Reise in die Vergangenheit von St. Pantaleon-Weyer

Ludwig Laher recherchierte für sein eben erschienenes Buch Schauplatzwunden die Geschichte von zwölf Menschen, die während der NS-Zeit im Lager St. Pantaleon-Weyer interniert waren oder mit den Verbrechen dort in Berührung kamen: als Verantwortliche, aber auch als zugezogene Ärzte oder zuständiger Staatsanwalt. Der Autor stützt sich dabei auf penibel recherchierte Fakten – das macht diese Prosa doppelt erschütternd.

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Ludwig Laher: Schauplatzwunden. Czernin Verlag 2020, 192 S., € 20

Zwischen 1940 und 1941 betrieben die Nationalsozialisten in St. Pantaleon-Weyer zunächst ein Arbeitserziehungslager, dann ein Anhaltelager für Roma und Sinti. Laher, der in St. Pantaleon und Wien lebt, zeichnet in Schauplatzwunden nach, was sich damals dort zutrug – er schildert dabei Gewaltexzesse, die selbst manchem NS-Sympathisanten zu viel wurden. Er schildert die Willkür, mit der Personen überhaupt in dieses Lager gelangten. Und er zeichnet, wo es die Aktenlage hergab, auch nach, wie die Biografien der Beschriebenen oder deren Familiengeschichte nach dem Aufenthalt in St. Pantaleon-Weyer beziehungsweise nach der NS-Zeit weiterging.

Laher, zeichnet in Schauplatzwunden nach,
was sich damals dort zutrug –
er schildert dabei Gewaltexzesse, die selbst manchem NS-Sympathisanten zu viel wurden.

Damit erzählt das Buch nicht isoliert von den Gräueltaten von damals, die in ihren Details und ihrer Willkür schwer verdaulich sind. Da müssen Kinder sterben, weil sie das Pech hatten, als „Zigeuner“ eingestuft zu werden, selbst wenn die Familie sesshaft war, selbst wenn die NS-Bürokratie nur mehr „ein Achtel Zigeunerblut“ feststellte. Da wird ein Wehrmachtssoldat zu Tode geknüppelt und geprügelt und getreten, weil er etwas zu früh zu seinem Weihnachtsfronturlaub zu Hause ankam und dort seine Frau im Bett mit einem Nazischergen erwischte. Letzterer versuchte einem Skandal vorzubeugen, indem er den Mann in das Lager einweisen ließ, wo dieser innerhalb weniger Tage zu Tode gefoltert wurde. Dieser Fall sollte im Rückblick auch dem zugezogenen Arzt zu dreist sein und in der Folge dem Staatsanwalt vorgelegt werden, so kamen Untersuchungen ins Rollen.
Schauplatzwunden berichtet auch vom Umgang Nachkriegsösterreichs und seiner Justiz mit diesen Verbrechen. Das Buch erzählt davon, wie Menschen, die sich sogar noch während der NS-Zeit bemühten, hier dagegen zu arbeiten, irgendwann so gebrochen und gezeichnet waren, dass sie nach 1945 nicht mehr die Kraft hatten, für eine umfassende Aufklärung zu sorgen.

Nachschrift. Besonders bitter nimmt sich hier die „Nachschrift“ Ludwig Lahers aus, in der er ein Zusammentreffen mit einem der Täter von damals im Jahr 2008 schildert.
„Wir haben im Wohnzimmer Platz genommen. Es ist tiefer Winter. Der verwitwete Gauinspektor von Oberdonau außer Dienst, inzwischen Mitte neunzig und geistig erstaunlich fit, zeigt sich bester Laune, erinnert sich noch gut an Weyer und das asoziale Menschenmaterial, das dort erzogen werden sollte. Ungebrochen ist er von der Sinnhaftigkeit dieser von ihm mitinitiierten Besserungseinrichtung überzeugt, verwendet, als ich von Mord und Totschlag spreche, lieber Formulierungen wie ‚einzelne Übergriffe‘ oder ‚übertriebene Strafen‘.“

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