Ruth Dajan, die Frau des verstorbenen Verteidigungsministers Mosche Dajan, gilt im Nahen Osten selbst als legendär. Sie hat wichtige Beiträge zum interkulturellen Dialog geleistet, soziale Themen aufgegriffen und Frauenrechte gefördert. Dieses Gespräch fand kurz nach dem Tod ihres Sohnes, dem Schauspieler und Filmemacher Assi Dajan, im Mai 2014 statt. Interview & Fotos: Ronnie Niedermeyer
wina: Es gibt Tage, die sich in die Erinnerung einbrennen. Tage, die etwas in dir verändert haben. Tage, an denen ein Teil deines Lebens endete und ein neuer Teil begann …
Ruth Dajan: Immer passiert etwas. Jeder Tag ist eine Überraschung, insbesondere, wenn man in diesem verrückten Land lebt. Aber für mich gibt es keinen bestimmten Tag, an dem ich in der Früh aufgestanden bin und Sozialistin wurde oder Kommunistin oder Zionistin oder irgend so etwas.
Während meiner Ehe mit Mosche folgte eine Tragödie der nächsten. 1939 ging er für zwei Jahre ins Gefängnis. Als er endlich wieder herauskam, verlor er im Krieg sein Auge. Es dauerte Jahre, bevor wir wieder glücklich sein konnten – und dann erfuhr ich von der Affäre.
In Israel und überall auf der Welt, wo ich unterwegs war, war der Name Dajan sowohl Segen als auch Fluch.
Beginnen wir doch ganz am Anfang.
❙ Na ja, ich wuchs in London auf. Meine Eltern waren beide Intellektuelle; beide hatten einen Universitätsabschluss und waren berufstätig: mein Vater als Anwalt und meine Mutter im pädagogischen Bereich. Sie waren vielsprachig – Deutsch, Französisch, Russisch, Arabisch, Hebräisch, und in London lernten sie auch Englisch.
1927, als ich zehn Jahre alt war, zogen wir nach Jerusalem. Mit siebzehn trat ich einer sozialistischen Jugendbewegung bei, die später als HaMahanot HaOlim bekannt wurde. Im Temperament der 1930er-Jahre zog es uns aufs Land. Unsere Anführer lebten bereits in Kibbutzim [Kollektivwirtschaften] und Moschawim [landwirtschaftliche Genossenschaften]. Ich entschloss mich, das Gymnasium in Jerusalem abzubrechen und an einer Frauenfachhochschule für Agrikultur in Nahalal, dem ältesten jüdischen Moschaw, weiterzustudieren. Meine Eltern gaben dazu ihr Einverständnis.