Samen aus einer Blütezeit

Österreichische Archäologen graben in der antiken Stadt Lachisch, um den Beginn der „Ersten Globalisierung“ der Bronzezeit besser zu verstehen.

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Felix Höflmayer forscht im Auftrag der Österreichische Akademie der Wissenschaften in der antiken Stadt Lachisch. © Reinhard Engel

Schriften haben wir bisher keine gefunden, sehr wohl aber Keramik.“ Felix Höflmayer ist gerade von einer ersten mehrwöchigen Ausgrabungsreise aus Israel zurückgekommen. Dort betreibt die Österreichische Akademie der Wissenschaften gemeinsam mit der Hebräischen Universität Jerusalem in der antiken Stadt Lachisch eine umfangreiche archäologische Grabung. Einem akademischen Kernteam von vier Wissenschaftlern gehen bis zu 30 Studenten aus den unterschiedlichsten Ländern zur Hand.
Worum geht es bei der Spurensuche tief unter dem Niveau des heutigen Israel? Lachisch liegt etwa 40 Kilometer südwestlich von Jerusalem. Hier stand über Jahrhunderte eine bedeutende Stadt, die mit ihren Befestigungen die Tiefebene Richtung Mittelmeer – etwa des heutigen Aschkelon – bewachte. Lachisch wurde auch mehrmals belagert und zerstört, was wiederum Archäologen die Möglichkeit bietet, genauer in die Tiefen der Zeit zu blicken.
Warum die Österreicher gerade hier graben? „Es geht darum, eine Blütezeit der alten Welt besser zu verstehen, die Spätbronzezeit. Manche nennen sie sogar eine erste Globalisierung. Auch wenn das etwas übertrieben ist, hat es einen wahren Kern. Es hat damals regen Handel im östlichen Mittelmeer und im angrenzenden Asien gegeben, inklusive diplomatischer Beziehungen“, erzählt Höflmayer.

©Jared Dye

Er und seine Wissenschaftlerkollegen versuchen, in Lachisch eben den Beginn dieser Epoche genauer zu datieren. Und sie haben eine These, die einen Teil der antiken Geschichtsschreibung etwas revidieren würde. Höflmayer: „Man ist bisher davon ausgegangen, dass das mittelbronzezeitliche Lachisch zerstört wurde, als die Ägypter die Hyksos aus Ägypten vertrieben und in Richtung Südlevante verfolgten.“ Die Hyksos waren aus der Levante gekommen, vermutlich aus der Gegend des heutigen Libanon, und mehrere ihrer Könige hatten in der so genannten zweiten Zwischenzeit in Ägypten geherrscht, zwischen dem Mittleren und dem Neuen Reich. Letzteres ist besonders durch den Fund des Grabes von Pharao Tutanchamun auch in der Allgemeinheit bekannt.
Mit dieser Vertreibung der Hyksos und dem Beginn der Vorherrschaft der Ägypter auch über die Südlevante, das Gebiet des heutigen Israel, setzte die Wissenschaft den Beginn der Spätbronzezeit an, um etwa 1550 vor unserer Zeitrechnung, manche gar erst um 1500 oder 1450. Höfl-mayer hat allerdings eine andere These, und die möchte er mit seiner Grabung belegen: „Wir meinen, dass diese Zerstörungen früher waren, noch vor 1600 vor Christus.“ Das bedeutet, dass es in der Region eben in dieser Zeit andere kriegerische Auseinandersetzungen gegeben haben muss, und damit wäre eine Neueinschätzung der gesamten Periode nötig.
Mit welchen Methoden und Hilfsmitteln arbeitet die moderne Archäologie in einem derartigen Fall? „Zuerst einmal haben wir uns einen Ort gesucht, an dem vor uns schon Grabungen stattgefunden haben und wir nicht von Null bis in jene Schichten vordringen mussten, die für uns interessant sind“, erläutert der Archäologe. Da Lachisch über längere Zeit eine bedeutende Stadt gewesen war, hatten hier bereits unterschiedliche Wissenschaftsteams gearbeitet, unter anderem von der Universität Tel Aviv. Die Österreicher können dort fortsetzen, wo andere Archäologen aufgehört haben.

„Es hat damals regen Handel im östlichen Mittelmeer und im angrenzenden Asien gegeben, inklusive diplomatischer Beziehungen.“
Felix Höflmayer

Zum Einsatz kommen unterschiedlichste Techniken. Natürlich werden alle Überreste, die man in der speziellen Schicht findet, untersucht, gesammelt und klassifiziert. Das sind vor allem einmal Keramikscherben, möglicherweise ganze Gefäße. Diese können nach ihrer Herkunft, ihrem Stil und ihrer Periode eingeordnet werden. Es gab regen Handel, vieles kam aus Übersee, etwa aus Kreta oder Zypern. Dann finden sich verkohlte Holzstücke – etwa aus Zerstörungen nach Kampfhandlungen. Diese Balken lassen sich auf ihre Jahresringe hin untersuchen, damit kann man festlegen, ab welchem Datum sie zum Hausbau verwendet wurden.
Und schließlich nutzen die Wissenschaftler die Radiokarbonmethode, bei der sich mittels Zerfall unterschiedlicher Kohlenstoffisotope das Alter von organischen Substanzen meist recht genau bestimmen lässt. Es sind vor allem Samen, die gesammelt, zugeordnet und dann in europäischen Massenspektrometern auf diese Weise datiert werden. „In manchen Perioden ist die Datierung recht ungenau, in manchen können wir einen Zeitraum auf bis zu 20 Jahre plus/minus eingrenzen. Das gilt auch für die Zeit, die wir hier untersuchen“, erläutert der Wissenschaftler.

Keramikscherben oder ganze Gefäße werden nach ihrer Herkunft, ihrem Stil und ihrer Periode eingeordnet. ©Jared Dye

Höflmayer kommt mit seiner Forschungsarbeit seinem Doktorvater, dem Wiener Ägyptologen Manfred Bietak, in die Quere. Dieser gräbt schon seit Jahrzehnten in der ehemaligen Hyksos-Hauptstadt Auaris in Tell el-Dab’a im ägyptischen Nildelta. Bietak ist ein Vertreter jener These, welche die mittelbronzezeitlichen Zerstörungen erst um 1500 oder 1450 datieren würde. Auf dem Gebiet des heutigen Israel sind die Österreicher seit mehr als einem Jahrhundert die Ersten. Bis in das Jahr 1904 war eine Expedition der Universität Wien hier aktiv, noch im Osmanischen Reich, vor dem Britischen Mandat.
Für seine Ausgrabungen wird der gebürtige Wiener Höflmayer vom Fonds für wissenschaftliche Forschung (FWF) gefördert, insgesamt 1,2 Mio. Euro, die für eine etwa sechsjährige Dauer reichen sollten – drei bis vier Jahre Grabung, zwei bis drei Jahre für die Dokumentation und Publizierung der Ergebnisse. „Aber es gelingt uns eventuell, noch zusätzlich internationale Forschungsmittel einzuwerben.“
Felix Höflmayer, Jahrgang 1978, hat in Wien promoviert und anschließend in Berlin und Amman für das Deutsche Archäologische Institut geforscht. Seit zwei Jahren ist er an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig, unterrichtet auch an der Universität Wien und bereitet seine Habilitation vor. Seine Forschungspartnerin Katharina Streit, gebürtige Tschechin, hat in Freiburg, Oxford und Jerusalem studiert. Sie arbeitet als Vertreterin der Hebräischen Universität Jerusalem am aktuellen Forschungsprojekt führend mit.

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