Rechtsruck in der EU: Konsequent dagegenhalten

Brigitte Ederer verhandelte vor 25 Jahren Österreichs EU-Beitritt mit. Über die Europäische Union heute sprach sie mit Marta S. Halpert.

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© Michael Rausch-Schott/picturedesk.com

Wina: Als EU-Staatssekretärin haben Sie im Jahr 1994 den österreichischen Beitrittsvertrag mitverhandelt. Wo sehen Sie Österreich nach 25 Jahren? Hat das Land seinen Platz in der EU gefunden?
Brigitte Ederer: Ich bin der festen Überzeugung, dass Österreich seinen Platz in der EU gefunden hat. Die Menschen waren 1995 davon überzeugt, dass sie in Europa mitgestalten und mitbestimmen wollen. Nach einige Jahren hat sich gezeigt, dass es nicht gelungen war, die Hirne und Herzen zu gewinnen. Die Minister der jeweiligen Bundesregierungen sind zu den Räten nach Brüssel gefahren, haben aber nicht das Gefühl erzeugt, wir sind Teil dieser europäischen Union. Wenn man etwas wollte, hat man gesagt, man hat sich durchgesetzt gegen die Union, wie bei einem Feind. Oder wir müssen das machen, weil die Union bestimmt das so. Das war, glaube ich, die Hauptursache, warum die Mehrheit der Österreicher nie zu der gefühlsmäßigen Einstellung kam, wir sind Teil dieses Europas.

Wenn Sie den Zustand der EU heute insgesamt betrachten: Hat die EU Ihre Erwartungen erfüllt? Sie sind glücklich, besorgt, wütend?
❙ Der Europäischen Union hat wichtige Schritte der Integration gemacht, z.B. dass der Euro geschaffen wurde, an dem viele Staaten teilhaben. Es ist auch allen klar, dass man viele Themen nur mehr auf EU-Ebene lösen kann. Aber trotz der gemeinsamen Währung ist es nicht gelungen, eine gemeinsame Wirtschaftspolitik zu schaffen, um so auch eine gewisse Stabilität zu ermöglichen. Das ist in Teilbereichen ein bisschen steckengeblieben. Dennoch sind seit 1995 wichtige und richtige Schritte in Richtung Integration gemacht worden.

»Gegen rechte Tendenzen hilft nur ein konsequentes Auftreten, alles Demokratiegefährdende konkret benennen und dagegenhalten.«
Brigitte Ederer

Sie sind also zufrieden?
❙ Zufrieden kann man bei so einem Projekt nie sein, weil es ja nicht abgeschlossen ist. Und dass ein großes Mitgliedsland, siehe Brexit, austreten möchte, ist natürlich bedrückend. Es ist problematisch, dass es der EU nicht gelingt, mit einer Stimme zu sprechen, z. B. in der Frage der Industriepolitik gegenüber den Chinesen, weil einige Länder immer wieder ausbüchsen. Auch der aufkommende Rechtsruck in Europa macht Sorgen.

Welche Möglichkeiten oder Rezepte sehen Sie, um den Rechtsruck in Europa zu bekämpfen?
❙ Wenn ich nur ein Rezepte hätte! Das ist sehr schwierig, aber es hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Menschen das Gefühl haben, bei der Globalisierung und den stark wachsenden Handelsströmen der letzten Jahrzehnte benachteiligt worden zu sein. Auch die Flüchtlingsbewegung verbreitete eine gewisse Sorge, meiner Meinung nach eine übertriebene Sorge. Aber die Bilder von 2015 hat natürlich jeder im Kopf – und da zeigte sich, dass man die nationalen Grenzen nicht absichern konnte. Gegen rechte Tendenzen hilft nur ein konsequentes Auftreten, alles Demokratiegefährdende konkret benennen und dagegenhalten. Wenn ich nach Polen und Ungarn schaue, bin ich froh, dass es die EU gibt, denn sie hat trotz allem eine stärkere Stimme als einzelne Mitgliedsstaaten.

Wie kann man heute die Menschen stärker für die EU begeistern?
❙ Indem man aufzeigt, dass es Themen gibt, die man auch als starkes Industrieland, wie z. B. Deutschland, nicht alleine lösen kann. Es ist ja wirklich grotesk und schon zynisch, wenn man bedenkt, dass die Diskussion um den Brexit die größte Überzeugungsarbeit für die Union geleistet hat. Es hat deutlich gezeigt, welche Nachteile das bringt und wie ein Land damit kämpft.

Wo sehen Sie die EU in den nächsten zehn Jahren? Wird sie zu einem unbedeutenden Club, der streitet, oder zu einem Global Player?
❙ Das Prinzip Hoffnung ist angesagt. Wenn wir nicht zum Global Player werden, also nicht mitspielen mit den USA und China, werden auch die stärkeren Industrieländer an Bedeutung verlieren und in Zukunft größere Probleme bekommen. Längerfristig bin ich eher optimistisch, weil die Menschen schon mitbekommen, was für einen Wert die Europäische Union hat. Aber kurzfristig bin ich skeptisch, wenn ich die Prognosen für die Rechtsparteien im Europaparlament sehe. Wir gehen jetzt durch ein Tal, wo es schwieriger wird. Danach hoffe ich auf größere Integrationsschritte, wenn einzelne Länder erkennen, dass sie national kaum noch Bedeutung haben und als europäische Institution zusammenhalten müssen.

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