des Künstlers und von Diana Michener © Bildrecht, Wien 2024

JIM DINE
8. November 2024 bis 23. März 2025
Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien
Täglich 10– 18 Uhr,
Mittwoch und Freitag bis 21 Uhr
Tel.: +43/(0)1/53 48 30
albertina.at

 

Im Schatten der mächtigen ChagallAusstellung geht Jim Dine beinahe unter. Doch es ist durchaus wert, die Säle mit seinen – oft großformatigen – Holzschnitten, Radierungen oder Lithografien zu besuchen. Klaus Albrecht Schröder, der scheidende Direktor der Albertina, bedankt sich mit der Show noch einmal für eine umfangreiche Schenkung an das Haus durch Dine im Jahr 2015.

Es sind nur einige Themen, auf die sich die Ausstellung konzentriert. Da sind einmal die Bilder von unterschiedlichen Werkzeugen (dazu später bei der Biografie des Künstlers). Dann folgen einige Pop-Art-Werke, mit riesigen Herzen oder Varianten über die italienische KinderHolzpuppe mit der langen Nase, Pinocchio. Mehrere düstere Bilder zeigen Raben, Krähen oder Totenschädel, einmal frontal, einmal seitlich. Und dann, am Ende der Tour, erweist sich Dine als kompetenter Porträtist, für Fremde, aber vor allem auch für seinen eigenen Kopf. Hier überschreitet er die modischen Kunstperioden, wird auf einmal beinahe zum alten Meister.

„Jim Dine wird gerne als einer der Pioniere der Pop-Art rubriziert: ein Missverstndnis“, liest man im Pressetext der Albertina. Das sei schon vor Jahrzehnten einfach zu schnell und oberflächlich erfolgt, sein Werk erschöpfe sich darin nicht. Er selbst bezeichnete sich als „zeichnender Maler“, und in den Druckgrafiken kommt das sehr gut zum Ausdruck.

Jim Dine: Bleeding Boy, Linolschnitt, 170 x 100 cm, 2008 © ALBERTINA, Wien – Schenkung des Künstlers und von Diana Michener © Bildrecht, Wien 2024

Was seine Selbstporträts betrifft, so spielte er dabei auf mehreren Ebenen. Eine Zeitlang nahm er eine Trouvaille aus den Medien, einen Bademantel, als Symbol für den Künstler, und dann wiederum malte oder zeichnete er ganze Reihen von klassischen Autoporträts.

„Ich male, wer ich bin, ich male, was ich bin“, sagte er einmal. Und er verstellt sich dabei nicht, macht keine Rainer’schen Grimassen, blickt stets gefasst, ruhig und ernst auf den Zuschauer. Anders als bei berühmten Malern von Selbstporträts wie etwa Rembrandt bietet er auch keine langfristigen Veränderungen des eigenen Gesichts durch Alter oder Krankheit. „Seine Selbstbildnisse sind keine Beitrge zu verschiedenen Stufen eines langen Lebens“, so die Kuratorinnen in der Albertina, Klaus Albrecht Schröder und Constanze Malissa. „Sie sind keine Autobiografie, keine situative Selbstanalyse, kein tiefgrndiges Studium der Psyche, der Gedanken und Gefhle in einem datierbaren Augenblick des Lebens. Jim Dines Selbstportrts sind vielmehr Studien jenes unvernderlichen Kerns des Charakters, der ber alle Hhen und Tiefen, ber alle Strme, Krisen und Freuden des Lebens hinweg gleich bleibt.“

Mameloschn, Werkzeug und Kunstunterricht. Dine wurde 1935 in Cincinnati in eine jüdische Familie hineingeboren. Die Vaterseite stammte ursprünglich aus Litauen, die Mutterseite, die Cohens, aus Polen und Ungarn. Zu Hause wurde jiddisch gesprochen, und Vater wie Großvater, bei dem Jim viel Zeit verbrachte, betrieben so genannte Hardware Stores, also Geschäfte für Geschirr, Haushaltswaren und Werkzeuge. Damit beschäftigte sich der junge Jim fasziniert, und Werkzeuge sollte er auch in seinen langen Jahren als kreativer Kopf immer wieder malen und zeichnen: Hämmer, Zangen, Sägen, Schraubenzieher, Malerpinsel.

 

„Wie kaum ein anderer Knstler hat er in den fast
65 Jahren seit der Entstehung seiner ersten
Lithografie die druckgrafischen Mglichkeiten
in ihrer ganzen Bandbreite erkundet.“
Albertina

 

Schon mit 16 besuchte Jim Abendklassen an der Art Academy of Cincinnati. Die High School hatte ihm keine Hilfe angeboten, obwohl er sich bereits als Künstler fühlte, erzählte er später einmal. Nach dem Schulabschluss inskribierte er an der Universität von Cincinnati, war aber bald frustriert, es gab keine wirklich Kunstausbildung, lediglich eine für Design. „Ich habe das ein halbes Jahr probiert. Es war lächerlich. Alles, was ich tun wollte, war malen.“ Auf Empfehlung eines Freundes wechselte er an die Ohio University in Athens, und nun konnte er seine Kreativität erstmals wirklich ausleben: Hier lernte er auch die Techniken der Druckgrafik. Nach einem Gastsemester an der School of Fine Arts des Museum of Fine Arts in Boston kehrte er nach Ohio zurück und schloss dort 1957 sein Kunststudium ab.

Bald danach übersiedelte er nach New York, lernte zahlreiche andere Künstler kennen, unterrichtete Malerei und versuchte sich in den unterschiedlichsten Kunstrichtungen, von Pop bis Performance und Happening. Bald schaffte er auch den kommerziellen Einstieg in den Kulturbetrieb, verkaufte und stellte immer öfter aus.

Seit den 1960er-Jahren hatte er mehr als 300 Einzelausstellungen und nahm mehrmals an der Biennale von Venedig und der documenta teil. Er changierte dabei immer wieder zwischen Malerei, Skulptur, Zeichnung und Druckgrafik. Seine Werke sind in zahlreichen renommierten Sammlungen in Amerika und Europa vertreten, unter anderem im Metropolitan Museum of Art und im Solomon R. Guggenheim Museum in New York, in der Tate Gallery in London und im Stedelijk Museum in Amsterdam.

Dine schuf auch riesenhafte Skulpturen, etwa seine Cleveland Venus, eine elf Meter hohe Bronzeskulptur, die ber dem Eingang des Bundesgerichtsgebudes in Cleveland aufgestellt wurde. Seit 2008 steht in der sdschwedischen Stadt Borås die neun Meter hohe Skulptur Walking to Borås – ein forsch ausschreitender Pinocchio mit langer Nase.

Der Druckgrafik, die er am Beginn seines Studiums erlernt hatte, blieb Dine stets treu. „Wie kaum ein anderer Knstler hat er in den fast 65 Jahren seit der Entstehung seiner ersten Lithografie die druckgrafischen Mglichkeiten in ihrer ganzen Bandbreite erkundet“, liest man in der Albertina. „Wie er diese Techniken weiterentwickelt, macht Jim Dine außergewhnlich: Er bearbeitet die Druckplatte, den Holzblock, nicht nur mit dem feinen Stichel oder Beitel, sondern buchstblich mit der Kettensge. Der Knstler liebt das Spiel mit den Druckstcken, die er immer weiter bearbeitet und in einem fortlaufenden Prozess verndert.“

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