„Populismus schadet allen, aber leider am wenigsten den Urhebern“

Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle wagt eine Vorschau auf die bevorstehende Nationalratswahl und deren möglichen Folgen im Gespräch mit Marta S. Halpert.

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Kathrin Stainer-Hämmerle, 1969 in Vorarlberg geboren, studierte Politikwissenschaften an der Universität Innsbruck. Im weiteren Verlauf ihrer akademischen Laufbahn schloss sie in Innsbruck auch das Studium der Rechtswissenschaften ab. Sie wurde schließlich mit einer Dissertation zum Thema Wahlrecht zur Doktorin der Politikwissenschaften promoviert und anschließend Universitätsassistentin in Innsbruck. Nach Lehr- und Forschungsaufträgen an den Universitäten Graz, Krems und Klagenfurt erfolgte im Jahr 2009 die Berufung auf eine Professur für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten, wo Stainer-Hämmerle heute noch tätig ist.

Interview mit Kathrin Stainer-Hämmerle

WINA: Wie beurteilen Sie den laufenden Wahlkampf? Haben alle Parteien schon ihre Zielgruppen klar ausgemacht, und bedienen sie diese professionell?
Kathrin Stainer-Hämmerle: Nicht bei allen Parteien ist der Wahlkampfstart geglückt. Die Grünen kämpfen nach Ausschluss ihrer Parteijugend, die nun mit der KPÖ kandidieren will, auch noch mit der Abspaltung von Peter Pilz, dem es gelingen könnte, das grüne Wählerpotenzial zu spalten. Die SPÖ lähmten ebenfalls innerparteiliche Differenzen zur grundsätzlichen Ausrichtung des Wahlkampfs bis hin zum Verlust ihrer Wahlkampfverantwortlichen. Die Neos hingegen konnten durch die Allianz mit Irmgard Griss auch bei bürgerlich-konservativen Wählern punkten und damit wahrscheinlich ihren Wiedereinzug sichern. Bei den Freiheitlichen gilt es noch abzuwarten, wie sie sich positionieren, nachdem ihnen das Monopol beim Thema Zuwanderung streitig gemacht wurde. Sie stecken im Dilemma: Radikalere Töne schmälern die Chancen auf eine Regierungsbeteiligung.

Sie sind Politikwissenschaftlerin und keine Prophetin, welchen Ausgang erwarteten Sie sich dennoch: Schafft die Kurz-ÖVP den ersten Platz?
❙ Sebastian Kurz hat mit seiner entschlossenen Handlungsweise alle überrascht und dominiert daher bisher den Wahlkampf, da die Sehnsucht nach einem Wechsel nicht nur bei ÖVP-Anhängern sehr groß ist, sondern bei allen Österreichern. Doch das Umfragehoch, das weiters aus seinen Sympathiewerten als Außenminister resultiert, über Wochen zu halten, wird schwer. Mit der häppchenweisen Präsentation von Quereinsteigern will Kurz die Spannung halten und erst drei Wochen vor der Wahl sein Programm präsentieren. Eine riskante Strategie vor allem bei Stammwählern, weil konträre inhaltliche Stellungnahmen bis dahin das Profil der ÖVP verwässern können. Aber ein Wahlsieg ist immer eine Mischung zwischen eigener Leistung, Fehlern der anderen sowie Stimmungen und Ereignissen, die von niemandem steuerbar sind.

 

 „Was im Wahlkampf zur Mobilisierung von Wählerstimmen hilft, kann sich allerdings zum Hindernis für den demokratischen Konsens entwickeln.“

 

Sehen Sie noch eine Chance für eine erneute Zusammenarbeit zwischen Rot und Schwarz? Oder werden die Blauen zum Königsmacher der nächsten Regierung?
❙ Ich schließe nur eine Zusammenarbeit zwischen Kern und Kurz aus. Nach einer Wahl kommt es erfahrungsgemäß auch zu personellen Veränderungen, vor allem bei den Verlierern. Da könnten sich dann vollkommen andere Konstellationen ergeben, je nachdem, wer am 15. Oktober die Nase vorne hat. Die ÖVP mit Kurz könnte durchaus mit einer SPÖ unter Doskozil eine gemeinsame Basis finden, so wie die SPÖ unter Kern mit einer ÖVP, in der wieder Bünde und Sozialpartner das Sagen haben. Die FPÖ hat sicher die besten Chancen auf eine Regierungsbeteiligung, wenn sie Zweiter oder gar Dritter wird.

Wer hat die besseren Karten für diese neue Konstellation? Schwarz oder rot?
❙ Weder SPÖ noch ÖVP werden Juniorpartner von Strache sein und ihn zum Kanzler machen. Für die SPÖ wäre eine Koalition mit der FPÖ aber auch als Stimmenstärkster nach wie vor eine Zerreißprobe für die Partei. In der ÖVP erinnern sich hingegen viele noch an die Erfahrung der Zusammenarbeit zwischen 2000 und 2006 und wollen diese nicht wiederholen. Ausreichend inhaltliche Überschneidungen finden sich allerdings für beide Varianten, und so werden das Wahlergebnis, die handelnden Personen und die Verhandlungstaktik entscheiden.

Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen sehen Sie dabei für Österreich?
❙ Der Wahlkampf deutet auf eine Polarisierung der gesellschaftlichen Gruppen hin: rechts gegen links, oben gegen unten, Österreicher gegen Fremde, Stadt gegen Land, Optimistische gegen Pessimisten, Pro-Europäer gegen Bewahrer nationaler Grenzen usw. Was im Wahlkampf zur Mobilisierung von Wählerstimmen hilft, kann sich allerdings zum Hindernis für den demokratischen Konsens entwickeln. Leider sehen sich Parteien wieder stärker in der Rolle der Verteidiger von Gruppen- bzw. Einzelinteressen statt als Vermittler in gesellschaftlichen Konflikten. Statt zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen, erwarten Bürger von Parteien Problemlösungskompetenz. Sonst verlieren sie in Folge das Vertrauen in Parteien, Regierung, Parlament und die Demokratie allgemein. So schadet Populismus allen, aber leider am wenigsten den Urhebern.

Sehen Sie rechnerisch eine Möglichkeit für eine Mehrparteienkoalition mit Kleinparteien?
❙ Da wir heute noch nicht wissen, wie viele Parteien und in welcher Stärke diese im Nationalrat sitzen werden, lässt sich dies schwer sagen. Traditionell bevorzugen Österreichs Parteien allerdings Zweierkoalitionen und mit drei mittleren, annähernd gleich starken Parteien ergeben sich zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ allein drei rechnerische Möglichkeiten. Bei einer Neuauflage der ehemals Großen Koalition könnte eine Kleinpartei als Signal der Erneuerung dienen. Alle anderen Varianten sind aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich, doch die heiße Phase des Wahlkampfs beginnt erst, und viele Wähler sind noch unentschlossen.

© Sissi Furgler Fotografie

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