1907 hatte Wien allein in der City und auf der Mariahilfer Straße mehr als 20 Kaufhäuser. Die meisten waren von jüdischen Unternehmern gegründet worden, wie die aktuelle Ausstellung Kauft bei Juden! im Jüdischen Museum Wien zeigt.
Von Reinhard Engel
„Nie mehr beim zwieback kleider kaufen.“
Elfriede Gerstl
Wien fühlte sich noch international, als Österreich schon zum Kleinstaat geschrumpft war: In einer Eintragung im Handbuch der Wiener Gesellschaft aus dem Jahr 1926 hieß es: „Das pariserischste aller Warenhäuser der Welt ist weder auf dem Boulevard Haussmann noch auf dem Boulevard des Italiens zu finden; es liegt in der Wiener Kärntnerstraße! Es ist eigentlich unnötig hinzuzufügen, dass es sich um Zwieback handelt.“
Das Modehaus Ludwig Zwieback & Bruder an der Ecke Kärtnerstraße/Weihburggasse bot auf vier Stockwerken Konfektion und Maßgeschneidertes an. Die Burgschauspielerin und langjährige „Opernball-Lady“ Lotte Tobisch-Labotyn, die als Kind im gegenübergelegenen Wäsche- und Kinderhaus von Ignaz Bittmann eingekleidet worden war, erinnert sich noch gut daran, dass es auch in der Zwischenkriegszeit noch „sehr elegant“ gewesen sei.
Die beiden Familien Zwieback und Zirner betrieben bis 1938 das Kaufhaus Ludwig Zwieback & Bruder. Das 1877 von Ludwig und Emanuel Zwieback zunächst in der Mariahilfer Straße und später mit der Hauptfiliale auf der Kärntner Straße gegründete Modehaus zählte damals zu den bedeutendsten, elegantesten und modernsten Wiens. Das Maison Zwieback auf der Kärntner Straße – 1895 nach Plänen des ungarischen Architekten Friedrich Schön erbaut – spezialisierte sich ursprünglich auf Damenkonfektion, verfügte aber auch über ein Restaurant, eine American Bar, einen Tearoom und hatte Personenlifte sowie elektrische Beleuchtung. Die Gebrüder Zwieback waren – wie etliche andere jüdische Unternehmer der Textilbranche – ursprünglich aus Ungarn zugewandert und hatten es innerhalb einiger Jahrzehnte zu Wohlstand und zum Hoflieferantentitel gebracht.
„Für alle Gesellschaftsschichten bot das Kaufhaus die Illusion des Glücks in einem Tempel des Konsums, in dem alles neu war“, schreibt Danielle Spera in der Einleitung des üppig bebilderten Ausstellungskatalogs. „Eine unendliche Auswahl an Waren aller Art bei freiem Eintritt und ohne unter dem Druck zu stehen, etwas kaufen zu müssen.“
Die Eröffnung von Zwieback in der Kärntner Straße fiel schon in die Hochblüte der Wiener Warenhäuser. Zuvor war die Stadt, was die Präsentation und den Verkauf von Luxuswaren anlangt, im europäischen Vergleich lange ein Nachzügler gewesen. Während in London oder Paris in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits Einkaufspassagen eröffnet wurden, in denen sich spezialisierte Läden drängten, bot sich dafür in der Habsburger Residenzstadt vor Abbruch der Befestigungen nicht genug Platz. Erst in den Jahren 1855 bis 1860 baute Heinrich von Ferstel auf der Freyung die erste Einkaufspassage.
1865 eröffnete der Stoff- und Teppichhändler Philipp Haas am Stephansplatz das erste Wiener Warenhaus, und bis diesem weitere nachfolgten, sollte es noch einige Jahrzehnte dauern. Erst in den 1890er-Jahren ging es Schlag auf Schlag, und es waren die besten Architekten der Zeit, die zu Planung und Bau beigezogen wurden: Ferdinand Fellner und Hermann Helmer, August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll, Otto Wagner. Innerhalb kürzester Zeit wurden einige Kaufhäuser neu errichtet, so das Teppichhaus Samuel Schein am Bauernmarkt oder das Metropolitan Clothing Palace Neumann auf der Kärntnerstraße (heute Steffl). Andere bereits bestehende Geschäfte wurden vergrößert, modernisiert, erweitert: Dazu gehörten etwa ein Zubau zu Herzmansky auf der Mariahilfer Straße sowie ein “großzügiger Erweiterungsbau“ zum Gerngross.
Ebenfalls auf der Mariahilfer Straße ließ der aus Belgien kommende eigentlich deutsche Stefan Esders sein Konfektions- und Wäschehaus Zur grossen Fabrik errichten (das heutige Möbelhaus Leiner). In der City galt übrigens für Neubauten meist das Modell der gemischten Bauweise: Die unteren zwei Etagen dienten den Geschäften, darüber plante man elegante Wohnungen im Ringstraßenstil. Diesem Muster entsprachen etwa das Wäschegeschäft Braun am Graben, das heute noch existiert, aber H & M beherbergt, sowie die Loos-Aufträge der Herrenschneider Goldmann & Salatsch am Michaelerplatz (heute eine Raiffeisenbank) und Knize am Graben.
Die meisten dieser Modehäuser zielten auf die neuen Mittelschichten als ihre Kundenkreise. Unternehmer wie Esders (einer der wenigen Katholiken unter den vorwiegend jüdischen Grün-
dern) oder Jacob Rothberger setzten erstmals moderne Werbe- und Marketingmethoden wie Zeitungsinserate oder Plakate ein, in manchen Verkaufsräumen sollte schon damals Musikberieselung die Kauflust der Kunden stimulieren. Und das Warenhaus wurde auch von den Oberschichten bereitwillig angenommen. So manche adelige und großbürgerliche Dame verbrachte jetzt einen guten Teil ihrer Zeit auf den eleganten Treppen und schwülstig geschmückten Etagen der neuen Geschäfte.
Einer der bekanntesten Warenhausunternehmer war Alfred Abraham Gerngross
Er stammte aus einer jüdischen Familie in Bayern und zog nach Wien, um Kaufmann zu werden, lernte diesen Beruf auch bei August Herzmansky, einem Zuwanderer aus Mähren, in dessen 1863 gegründeten Geschäft in der Kirchengasse. Aber Gerngross wollte nicht Kommis bleiben, er hatte Ambitionen, selbst Unternehmer zu werden. 1879 gründete er an der Ecke Kirchengasse/Mariahilfer Straße ein Stoffgeschäft. Kurze Zeit arbeitete er noch mit Herzmansky zusammen, aber zwei Jahre später trennte man sich und wurde zu Konkurrenten.
Die neue Firma expandierte schnell. Gerngross und sein nachgezogener Bruder Hugo konnten innerhalb kurzer Zeit eine Reihe angrenzender Häuser erwerben und die Verkaufsfläche laufend vergrößern.
Zu ihren geschäftlichen Innovationen zählten damals etwa Fixpreise, man hatte zuvor auch in den Läden noch regelmäßig gefeilscht. Gleichzeitig führte Gerngross moderne Marketinginstrumente wie Sonderangebote ein.
Im Jahr 1904 wurde der Gerngross-Neubau durch das Architekturbüro Fellner und Helmer feierlich eröffnet. Das war eine moderne Betonkonstruktion mit einem lichtdurchfluteten glasüberdachten mehrgeschossigen Innenhof, mit einer „goldenen Stiege“, mehreren Liften und einer ersten Rolltreppe. Alfred Gerngross starb im Jahr 1908 und wurde auf dem alten jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs bestattet. Selbst die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung würdigte in einem Nachruf seine soziale Einstellung gegenüber den Beschäftigten. Das Unternehmen wandelten die Erben im Jahr 1911 in eine AG um, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg sah das Haus seine Blütezeit mit mehr als 1.600 Beschäftigten.
Eine andere Erfolgsstory schrieb der aus Ungarn stammende Jacob Rothberger. Er hatte in Paris als Schneider gearbeitet und 1861 am Stephansplatz in einem dritten Stock seinen ersten Laden eröffnet. Bald schon konnte er erweitern und ebenerdige Auslagen gegenüber dem Dom bestücken. Bis zu seinem Tod 1899 war die Firma kräftig gewachsen: Ihm gehörten die beiden im Neorenaissancestil von Fellner und Helmer errichteten bzw. umgebauten Häuser Stephansplatz 9 und 11. Darüber hinaus betrieb er noch mehrere Filialen in Wien, zudem weitere in Prag, Budapest, Paris und London.
Rothberger bot zwar selbst in bester Lage neben gutbürgerlicher Herrenkonfektion im Souterrain in der so genannten „Kleiderschwemme“ immer noch billige Secondhandware an, aber zu seinem Kundenkreis gehörten mehrere Hocharistokraten. Sein Geschäft wurde in der Presse denn auch häufig als „Kleiderpalast“ bezeichnet. Rothberger stand übrigens öffentlich zu seinem Judentum. So schrieb Die Neuzeit bei der Eröffnung des ersten großen Hauses am Stephansplatz: „Die Eröffnung wurde nach Brauch und Sitte der Väter durch den Wiener Rabbiner Dr. Adolf Jellinek vorgenommen. Bevor Herr und Frau Rothberger die bekannte Benediction sprachen, in welcher sie Gott dankten, dass er sie diese Zeit habe erleben lassen, erinnerte der Prediger sie daran, wie die Zeiten zum Besten der Juden sich geändert haben, indem ein Bekenner des Judentums auf einem der schönsten Plätze der Residenz, dem alten Stephansdome gegenüber ein so herrliches Haus sich erbaut habe, dessen Name niemanden in Zweifel lässt, dass er ein Sohn Israels ist.“
Auch die Konkurrenz ließ derartige Zweifel nicht aufkommen. Über Jahrzehnte fochten die alteingesessenen Wiener Gewerbetreibenden einen politischen Kleinkrieg gegen die neuen Handelsformen – oft genug unterspickt mit hässlichen antisemitischen Tönen: Man bekomme dort nur minderwertige „Pofelware“, zudem gebe es gar keinen Bedarf für Warenhäuser in Wien – so oder ähnlich war der Tenor dieser Kampfansagen.
In den 30er-Jahren nahmen dann die antijüdischen Aktionen zu. Nun waren es die – noch illegalen – Nationalsozialisten, die sich hervortaten. So gab es etwa im Jahr 1932 am so genannten goldenen Einkaufssonntag vor Weihnachten im Kaufhaus Gerngross einen Anschlag mit Tränengasgranaten und Stinkbomben.
1938 wurde das Haus schon in den ersten Tagen nach dem „Anschluss“ arisiert, jüdisches Management und jüdische Angestellte wurden entlassen. Anderen Warenhausbesitzern erging es ähnlich. Ob es die Familien Gerngross, Zwieback oder Rothberger waren, nur die Glücklicheren schafften die Flucht nach England, Amerika, Kanada oder Kuba. Viele andere wurden in der Schoah ermordet.
„Die Rückstellung der Warenhäuser dauerte lang“, schreibt der Linzer Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber nüchtern im Ausstellungskatalog. Diese Rückgabe umfasste aber oft völlig heruntergewirtschaftete oder überhaupt ruinierten Häuser, kaum mehr als die nackten Immobilien. So waren etwa die beiden Rothberger-Häuser zu Kriegsende ausgebrannt, aber nicht wegen eines Bombentreffers, sondern weil Plünderer Feuer gelegt hatten. Die meisten Besitzer verkauften, oft an internationale Gruppen, die Wiener Warenhäuser sollten nie wieder im alten Luxus auferstehen. Heute betreiben vorwiegend Immobilienunternehmen einen Geschäftstypus „innerstädtische Mall“ mit Shops unterschiedlicher Marken. Das mag erfolgreich sein, aber der Zauber und Glanz der Kaufhäuser um die Jahrhundertwende, wie sie das Maison Zwieback ausstrahlte, konnte nicht wieder evoziert werden.