„Schreib nicht nur Gutes über mich“

Die erste Biografie des unvergesslichen Schriftstellers Amos Oz (1939–2018) hat der amerikanische Literaturwissenschaftler Robert Alter aus der Sicht eines langjährigen Freundes verfasst.

244

Wer Eine Geschichte von Liebe und Finsternis gelesen hat und vielleicht auch noch andere Bücher des israelischen Autors, mag vielleicht annehmen, schon fast alles aus dessen Familiengeschichte, Kindheit und früher Jugend auf wunderbarste Weise bereits erfahren zu haben. Mit der Zeit vor der Gründung des Staates in den VierzigerJahren beginnt die auch verfilmte Romanautobiografie, und sie endet nach über 750 Seiten mit dem Selbstmord seiner Mutter Fania, dem Trauma, das der 12-jährige Junge sein Leben lang nicht mehr loswerden wird.

Diesem so großartig erzählten Rückblick etwas Distanzierteres, Sachliches hinzuzufügen, es aus quasi objektiver Perspektive neu zu betrachten, ist ein Wagnis, dem sich Robert Alter vor allem in den Kapiteln über die jungen Jahre des späteren Autors ganz bewusst stellt.

Natürlich gibt es Leerstellen, Details und Ereignisse, die der damals über 60-jährige Erzähler seiner eigenen Geschichte nicht erwähnte, vielleicht auch gar nicht mehr erinnerte und die sein Biograf eher kursorisch ergänzte. Aber im Wesentlichen ist diese prägendste Lebensphase, die Metamorphose von Amos Klausner, als der er 1939 in Jerusalem geboren wurde, zu Amos Oz, der er als noch nicht mal 15-Jähriger im Kibbuz Chulda werden sollte, hinlänglich bekannt.

So sehr sich Oz auch bemühte, den Klausner in sich zu überwinden, sich auch ideologisch aus der Welt des Vaters, eines verschlossenen Bibliothekars aus der alten Welt Osteuropas und wie sein ehemals berühmter Onkel Joseph Klausner ein rechts stehender Zionist, zu lösen: Ganz gelingen wird es ihm nie. Ebenso wird er lebenslang das Gefühl haben, von seiner Mutter verlassen und daher „nichts wert zu sein, egal wie sehr ihn die Welt verwöhnte, in wie viele Sprachen er übersetzt wurde“, wie er in einem späten Interview feststellte.

„Schreib, dieser Mensch
war eine wandelnde Maskerade.“

Als „Waise“ erscheint er seiner späteren Ehefrau Nily, als sich die beiden im Kibbuz kennenlernen. Auch dort lange Zeit ein Außenseiter, reift er aber trotz widriger Umstände – tagsüber muss er am Feld arbeiten und kann nur nachts im Klo auf seinen Knien schreiben – schon früh zum Schriftsteller heran. Aus dem menschlichen Biotop im geschlossenen Mikrokosmos des Kibbuz schöpft er literarisch für seinen ersten Erzählband und bleibt der Kibbuz-Idee und Chulda auch verbunden, nachdem das Paar mit seinen inzwischen drei Kindern dieses verlässt und sich in der Negev-Wüste ansiedelt.

Vielschichtiges Porträt. 1970 lernt Robert Alter den inzwischen schon international bekannten Autor bei einer seiner Buchtouren in Kalifornien kennen. Von da an verfolgt er dessen Werk intensiver, als Literaturwissenschaftler, Hebräist und bald auch als Freund. Abseits der üblichen biografischen Chronologie porträtiert er nun dessen vielschichtige Persönlichkeit, den Familien- und Privatmenschen, Schriftsteller und Public Intellectual und nicht zuletzt den politischen Aktivisten Oz.

Großen Raum widmet Alter der genaueren Analyse einzelner Werke des zunehmend prominenten Schriftstellers, der gerade auf Grund seines internationalen Erfolgs in Israel „ganz grundsätzlich suspekt“ war. Als brillanter Performer und geschliffener Redner, auch in perfektem Englisch, genoss Oz die große Bühne auf Veranstaltungen und immer häufigeren Preisverleihungen durchaus. Davon konnte man auch hierzulande bei der ihm gewidmeten zweitägigen „Literatur im Nebel“ 2007 in Heidenreichstein einen ganz besonderen Eindruck gewinnen.

Dass er bei solchen Gelegenheiten immer auf „die Lage“ in Israel angesprochen wurde, war er längst gewohnt und reagierte entsprechend professionell, bis zuletzt auch publizistisch und aktivistisch als Vertreter der „Zweistaatenlösung“.

Fanatiker aller Richtungen waren sein Feindbild, und heutzutage wird man diese neue Biografie kaum lesen können, ohne sich zu fragen, was Amos zur aktuellen Situation Israels, das er liebte, „auch dann, wenn er es nicht ausstehen könne“, zu sagen hätte. Gemeinsam mit dem damals noch lebenden A.B. Jehoshua und dem wesentlich jüngeren David Grossman seien sie „Dinosaurier“, meinte er einmal. Nachfolgende Autorengenerationen hätten nicht mehr das Bedürfnis, sich öffentlich zu politischen Fragen zu äußern.

„Schreib nicht nur Gutes über mich“, bat er seiner Freundin Nurith Gertz, der er sich, schon vom Krebs gezeichnet, für eine Gesprächsreihe öffnete. „Schreib auch, dieser Mensch war eine wandelnde Maskerade.“

In seiner empathischen, dennoch um kritische Distanz bemühten Biografie versucht Robert Alter hinter einigen dieser Masken ein lebensechtes Bild dieser „Ikone“ freizulegen.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here