Proaktiv sein

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Der Verein Shalom Alaikum engagiert sich in der Flüchtlingshilfe. Gegründet wurde er von einer Gruppe Wiener Jüdinnen und Juden, die sowohl helfen als auch gegenseitig vorhandene Vorurteile abbauen und so ein künftiges Miteinander erreichen wollen.  Das sei auch im Sinn der jüdischen Gemeinde, meinen die Verantwortlichen von Shalom Alaikum. Von Alexia Weiss   

Wie viele andere Wienerinnen und Wiener auch sind Golda Schlaff, Judith Rabfogel-Scheer, Miriam Tenner und Sonia Feiger im Spätsommer zu den Bahnhöfen geeilt, um zu bringen, was gerade gebraucht wurde: Schuhe, Kleidung, Wasser, Essen. Bei manchen wie Ronny Nadler, der sich im Kids Corner am Westbahnhof engagierte, oder Verena Krausneker, die Flüchtlinge von der ungarischen Grenze nach Wien brachte und im WUK eine Notschlafstelle mit betreute, steht der Alltag inzwischen ganz im Zeichen der Flüchtlingshilfe. „Ich habe irgendwann im Herbst festgestellt, dass sich hier viele jüdische Frauen, auch Männer, aber eben vor allem Frauen, stark engagieren“, erzählt die Medizinerin Schlaff. „Und ich habe sie gefragt, ob die Flüchtlinge eigentlich wissen, dass sie jüdisch sind, und die meisten meinten: eigentlich nicht, außer, wenn sie zum Beispiel einen Magen David tragen. Aber dass sie das eben nicht groß thematisieren würden.“

„Wir gehören zu einer Minderheit, die mit Flucht vertraut ist. Und wir wollen euch willkommen heißen, nicht wegen, aber mit unserer Geschichte.“ J. Rabfogel-Scheer

Das fand Schlaff schade. Denn, so meint sie: Hier gäbe es die große Chance, den Ankommenden nicht nur zu helfen, sondern auch in einen Dia­log zu treten und gegenseitige Ressentiments auszuräumen. So fragte sie auf Facebook in ihre Freundesrunde, ob Interesse bestünde, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Ihr Aufruf fiel auf fruchtbaren Boden. Nach und nach bildete sich ein Kernkreis von acht Personen, der schließlich im Herbst den Verein Shalom Alaikum gründete und nun den Vorstand der Initiative bildet. Obwohl viele der Proponenten auch weiterhin durchreisenden Refugees helfen, beziehungsweise mit jenen Flüchtlingen weiter in Kontakt sind, denen man inzwischen ein Quartier vermitteln konnte, wollte man mit Shalom Alaikum vor allem eines erreichen: nachhaltige Hilfe. Soll heißen: Betreut werden sollen vorrangig Flüchtlinge, die beschlossen haben, in Wien zu bleiben und sich hier ein neues Leben aufzubauen.

Shalom-Aleikum-by-Daniel-Shaked--8656„Unser Ansatz ist dabei, proaktiv auf die vor allem muslimischen Flüchtlinge zuzugehen“, betont die Politologin Rabfogel-Scheer, die hauptberuflich im Infrastrukturministerium für strategische Innovationsprozesse verantwortlich zeichnet. Dass es in der jüdischen Gemeinde Ängste und Sorgen über ein Ansteigen des Antisemitismus gibt, da viele Menschen, die nun nach Österreich gekommen sind und noch kommen werden, in einer Gesellschaft groß wurden, die von Antisemitismus geprägt ist, ist den Aktivisten von Shalom Alaikum bewusst. Genau diesem Gefühl wolle man aber etwas entgegensetzen. „Wir wollen den Flüchtlingen eben nicht mit Angst, sondern mit Offenheit begegnen“, so Rabfogel-Scheer, „ihnen sagen: Ihr seid willkommen, aber gleichzeitig auch: Auch wir gehören zu einer Minderheit, die mit Flucht vertraut ist. Und wir wollen euch willkommen heißen, nicht wegen, aber mit unserer Geschichte.“ Schlaff ergänzt: „Außerdem wollen wir ein positives Bild von uns zeigen und sie nicht noch in dem negativen Vorurteil, mit dem sie möglicherweise aufgewachsen sind, bestärken.“

Als Tenner im Zug ihrer Recherchen von einem neuen Haus in der Leo­poldstadt erfuhr, das vom Fonds Soziales Wien verwaltet wird und in dem Asylwerber in der Grundversorgung, also während ihres Asylverfahrens untergebracht werden, schien das eine passende Aufgabe für das Team von Shalom Alaikum. „Wir wussten, wir müssen uns auf etwas konzentrieren“, erzählt Schlaff, „man will immer so viel machen, aber man kann eben nicht überall helfen.“

19 Familien leben seit diesem Winter in dem Haus, an die 100 Personen, davon die Hälfte Kinder und Jugendliche. Das Gros von ihnen kommt aus Syrien, es gibt aber auch Familien aus dem Irak und Afghanistan und eine, die aus Nigeria stammt. Dass hier viel Unterstützungsbedarf besteht, war allen von Anfang an klar. Aber wie starten? Die Flüchtlinge beschenken? Was könnten sie am ehesten brauchen? „Auch das war ein Prozess, bei dem wir irgendwann zu dem Punkt gekommen sind: Warum fragen wir eigentlich nicht die Refugees selbst, was sie brauchen und was sie sich wünschen?“, erzählt Rabfogel-Scheer.

„Ich glaube, was wir machen, ist nicht nur menschlich gesehen das Richtige, sondern auch rational gesehen.“ Golda Schlaff

Feiger entwarf dazu eine Liste mit Piktogrammen: So konnten die Familien ankreuzen, worüber sie sich freuen würden. Nachgefragt waren schließlich vor allem Kleinelektrogeräte wie Bügeleisen oder Rasierapparate, aber auch Alltagsgegenstände wie Pfannen, Töpfe, Unterwäsche, Kindergewand. Die eine oder andere wünschte sich auch eine Topfpflanze, die Blumenliebhaberin Feiger ebenfalls auf die Liste gesetzt hatte. Oder Nähzeug. Oder ein Dreirad für die Jüngsten in den Familien. „All diese Notwendigkeiten, aber eben auch Wünsche konnten mit der tollen Unterstützung einzelner Gemeindemitglieder sowie von Menschen außerhalb der jüdischen Community schließlich verwirklicht werden“, freut sich Schlaff.

Darüber hinaus beschloss Shalom Alaikum, für die Kinder als Überraschung neues, altersgerechtes Spielzeug zu besorgen. „Das hat mir besonders viel Freude gemacht, zu Toys’r’us zu fahren und für jeden etwas auszusuchen“, so Schlaff, selbst Mutter eines zweieinhalbjährigen Buben. Übergeben wurden die Pakete den Familien schließlich zu Chanukka. Beigelegt wurde dabei der Shalom-Alaikum-Welcome Letter in den vier Sprachen Farsi, Arabisch, Deutsch und Englisch, der kurz erklärt, warum hier Juden und Jüdinnen helfen wollen, und der mit dem Satz „May our children grow up as friends“ endet. Anschließend wurden die Familien zu einer gemeinsamen Chanukka-Feier gebeten, mit jeder Menge Sufganjot, die Shalom Alaikum mitgebracht hatte, und vielem anderen Essen, das die Refugees vorbereitet und beigesteuert hatten.

Anzunehmen ist nicht einfach

Bei einem Kennenlerntreffen zuvor hatte sich Shalom Alaikum bewusst als jüdische Ini­tiative vorgestellt. Die Chanukka-Feier brachte Flüchtlinge und Helfer vor allem miteinander ins Gespräch. Und diese stellten fest, dass die Bedürfnisse der hier neu Angekommenen so unterschiedlich sind wie ihre Herkunft. Manchen etwa ging es ökonomisch gut in Syrien, sie verfügen über Bildung, hatten ein gutes Leben – bis der Krieg kam. „Und es fällt ihnen nicht leicht, etwas anzunehmen. Aber auch, sich damit abzufinden, dass sie nun gar nichts mehr haben – außer ihrem Handy“, so Rabfogel-Scheer. Hier gehe es auch darum, wieder zum früheren Status zurückzufinden. Einige Jugendliche und junge Erwachsene würden sich einfach danach sehnen, einmal auszugehen, andere junge Menschen kennen zu lernen. Ein Arzt wiederum, der mit seiner Familie aus dem Irak nach Wien flüchtete, möchte so rasch wie möglich eine Nostrifizierung seines Universitätsabschlusses erreichen. Und was sich alle wünschen: zügig Deutsch zu lernen.

In einem zweiten Schritt geht es Shalom Alaikum nun darum, zu jeder Familie einen intensiven persönlichen Kontakt aufzubauen. Gesucht werden hier nun noch weitere interessierte Freiwillige, die als Habibis (Arabisch: Freunde) fungieren, die also beispielsweise mit einer Familie an den Wochenenden Ausflüge machen, die Kinder in Aktivitäten einbinden, die Eltern coachen oder Deutsch lehren (und dabei vielleicht selbst eine neue Sprache erlernen) sowie bei Fragen aller Art zur Verfügung stehen. Tenner ist zum Beispiel bereits intensiv behilflich, wenn Menschen aus dem Haus Arzttermine benötigen, Medikamente besorgt werden müssen oder es nachzufragen gilt, wann endlich eine e-card ausgestellt wird.

Denn, so Rabfogel-Scheer: Die Menschen im Haus sehnen sich vor allem nach Kontakt mit Wienern und Wienerinnen. „Einer der jungen Männer im Haus, den ich gefragt habe, ob ich vielleicht auf der Arabistik nach jemandem suchen soll, der auch Arabisch spricht, hat gemeint: Nein. Er wolle ja Deutsch lernen.“

Shalom Alaikum möchte zudem helfen, dass die Flüchtlinge ihre neue Heimat besser erkunden: Das Wien Museum spendiert hier Führungen, der Betreiber der Red Bus City Tours Fahrten durch die Stadt. Freuen würde man sich über weitere Spenden dieser Art: Tickets für verschiedenste Aktivitäten etwa, Sportkurse, Kino- und Theaterkarten etc. Sponsoring von Elektro- und Haushaltsgeräten, Kinder- und Lehrbüchern, Kosmetikartikeln und Winterkleidung wird weiterhin benötigt, Letztere vor allem für 60 unbegleitete minderjährige Jugendliche, die seit Beginn dieses Jahres in einem Partnerhaus durch den Fonds Soziales Wien und auch von Shalom Alaikum betreut werden. Doch auch Geldspenden sind weiter sehr willkommen: künftig will man den Menschen im Haus vor allem mit Gutscheinen weiterhelfen. Das trage auch zur Selbstbestimmung bei, denn so könne jeder selbst entscheiden, was er oder sie brauche, und es kaufen.

„Ich glaube, am Ende wird es für uns alle eine Win-win-Situation sein“, ist Rabfogel-Scheer überzeugt, und damit meint sie auch die jüdische Gemeinde. „Ich glaube, was wir machen, ist nicht nur menschlich gesehen das Richtige, sondern auch rational gesehen“, pflichtet Schlaff ihr bei. „Wenn wir diese Menschen in die Ecke drängen und ausschließen, wird nur Feindseligkeit entstehen. Und dann sind sie wirklich empfänglich für Extremismus wie in Paris oder London. Wenn wir aber auf sie zugehen und versuchen, sie zu integrieren, und uns Juden dabei als hilfsbereite Menschen zeigen, dann haben wir eine bessere Chance, gemeinsam unser aller Zukunft zu gestalten. Dann ist das wirklich ein gelebtes Miteinander.“

INFO:
Shalom Alaikum
IBAN: AT302011128424767201
BIC: GIBAATTWWXXX
Facebook.com/ShalomAlaikumVienna
shalomalaikum.vienna@gmail.com

Bilder: © Daniel Shaked

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