Die Video- und Performancekünstlerin Ruti Sela konfrontiert Menschen mit irritierenden Situationen. Von Thomas Edlinger
Eine Prostituierte erzählt davon, dass sie ihren Job liebt, aber die Männer hasst. Trotzdem oder gerade deswegen will sie am liebsten selbst einer sein. Der Blick ist während dieser intimen Offenbarungen nicht auf sie gerichtet, sondern die Befragte selbst führt mit einer mobilen Handkamera Regie und zeigt die beiden Filmemacherinnen Maayan Amir und Ruti Sela bei ihren Fragen. Die Szene ist dem dritten und letzten Teil der zwischen 2003 und 2005 entstandenen Videotrilogie Beyond Guilt entnommen, die sich auf herausfordernde Weise mit dem Verhältnis von Sexualität und Macht und der nationalen Identität auseinandersetzt und in Toiletten von Nachtclubs bzw. nichtssagenden Hotelzimmern inszeniert ist.
Die dort gestellten Fragen sind zudringlich und ungewohnt, einfühlsam und hartnäckig zugleich. Die Regisseurin selbst bringt die Rollenverteilung zwischen Fragenden und Befragten, Mann und Frau, Subjekt und Objekt, Macht und Gegenmacht ins Schlingern. Die anderen beiden Teile von Beyond Guilt zeigen zum Beispiel einen schelmisch grinsenden jungen Mann, dem im Austausch für dessen Halskette von der Regisseurin sexuelle Akte mit ihm bzw. auch mit seinen Freunden vor der Kamera angeboten werden. Das wird dem zunächst noch so coolen Sexabenteurer doch schnell zu viel. Dann kommt eine junge, sich tabulos gebende Frau ins Bild, die mit dem Zungenküssen von Frauen vor der Kamera prahlt, um im nächsten Augenblick auf ihre Militärzeit zu sprechen zu kommen und über die Araber herzuziehen.
Im MoBY(Museums of Bat Yam) südlich von Tel Aviv ist derzeit die erste Soloshow der in Haifa lehrenden Künstlerin Ruti Sela zu sehen. Sela machte sich in den letzten Jahren auf prestigeträchtigen internationalen Großveranstaltungen wie der Istanbul Biennale 2009 oder der Berlin Biennale 2010 einen Namen. Immer wieder geht es ihr dabei um die Durchkreuzung von sozialen Mustern, die Entlarvung herrschender Ideologien und um die provokante Auslotung von Nah- und Distanzverhältnissen. Sogar in auf den ersten Blick eher konventionellen Kurzdokus etwa über Antihomosexuellendemonstrationen in Jerusalem kann man den insistierenden, bewusst zu nahe kommenden Blick ihrer Kamera erkennen.
Doch im Regelfall braucht Sela für ihre sozialen Versuchsanordnungen Mitspieler, die nicht genau wissen, worauf sie sich in ihren Videos einlassen. In Beyond Guilt #2 sind es etwa Männer, die auf einer Dating-Website in einen Chat verwickelt wurden und nachher (mit ihrem schriftlichen Einverständnis) in ein Tel Aviver Hotelzimmer für einen Filmdreh eingeladen wurden. Dort verliert sich dann plötzlich die Selbstsicherheit eines nackt am Bett posierenden Möchtegernpornostars im Nichts, während Sela ihm beunruhigende Andeutungen über die Herkunft einer Narbe im Libanon und deren gewalttätige Vergeltung entlockt und ihn mit der Nachricht über die baldige Ankunft eines nächsten männlichen Gastes endgültig in seiner Machosouveränität verunsichert.