Wenn Petr Brod über seine Zeit bei Radio Free Europe, kurz RFE, erzählt, ist nicht zu überhören, wie sehr er seine Arbeit dort geschätzt hat. Der heute 73-jährige Journalist und Politikwissenschaftler spricht perfekt Deutsch, mit einem sehr sympathischen leichten tschechischen Akzent. 1951 wurde er in Prag in eine vorwiegend jüdische Familie mit deutschen Wurzeln geboren. Deutsch lernte er bei der Großmutter mütterlicherseits, sie stammte aus Wiener Neustadt, wuchs aber in Wien auf. Sie lernte nie richtig Tschechisch, erzählt Petr Brod, und war damals seine Quelle für deutsche Volksund Kinderlieder. Dass die deutsche Sprache Mitte der 1950er-Jahre in Prag keinen guten Ruf hatte, musste der kleine Petr am eigenen Leib erfahren. Als er mit der Mutter eines Tages frühmorgens mit der Straßenbahn fuhr, erschienen ihm die Menschen übel gelaunt und mürrisch. Um sie aufzuheitern, sang er Hänschen klein auf Deutsch. Petrs Mutter wusste sich nicht anders zu helfen – wie sollte sie einem Dreijährigen erklären, dass man nicht auf Deutsch singen darf – und gab dem Sohn eine Ohrfeige. Die Freude an der deutschen Sprache war damit erstmal vorbei.
Als Petr Brod zur Welt kam, erblickte auch ein sehr spezieller Radiosender das Licht der Medienwelt. Radio Free Europe wurde mit dem Ziel gegründet, unzensierte Nachrichten über den Eisernen Vorhang in die von Russland dominierten Staaten des kommunistischen Blocks zu senden. Zunächst wurde der Sender vom US-Geheimdienst CIA finanziert, und auch inhaltlich hatte der Geheimdienst freilich Interesse. Auf die Frage, wie das nun wirklich war mit der CIA, meint Petr Brod, das würde er aus Loyalität zu RFE nicht erzählen. Nur so viel: „Der Sender stellte dem Geheimdienst Informationen zur Verfügung, wenn diese aus Sicht der amerikanischen Sicherheitsinteressen von Belang waren.“ Seit Mitte der 1970erJahre – und bis heute – wird der Sender vom US-Kongress finanziert. Die europäische Zentrale war ab Beginn in München, ihr wurde aus anderen Staaten zugearbeitet. Aus den gesammelten Meldungen gingen dann ausgewählte Nachrichten in der jeweiligen Landessprache nach Bulgarien, Polen, Rumänien, Ungarn und in die Tschechoslowakei.
Gegen alle Chance. Der Betrieb wurde in den Zielländern immer wieder von Störsendern beeinträchtigt, schon Mitte der 1950er-Jahre suchte RFE daher auch nach anderen Wegen, um seine Botschaften hinter den Eisernen Vorhang zu schleusen: Ballons wurden mit Flugblättern befüllt und über die Grenze geschickt. Auch wenn viele von Militärflugzeugen abgeschossen wurden, rieselten dennoch Tausende Flugblätter vom Himmel. An einem Tag war darauf zu lesen: „Tyrannei kann alles kontrollieren, nur nicht den launischen Wind!“ RFE beschäftigte viele emigrierte Dissidentinnen und Dissidenten. Für das tschechoslowakische Publikum war es wichtig, Nachrichten von bekannten Stimmen zu hören, denen sie vertrauten. Immer wieder gab es Versuche, Spione in die RFE-Redaktion in München einzuschleusen. Im Jahr 1981 wurde das Gebäude sogar bei einem Bombenanschlag gezielt angegriffen, später stellte sich heraus, dass die rumänische Securitate hinter dem Anschlag steckte. Acht Personen wurden verletzt.
Petr Brods Vater war ein interessierter, sehr politischer Mensch, und er war Jude, der 1939 vor den Nationalsozialisten nach England flüchten musste. 1946 kehrte er in die Tschechoslowakei zurück. Die BBC blieb des Vaters liebster Sender, diese Liebe ging auch auf den Sohn über. RFE wurde bei Familie Brod in Prag kaum gehört, schuld waren die bereits erwähnten Störsender, die die kommunistische Regierung in den bevölkerungsreichen Stadtgebieten einsetzte. Etwas außerhalb der Stadt war der Empfang gleich viel besser. Darum fuhren viele Pragerinnen und Prager wochenends in ihre Sommerhäuschen am Land zum Garteln und Herumwerken. „Dabei konnte man sehr schön die westlichen Sender hören“, erzählt Petr Brod schmunzelnd. Auslandssender zu hören, war damals nicht ausdrücklich verboten, wer Inhalte aber durch sogenannte Flüsterpropaganda an andere weitergab und dabei erwischt wurde, musste mit Strafen rechnen.
Schon Mitte der 1950er-Jahre suchte
RFE nach anderen Wegen, um seine Botschaften hinter den Eisernen Vorhang zu schleusen.
Bereits als 12-Jähriger interessierte sich Petr Brod für Politik und Zeitgeschehen. Sein Vater, der als Fremdenführer in Prag arbeitete, brachte abends ab und zu westliche Zeitschriften mit, bei Familie Brod wurden – freilich im Geheimen – Der Spiegel, Life und Time Magazine gelesen. Der Vater schrieb damals für eine deutschsprachige Wochenzeitung, die in Prag erschien, ab Ende der 1950er-Jahre auch für die Volksstimme, das Zentralorgan der KPÖ, und – als das Regime in der Tschechoslowakei etwas liberaler wurde – auch für die Zeitschrift der IKG, Gemeinde, und die linkskatholische Furche. Die Belegexemplare schafften es meistens durch die Zensur und wurden vom jungen Petr Brod aufmerksam gelesen.
Umbruch, Aufbruch. Die leichte politische Öffnung der Tschechoslowakei endete 1968 abrupt mit der Niederschlagung des Prager Frühlings. Die Sowjetunion schickte Truppen aus den Warschauer-Pakt-Staaten. Für viele regimekritische Menschen war klar: Hier konnten und wollten sie nicht bleiben. Auch Familie Brod schmiedete Auswanderungspläne. Aufgrund ihrer Wurzeln galten die Brods – so sieht es die Verfassung der Bundesrepublik vor – als Deutsche nach dem Grundgesetz. Die Ausreise nach Deutschland war daher vollkommen legal. Rational habe er den Entschluss der Eltern eingesehen, sagt Petr Brod heute, doch leicht sei es ihm nicht gefallen. Er war verliebt in eine Mitschülerin, fühlte sich als Tscheche und Jude und hegte Deutschland gegenüber großes Misstrauen. Seine Eltern taten sich da eigenartigerweise leichter. Sie hatten stets Verbindungen in das Nachbarland gehabt, besuchten auch in den 1960er-Jahren ihre Verwandten. Und beide waren nicht von der „schlimmsten“ NS-Verfolgung betroffen, so formuliert es Petr Brod vorsichtig. Dem jüdischen Vater war die Flucht gelungen, die halbjüdische Mutter hatte unter dem Sonderstatus als Reichsangehörige in Prag überlebt und wurde auch gegen Kriegsende glücklicherweise nicht mehr deportiert.
„Wir kannten das Land, mein Vater hatte Anspruch auf Alterspension. Wir hatten dort eine sichere Grundlage“, sagt Petr Brod. Im Jahr 1971 machte er in München sein Abitur, danach studierte er in München und London Politikwissenschaft, Geschichte Ost- und Südosteuropas und Zeitungswissenschaft (heute Medienwissenschaft). Schreiben konnte er gut, also war es naheliegend, in den Journalismus zu gehen. Eine Zeitlang arbeitete Petr Brod als Producer beim Lieblingssender seines Vaters, der BBC; 1987 kehrte er nach Deutschland zurück – auch, um in der Nähe seiner betagten Eltern zu sein – und begann bei Radio Free Europe zu arbeiten. Hier sah er mehr Möglichkeiten, um mit Radioarbeit tatsächlich etwas in der Tschechoslowakei zu bewirken. Eine Zeitlang war Petr Brod Mitglied des RFE-Leitungsteams: „Die Stimmung war die eines Umbruchs, eines Aufbruchs, von ungeahnten Möglichkeiten“.
Und so ist es auch zu erklären, dass RFE eine tragende Rolle bei der sogenannten „Samtenen Revolution“ im November 1989 spielte. Als Studentenproteste am 17. November in Prag brutal niedergeschlagen wurden, versuchte der staatliche tschechoslowakische Rundfunk zunächst alles kleinzuhalten. Wie es der Zufall wollte, berichtete RFE als einziger Sender unzensiert von den Ereignissen. Zu dieser Zeit war der Leiter von RFE, Pavel Pechácˇek – mittlerweile US-Bürger – für eine andere Reportage im Land. Per Telefon meldete er sich drei Tage lang vom Wenzelsplatz, RFE übertrug die Rede von Václav Havel, dem künftigen Präsidenten des Landes. Ende November trat die kommunistische Regierung zurück, der Weg in die Demokratie war geebnet.
Er war verliebt in eine Mitschülerin, fühlte sich als
Tscheche und Jude und hegte Deutschland gegenüber großes Misstrauen.
Der studierte Politikwissenschaftler und Journalist Petr Brod kehrte nach der Revolution als erster ständiger Korrespondent für RFE in die Tschechoslowakei zurück. Sein erster Auftrag war im Sommer 1990 jedoch keine politische Veranstaltung, kein Staatsakt oder Wirtschaftsgipfel – es war ein Event, das vielleicht sogar viel mehr ideelle Bedeutung für die Menschen in diesem Land, die so viele Jahre hinter dem Eisernen Vorhang leben mussten, hatte: Petr Brod berichtete vom Konzert der Rolling Stones im Prager Strahov Stadion, das am 18. August mehr als 100.000 Menschen begeisterte.
RFE gibt es heute noch. Die Zentrale ist nun in Prag. Von hier aus wird in 23 Länder gesendet, und rund 700 Journalistinnen und Journalisten versuchen – wie vor rund 70 Jahren –, unzensierte Nachrichten in jene Länder zu senden, in denen weiterhin Propaganda vorherrscht und die Meinung- und Pressefreiheit mit Füßen getreten wird.
Uli Jürgens arbeitet als freie Journalistin bei Ö1. Österreich feiert heuer 100 Jahre Radio. Am 1. Oktober 1924 ging die erste Sendung on Air. Aus diesem Anlass hat Uli Jürgens eine Serie der Reihe Dimensionen über die Macht des Radios gestaltet. Alle Ö1-Angebote zum Thema finden Sie unteroe1.orf.at/100jahreradio.