Sehnsucht Ausland

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Englischkenntnisse sind überaus nützlich in der heutigen Welt, finden viele Israelis. Damit haben sie ja durchaus Recht. Aber manchmal übertreiben sie es mit ihrer Bewunderung für alles Nicht-Hebräische. Kolumne Gisela Dachs

Shimon Friedländer ist Anfang dreißig und Heilpraktiker. Als Spezialist für chinesische Medizin hat er sein Handwerk in Peking gelernt. Nach seiner Rückkehr eröffnete er eine eigene Praxis in Jerusalem. Um das Geschäft voranzubringen, haben ihm gut meinende Freunde nun geraten, seinen hebräischen Vornamen abzulegen und sich stattdessen einen – nein, nicht chinesischen, sondern englischen – zuzulegen. Denn wer wollte schon zu Shimon, dem Akupunkteur, gehen! Weil ihm eine völlig neue Identität schwerfiel, griff er auf seinen zweiten Vornamen zurück – glücklicherweise Paul. Das passte schon viel besser als Werbung, fanden die Berater. Da sich Shimons Frau allerdings immer noch hartnäckig weigert, von nun an nur noch Paul zu ihrem Angetrauten zu sagen, steht als Kompromiss Shimon Paul Friedländer auf der Visitenkarte.

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Es mag ja sein, dass Shimon – wenn er in Tel Aviv wäre – gerade mit seinem hebräischen Vornamen schon wieder als cool wahrgenommen würde. Eben als Kontrast in den Ohren der globalen High-Tech-Ingenieure und Software-Programmierer, die längst auch untereinander oft in Englisch per E-Mail korrespondieren – Fehler inbegriffen. Manche haben sich mittlerweile so sehr an ihr internationales Netzwerk gewöhnt, dass sie sich mit dem hebräischen Tastenfeld (die Buchstaben sind jeweils direkt unter den englischen) fast schon schwer tun.

Jedenfalls ist es der ehrwürdigen Akademie der hebräischen Sprache nun des Englischen allmählich zuviel. Sie schlug beim Erziehungsministerium Alarm gegen den zunehmenden Gebrauch von Englisch an den Universitäten. Wenn man dagegen nichts unternähme, warnte die Generaldirektorin Tali Ben Yehuda, „würden die akademischen Institutionen im Land bald nur mehr in dieser Sprache unterrichten“. Dieser Trend wiederum würde sich dann schnell auf die Gymnasien ausweiten, denn „keine Eltern werden ihre Kinder in eine Schule schicken, die ihren Nachwuchs nicht auf ein Universitätsstudium vorbereitet“.

Immer mehr Studiengänge in englischer Sprache

Damit soll rechtzeitig die Bremse gezogen werden. Tatsächlich gibt es inzwischen immer mehr Studiengänge in englischer Sprache. Sie sind attraktiv für Ausländer, aber eben auch für gebürtige Israelis, die ihr Sprachniveau heben wollen. Auch schreiben nicht wenige Studenten ihre Master- oder Doktorarbeit auf Englisch, weil sie international wahrgenommen werden wollen; und manche Fachbereiche (in Israel!) erkennen Artikel in hebräischer Sprache tatsächlich nicht als akademische Veröffentlichungen an.

Grundsätzlich gibt es über den Sinn, des Englischen mächtig zu sein, sich also draußen in der Welt orientieren und mithalten zu können, natürlich keinen Streit. Die Kinder lernen Englisch ab der ersten Klasse, wenn auch nur spielerisch. Dabei geht es vor allem darum, sich von Anfang an die richtige Aussprache zu gewöhnen. Die Lehrerinnen sind deshalb Muttersprachlerinnen. Dass amerikanische Filme nicht sychronisiert werden, weder fürs Fernsehen noch fürs Kino, kann in dieser Hinsicht dem Nachwuchs auch nur helfen.

Aber vielleicht lassen sich ja die Bedenken der hebräischen Akademiker in einen größeren Kontext stellen: nämlich das Verhältnis vieler säkularer Israelis zum Ausland, das oft mit einer unreflektierten Bewunderung einhergeht. „Chul“ (abgekürzt für „chuz la aretz“) steht wörtlich für außerhalb des Landes, gemeint aber ist in der Regel natürlich die westliche Welt, wo eben alles besser, günstiger, schöner ist. Erst gestern schwärmte ein Cafébesucher im Gespräch mit einem Bekannten laut über einen neu renovierten Boulevard in Tel Aviv, der nun so aussehe „wie im Ausland“. Gleich danach wurde am Nebentisch eine Frau gefragt, ob sie ihre tollen Schuhe „im Ausland“ gekauft habe. Was heißt: Bei uns kann man die doch sicherlich nicht finden …

Was fast immer mitschwingt bei diesen Bewunderungsklagen ist eine Mischung aus Sehnsucht nach besseren Verhältnissen, Minderwertigkeitskomplexen und Ärger über die Geografie des eigenen Landes. Dass man allerdings seit vorigem Sommer damit begonnen hat, hiesige Preise mit denen im Ausland nicht nur zu vergleichen, sondern zu hinterfragen, hebt die Diskussion auf eine andere Ebene. So gibt es nun gegen den Lebensmittelkonzern Strauss einen Boykottaufruf, weil dessen Schokoriegel „Pesek Sman“ in New York für weniger als den halben Preis zu haben ist und diese Enthüllung, eine Woche vor Purim, einen großen Skandal verursachte.

Eine Schnittstelle zwischen dem Drinnen und Draußen ist der Flughafen

Es handelt sich um das Nadelöhr schlechthin, das aus dem Land führt (besonders seitdem nun auch der Grenzübergang in den Sinai besser gemieden wird). Manchmal reiche schon das Schnuppern der Atmosphäre, um sich besser zu fühlen, heißt es in Meir Ariels berühmtem Schlager „I love you terminal I love you“. Wo sonst noch gibt es ein Land, das seinen Flughafen patriotisch besingt!

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Als der Text geschrieben wurde, funktionierte noch der alte Flughafen Ben Gurion, ohne all den weltläufigen glitzernden Marmor, Stahl und Rolltreppen. Heute wird dieses – weit abgelegene – Gebäude nur noch zum Einchecken bei Billigflügen benutzt. Von dort flog meine Nichte vorige Woche zurück nach London. Ich gebe zu, ich war richtig nostalgisch, als ich sie hinbrachte.

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