
Die Familie von Luba Niyazov lebt bereits in der vierten Generation in Wien. Die einstige Heimat Buchara weckt noch immer Sehnsucht, der zweiten Heimat Israel ist man weiter verbunden. Mit dem Leben in Österreich ist auch eine Besinnung auf die Religion einhergegangen. Der Enkel lernt heute an einer Jeschiwe in Bnei Brak.
Von Alexia Weiss
Wenn Luba Niyazov ein paar Tage nicht im Obst- und Gemüsegeschäft der Familie in der Rotensterngasse steht, Früchte abwiegt, Salat verkauft, dann fragen die vielen Stammkunden schon: Was ist los? Luba kommt doch wieder? Obst und Gemüse: Das scheint die Bestimmung von Luba Niyazov und ihrem Mann Anton zu sein. Den ersten Stand hatten sie am Vorgartenmarkt, aber auch am Meidlinger Markt und am Karmelitermarkt haben sie schon Grünzeug verkauft. Dazwischen haben sie auch eine koschere Fleischerei in der Leopoldstadt und einen Imbiss am Volkertmarkt betrieben. Glücklich war Luba Niyazov dort aber nicht. „Ich war wie ein Vogel im Käfig. Ich wollte nicht immer drinnen sein. Am Markt bin ich immer draußen gestanden.“ Tochter Anat Sadikov wirft ein: „Sie muss immer reden. Die Leute haben sich aber sehr wohl gefühlt in unserem Imbiss am Volkertmarkt.“
Luba Niyazov kam 1953 in Buchara im heutigen Usbekistan zur Welt. Ihren Mann Anton heiratete sie noch in der ehemaligen Sowjetunion – 1977 ging das Paar nach Israel, da war die erste Tochter, Anat, eben geboren. Fünf Kinder brachte Luba Niyazov insgesamt zur Welt, den jüngsten Sohn bereits in Österreich.
Maria Faizieva hat sechs Kinder. Die betagte Dame, die seit vielen Jahren ein Ohrensausen plagt, lebt im gemeinsamen Haushalt mit den Niyazovs. Sie ist Luba Niyazovs Schwiegermutter – und zugleich Tante. Denn Luba und Anton sind Cousins. Lubas Mutter war eine Schwester von Maria. In der ersten Schwangerschaft hat sie daher auch gebetet, dass das Kind ja gesund sein möge. „Ich habe keine Angst vor der Geburt gehabt, nur, dass das Neugeborene nicht gesund sein könnte. Weil mein Mann und ich doch auch verwandt sind.“ Die Geburt war schließlich schwer – aber das Mädchen Anat kerngesund. Es sollte viele Jahre später eine andere Schwangerschaft sein, welche die Familie immer näher zur Religion brachte.
Doch zurück zu Maria Faizieva. Sie kam 1935 in Buchara zur Welt. Die Familie war arm. Maria hatte vier Geschwister – doch die Mutter starb, als sie selbst sieben Jahre alt war. Der Vater hatte einen Esel gehabt, erzählt sie, wobei ihr gesprochenes Deutsch nicht facettenreich genug ist, um ihre Erinnerungen zu formulieren, denn ihre Familiensprache ist Hebräisch.
Mit dem Esel hat der Vater für Läden kleine Transporte gemacht. Maria dachte, dass nach ihrer eigenen Hochzeit im Alter von 18 Jahren vieles besser werden würde. „Sie hat aber nur mehr geweint. Das, was sie bei ihrem Vater gesehen hat, sah sie nun auch bei ihrem Mann“, übersetzt die Schwiegertochter. Letzterer verkaufte an einem Stand von anderen Obst und Gemüse. Als das Paar bereits drei Kinder hatte, ging die Familie nach Taschkent. Dort brachte Maria drei weitere Kinder zur Welt, doch bald wurde ihr Mann krank und verstarb. Taschkent wurde in dieser Zeit von einem Erdbeben erschüttert, „und die ganze Stadt zerstört.“ So kehrte die Familie nach Buchara zurück. Dort setzte Maria stets alles daran, um gut für ihre Kinder zu sorgen. Zuletzt arbeitete sie als Eisverkäuferin. „Da hat sie gut verdient“, sagt Enkelin Anat Sadikov.
Sehnsucht nach der Mutter.
1974 entschloss sich Maria Faizieva, mit fünf ihrer sechs Kinder nach Israel zu gehen. Sohn Anton war gerade beim Militär, und dieses ließ ihn nicht, vor Ablauf seiner zweijährigen Armeezeit in Sibirien, gehen. So wartete Anton, dass das Militär endlich vorbei ist, und Luba auf ihren Bräutigam. Dieser wiederum hatte Sehnsucht nach seiner Mutter: So wanderte auch er 1977 nach Israel aus – und Luba hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen. „Das war keine Frage. Bei den Bucharen geht die Frau mit dem Mann“, wirft Anat Sadikov ein, „damals war das jedenfalls so“. Und ihre Schwester Avital ergänzt: „Meine Mutter hat alles für meinen Vater gemacht.“
„Der Anfang war sehr schwer“, erinnert sich Luba Niyazov. „Mein Mann hat zwei Jahre lang in einer Militärfabrik gearbeitet. Ich habe damals ununterbrochen geweint. Meine ganze Familie war in Buchara, und ich habe mich immer einsam gefühlt. Auch wenn meine Schwiegermutter und meine Schwester dort waren, war die Familie doch zerrissen.“ Luba hatte vor der Heirat die Matura am Technion abgelegt und war ausgebildete Buchhalterin, hat aber in diesem Beruf nie gearbeitet, „denn wir Juden hatten in Russland damals auf solche Jobs keine Chance. So habe ich als Verkäuferin in der Küche einer Schule gearbeitet.“ Die Diskriminierung, der Antisemitismus, sie waren doch spürbar.
Iwrit hat die gesamte Familie erst in Israel gelernt. Erstaunt stellen die Töchter Anat und Avital bei dem gemeinsamen Gespräch mit Großmutter und Mutter fest: In ihrer Kindheit haben sie kein Russisch gesprochen. „Warum?“, wollen sie nun von Luba wissen. „Damals gab es keine russische Sprache in Israel“, antwortet die Mutter. „Jetzt gibt es Zeitungen, Fernsehen. Aber damals gab es nur Iwrit, kein Russisch. Und die, die es konnten, wollten es nicht sprechen.“ 1985 packte die Familie ihre Koffer erneut. Das Ziel hieß damals: Wien. Obwohl, Ziel sollte es nicht wirklich sein. Inzwischen war Luba Niyazovs Mutter in Buchara verstorben, und die Tochter hatte sie nicht mehr sehen können. Die Sehnsucht nach der Heimat war groß. Die Hoffnung war: Man geht nach Österreich, bekommt hier die Staatsbürgerschaft und kann wieder in Buchara einreisen.
Anton, der als Vorbote einige Wochen vor seiner Frau und den Kindern nach Wien geflogen war, gefiel es in Österreich jedoch sehr gut. „Er hat gearbeitet von fünf Uhr in der Früh bis zehn am Abend und hat wenig verdient“, erinnert sich Tochter Avital. Die Mutter sieht das ein wenig anders: „Ich war dankbar für die Arbeit, die er gehabt hat. Und diese Leute haben uns geholfen, unser eigenes Geschäft zu kaufen, am Vorgartenmarkt.“