Über seine Arbeit am Wiener Volkstheater, die Lage der Künstler und den traditionellen Antisemitismus in seiner ungarischen Heimat spricht der erfolgreiche Regisseur Róbert Alföldi mit Marta S. Halpert
Wina: Mit dem kritischen Stück „HABEN“ von Julius Hay über die Gier der Menschen haben Sie soeben Ihre erste Regiearbeit in Wien und für das Volkstheater abgeliefert. Die Uraufführung im August 1945 am gleichen Haus sorgte für den ersten Theaterskandal nach dem Krieg: Eine Madonnenstatue als Giftdepot erregte die Gemüter und gipfelte in einer Schlägerei. Ist das Stück heute noch skandalträchtig?
Róbert Alföldi: Gott sei Dank hat sich die Welt weiterentwickelt, so dass es keinen Skandal auslöst. Das bedeutet ja auch, dass sich die Gesellschaft und das Milieu verändert haben, jedenfalls hier, in diesem Land, vieles normaler und besser funktioniert.
Julius Hay war Jude und Kommunist. Haben die Aussagen des Autors heute noch Relevanz?
❙ Es interessiert mich nicht, ob Hay Kommunist war, genau so wenig, ob Shakespeare Sozialist oder Liberaler war. Damit sollen sich Literaturwissenschafter beschäftigen, mich interessiert das Stück, und das setzt sich sehr intensiv und präzise mit einer wesentlichen Thematik auseinander. Es geht dabei um eine geschlossene Gemeinschaft, die wenig Empathie, dafür aber viel Neid für ihre Mitmenschen auf-bringt. Insbesondere bei den jungen Leuten entsteht das Gefühl, dass nur Geld glücklich machen kann und dass ohne Haben oder Besitz gar nichts geht. Es geht auch um die Frage, ob die Gesellschaft den Mittellosen hilft, insbesondere der Jugend, einen Weg ins Leben zu finden.
Könnten Sie dieses Stück heute auch in Budapest inszenieren?
❙ Politisch gesehen könnte man es. Die Frage ist, ob es ein Theater gibt, in dem man es aufführen könnte. Das Stück hätte für Ungarn noch mehr Gültigkeit, es würde wahrscheinlich noch spannender rüberkommen und zwar aus dem Grund, weil Julius Hay am Beispiel dieser kleinen Gemeinde der großen Gesellschaft den Spiegel vorhält. Es wird zum Modell dafür, wie Beziehungen in kleinen Einheiten funktionieren, ob man einander hilft oder nicht. Die ungarische Regierung sähe es sicher ungern, dass so ein Stück aufgeführt wird, denn es würde heißen, Alföldi ist schon wieder pessimistisch, negativ und sieht nicht die großartigen Sachen, die bei uns gut funktionieren. Aber HABEN zeig die Weite der ungarischen Seele mit ihrer Hoffnungslosigkeit, Bitterkeit und Perspektivelosigkeit. Es erinnert vor allem an die Armut in Ungarn, die immer schlimmer wird.