Sei doch kein Silberstein …

Über Unterschiede zwischen einem steirischen Parteitag und einer jüdischen Festtagsgesellschaft, über das eigentliche Debakel dieser Republik und darüber, wer aufzeigt, wenn heute wieder die Silbersteins aufgerufen werden.

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Doron Rabinovici / © APA Picturedesk/ Marko Lipus

Manche Fragen können nicht einmal durch das Jerusalemer Oberrabbinat geklärt werden. Wer etwa ist ein Silberstein? Ist das einer, dessen Vater Silberstein hieß? Oder genügt es bereits, wenn die Urgroßmutter mütterlicherseits eine Goldberg war? Sicher: Mit den Silbersteins sind ganz gewiss immer nur jene Menschen gemeint sind, die schmutzige Kampagnen planen. Wer denn sonst? „Sei doch kein Silberstein“, zischen ei­nander manche hinter vorgehaltener Hand zu, ob sie nun Puller, Pöhacker oder Kickl heißen. „Mach mir den Silberstein“, flüstern sie einander zärtlich ins Ohr, ob sie nun ein Gudenus, Strasser oder Westenthaler sind. So war es hierzulande immer schon Tradition – von Haider über Blecha bis Olah.
Schmutzige Kampagnen müssen in Österreich nicht aus Israel importiert werden. Das gibt es alles auch „Made in Austria“. Fälschungen sind hier nichts Neues. Da waren etwa grünlich angehauchte Wahllisten, die in manchen Provinzstädten von der regierenden Landespartei ins Leben gerufen wurden, um die eigentlichen Grünen zu sabotieren. Hans Christian Strache warf vor wenigen Jahren dem Kanzler Werner Faymann ein türkisches Plakat vor, das gar nicht von der SP gedruckt worden war. Und wer erinnert sich nicht an alle Verleumdungen gegen den Präsidentschaftskandidaten Van der Bellen.

Schmutzige Kampagnen müssen in Österreich
nicht aus Israel importiert werden.
Das gibt es alles auch „Made in Austria“.

Aber wer kann das Ausmaß dessen, was diesmal geschah, beschönigen? Fake sites mit rassistischen und antisemitischen Diffamierungen zu erfinden, ist niederträchtig. Wer aller von den Machenschaften des Tal Silberstein wusste, wird vor Gericht zu klären sein, doch es braucht keinen Silberstein, um zu solchen Mitteln zu greifen. Redaktionelle Verantwortung und Urheberschaft werden in digitalen Zeiten ausgehöhlt. Zu einfach ist es jetzt, unter falschem Namen im Netz Lügen in Umlauf zu bringen.
Aber dem Namen Silberstein wohnt ein ganz eigener Zauber inne. Wer sagt, die Wahl sei eine Volksabstimmung darüber, ob man die Silbersteins in Österreich haben wolle, der schlägt – ob bewusst oder nicht – auch Töne an, die auf einem steirischen Parteitag anders klingen als etwa in einer jüdischen Festtagsgesellschaft. Wenn erklärt wird, man wolle diese Republik silbersteinfrei machen, schwingt unweigerlich mit, was an österreichisch-jüdische Vergangenheit gemahnt.
Silberstein wurde in diesem Wahlkampf zum Inbegriff für das Jüdische schlechthin. Auf Plakaten des Kanzlers tauchten prompt antisemitische Symbole auf. Die Verschwörungstheorien über Sebastian Kurz und George Soros, die auch auf der Fake-Seite Silbersteins gepostet worden waren, wurden von Freiheitlichen wie Johann Gudenus und Ursula Stenzel nur allzu gerne weitergeleitet. Ganz offen und direkt.
Die Evangelisten des Rassismus zu bestärken und ihnen wichtige Ministerien zuzuschanzen, ist das eigentliche Debakel dieser Republik, die keine Grenze zum Rechtsextremismus zieht.
Manche meinen, es sei überzogen, immerzu vom Antisemitismus zu reden. Nun, zuweilen wird der Vorwurf des Antisemitismus zu schnell erhoben, doch wir erleben derzeit, wie jüdische Institutionen Zielobjekt mörderischer Attentate sind. Orthodoxe werden in europäischen Ländern von islamistischen und rechtsextremen Aktivisten attackiert. In Ungarn setzt die Regierung auf die alten Ressentiments. In dieser Situation muss man nicht einmal Silberstein heißen, um aufzuschreien, wenn die Silbersteins aufgerufen sind.

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