„Siedlungsbau gefährdet die friedliche Einigung“

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Viel Kritik handelte sich Christine Muttonen (SPÖ) ein, als sie die besondere Kennzeichnung von „Produkten aus den völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen“ verlangte./ © Zach - Kiesling Roman/Picturedesk.com

Die außenpolitische Sprecherin der SPÖ steht selten im Rampenlicht. Mit ihrer Forderung, „Produkte aus den völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen genau zu kennzeichen“ heimste sie umso mehr Aufmerksamkeit und Kritik ein. Auch über die Türkei, Syrien und den Golan sprach Christine Muttonen mit Marta S. Halpert.

wina: Sie kommen soeben von der Jahresversammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Istanbul, an der 260 Parlamentarier aus 57 Mitgliedsstaaten teilgenommen haben. Wurden in diesem Plenum auch die Bürgerproteste und deren brutale Niederschlagung in der Türkei erörtert?

Christine Muttonen: Natürlich waren die Vorkommnisse in der Türkei auch Thema der Tagung. Die Position der SPÖ ist hier ganz klar. Die übertriebene Gewalt, mit der die Regierung Erdogan gegen überwiegend friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten vorgegangen ist, ist erschreckend und stimmt nicht mit den europäischen Vorstellungen von Demokratie, Menschenrechten und Rechtstaatlichkeit überein. Auch wie mit Kritik aus dem Ausland umgegangen wurde, ist nicht akzeptabel. Die umfassende Achtung der Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit halte ich nicht für verhandelbar und fände es daher richtig, vorerst kein neues Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu eröffnen.

wina: Auf der Tagungsordnung in Istanbul stand auch der Krieg in Syrien. Welche Haltung nimmt das OSZE-Parlament zu diesem Konflikt ein?

„Eine gemeinsame Position zu finden, ist äußerst schwer.“

CM: Syrien ist regelmäßig Thema in den Sitzungen der parlamentarischen Versammlung der OSZE. Eine gemeinsame Position, insbesondere mit Russland, zu finden, ist jedoch äußerst schwer. Wir haben aber in Istanbul eine auch von mir unterstützte Resolution verabschiedet, die die internationale Gemeinschaft unter anderem dazu auffordert, die Nachbarländer bei der Versorgung syrischer Flüchtlinge finanziell besser zu unterstützen.

wina: Es wird zunehmend öffentlich diskutiert, dass sich sowohl die österreichische Regierung generell als auch die SPÖ im Besonderen in der Außenpolitik abgemeldet hat. Ist diese Kritik berechtigt?

CM: Diese Kritik halte ich für unberechtigt. Die SPÖ und allen voran der Bundeskanzler und der Bundespräsident betreiben eine sehr engagierte Außen- und Europapolitik. Österreich ist z. B. eine treibende Kraft bei der Einführung der Finanztransaktionssteuer. Wir haben uns auch sehr für eine Jugendgarantie nach österreichischem Vorbild in der EU eingesetzt, die Jugendlichen innerhalb von vier Monaten einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz garantiert. International leistet Österreich auch nach dem Abzug vom Golan einen wichtigen Beitrag bei UN-Friedensmissionen. Beispielsweise auf dem Balkan, wo wir die KFOR im Kosovo und die EUFOR-Althea in Bosnien unterstützen. Seit 2011 ist Österreich zudem mit 179 Soldaten im Libanon präsent. Ich erinnere nur an die Vorreiterrolle Österreichs beim Verbot von Streumunition. Auch unser Engagement im UN-Menschenrechtsrat ist auf viel Anerkennung gestoßen. Das sind nur einzelne Beispiele, die gut zeigen, dass wir außenpolitisch Akzente setzen.

wina: Sie haben den Abzug der österreichischen UNO-Soldaten vom Golan gutgeheißen. War das nicht eine wahltaktisch überstürzte, kurzsichtige Aktion?

CM: Nein, war es nicht. Wir unterstützen die Mission schließlich seit bald 40 Jahren. Der Abzug kam auch nicht überraschend. Die österreichische Regierung hatte vorher wiederholt darauf hingewiesen, dass ein Ende des EU-Waffenembargos und Waffenlieferungen an die syrischen Rebellen den Abzug der österreichischen Soldaten zur Folge hätten. Hinzu kam, dass die demilitarisierte Zone zum Bürgerkriegsgebiet geworden ist. Neben den syrischen Sicherheitskräften agieren dort iranische Milizen, die Hisbollah und viele – teils extrem islamistische  –  Rebellenorganisationen. Wir wissen weder, wie verlässlich die einzelnen Akteure sind, noch wissen wir, wie sie zur UN-Mission stehen. Es war daher der Punkt erreicht, an dem das UN-Mandat nicht nur für uns nicht mehr erfüllbar war, sondern wir auch der Verantwortung für die Sicherheit unserer Soldaten nicht mehr gerecht werden konnten.

wina: Zuletzt haben Sie Aufmerksamkeit erlangt, weil Sie in einer parlamentarischen Anfrage verlangten, dass „Produkte aus den völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen korrekt gekennzeichnet werden.“ War das Ihre persönliche Initiative oder die abgesprochene Parteilinie?

CM: Meine Anfrage zielte darauf ab, von der österreichischen Regierung zu erfahren, wie sie ein entsprechendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes umsetzen will, wonach Produkte aus Siedlungen bei der Einfuhr in die EU keine Zollbegünstigung erhalten dürfen. Diese Frage wird zurzeit auf EU-Ebene und in vielen Mitgliedsländern intensiv diskutiert und hat auch zu einem gemeinsamen Brief von 13 Außenministern an die EU-Kommission geführt. Es wäre für alle Seiten sinnvoll, wenn die EU hier bald zu einer einheitlichen Vorgangsweise finden würde.

wina: Sie sagten, so eine Kennzeichnung der Waren wäre „verbraucherfreundlich“. Was meinten Sie damit?

CM: Großbritannien und Dänemark haben so die Änderung in ihren Zollkodexen begründet. Darauf habe ich in der Anfrage Bezug genommen. Fakt ist jedenfalls, dass es mit der bisherigen Regelung nur sehr schwer möglich ist festzustellen, wo genau eine bestimmte Ware ihren Ursprung hat. Das hat der EU den Vorwurf eingebracht, den Siedlungsausbau indirekt zu fördern. Umso wichtiger ist es, hier eine vernünftige Lösung für die Zukunft zu finden.

wina: Auch Gegner der Siedlungspolitik meinen, dass diese Kennzeichnung letztlich tausenden palästinensischen Familien schaden würde: Denn im Westjordanland arbeiten rund 22.000 Palästinenser für israelische Unternehmen.

CM: Auf dem so genannten „israelischen Ticket“ verkaufen sie viel mehr als durch eigene Kanäle. Ich freue mich für jeden Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin, die im Westjordanland über eine Arbeit und ein geregeltes Einkommen verfügt. Damit mittel- und langfristig noch viel mehr Menschen in der Region Arbeit und Beschäftigung finden, bedarf es einer friedlichen und stabilen Entwicklung im Nahen Osten. Der fortgesetzte Siedlungsbau gefährdet jedoch die friedliche Einigung im Sinne einer Zweistaatenlösung. Er schwächt die gemäßigten palästinensischen Kräfte, die auf eine friedliche Konfliktlösung mit Israel setzen, und stärkt diejenigen, die eine gewaltsame Auseinandersetzung suchen. Diese Politik schafft keine Arbeitsplätze, sondern gefährdet den Frieden und damit auch die Arbeitsplätze, die es bereits gibt.

wina: Haben Sie Israel in offizieller Funktion oder privat schon einmal besucht?

CM: Ja, ich war sowohl privat als auch in offizieller Funktion in Israel. Zuletzt erst im April 2013, als ich mit Kollegen der parlamentarischen Versammlung des Europarates in der Region unterwegs gewesen bin.

Zur Person

Christine Muttonen, geb.1954 in Leoben, aufgewachsen in Villach. Studium der Anglistik und Geschichte an der Uni Wien. Bis 1999 Lehrerin an der HTL in Villach, Nationalratsabgeordnete der SPÖ seit 1999, Mitglied des Landesparteivorstandes der SPÖ Kärnten seit 2000, Kultursprecherin der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion und Obfrau des Kulturausschusses bis 2009. Bereichssprecherin für Außen- und EU-Politik und Obmannstellvertreterin im ständigen Unterausschuss in Angelegenheiten der EU seit 2009.

 

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