Spazieren durch das jüdische Wien

Die Covid-Pandemie brachte auch den Städtetourismus zum Erliegen. Nun ist die Innenstadt wieder voller Touristen. An sie, aber auch Wiener und Wienerinnen wendet sich das Angebot der IKG Wien, mit Walking Tours durch die Stadt das jüdische Wien zu erkunden.

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© IKG / Infopoint/Schmidl

Ein sonniger Sommervormittag am Desider-Friedmann-Platz: Ein Soldat geht auf und ab und hat jeden im Blick, der die Straßenzüge rund um den Stadttempel betritt. Auf einem Fenster wurde ein Plakat mit der Aufschrift „Explore Fascinating Jewish Vienna“ affichiert. Darauf Fotos von Führungen durch das jüdische Wien und mittendrin Walter Juraschek, der nun gegenüber, vor dem Hoteleingang, auch ganz real auf die heutigen Tourteilnehmer wartet. Angesagt haben sich Gäste aus den USA. Juraschek ist ein geprüfter Austria Guide, seit rund 15 Jahren mache er auch Touren durch das jüdische Wien, erzählt er. Inzwischen führt er diese im Rahmen des 2019 geschaffenen Infopoint Jewish Vienna der IKG durch, der seit Sommer 2021 von Viktor Zirelman geleitet wird.

© IKG / Infopoint/Schmidl

Die Walking Tours führen durch die bewegte jüdische Geschichte der Innenstadt und des zweiten Bezirks.

Der Tourismusfachmann ist derzeit dabei, das Angebot an Führungen zu erneuern und zu erweitern. Die tägliche Führung durch den Stadttempel haben inzwischen junge Guides aus der Community übernommen – sie erzählen aus der bewegten Geschichte dieser Synagoge und der vergangenen jüdischen Gemeinden Wiens und beantworten bei Interesse auch Fragen zum jüdischen Leben in Wien heute. Mit Juni starteten zudem die Walking Tours – sie führen durch die Innenstadt, in den zweiten Bezirk oder um die Ringstraße. 45 Prozent der Palais wurde von Juden beziehungsweise jüdischen Familien erbaut, erzählt Juraschek.

Er zeigt an diesem Vormittag den amerikanischen Gästen jüdische Orte von heute und damals in der Wiener Innenstadt. Vom Desider-Friedmann-Platz geht es durch die Seitenstettengasse, vorbei am Stadttempel und zum Morzinplatz. Auf einem Tablet lässt er mit historischen Aufnahmen das Hotel Metropol wiedererstehen, erzählt vor dem Denkmal für NS-Opfer zu Gedenkpolitik, reißt mit Blick über den Donaukanal kurz die Geschichte der zweiten jüdischen Gemeinde in der heutigen Leopoldstadt an. Dann geht es zurück über die Herzlstiege mit – richtig – einigen Worten zu Theodor Herzl und Zionismus, weiter durch die Judengasse zum Hohen Markt. Die Anekdote über den Weihnachtsbaum in Fanny Arnsteins Salon amüsiert die Zuhörenden – leider steht das Palais von damals, in das sich die Familie eingemietet hatte (Grunderwerb war ihr zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht möglich), nicht mehr. Weitere Stationen an diesem Vormittag sind der Judenplatz, zentraler Ort der mittelalterlichen Gemeinde, der Kohlmarkt mit Anekdoten zu jüdischen Hoflieferanten von einst und die Dorotheergasse, wo sich das Haupthaus des Jüdischen Museums befindet. Juraschek ist es wichtig darzustellen, dass Juden in Wien zentral für die Entwicklung der Gesellschaft waren, betont er. Was er dagegen ablehnt ist so genannter Schwarzer Tourismus, also Führungen, die sich nur auf Gräueltaten konzentrieren.

© IKG / Infopoint/Schmidl

Dennoch müsse die NS-Geschichte, aber etwa auch das blutige Ende der mittelalterlichen Gemeinde vermittelt werden, so der Guide – aber eben nicht nur. Die richtige Mischung zu finden, sei „ein Drahtseilakt“. Um die richtige Mischung geht es auch bei den weiteren Plänen Zirelmans. Gemeinsam mit Awi Blumenfeld recherchiert er weitere Details, Gebäude, Objekte, über die bei den Walking Tours erzählt werden kann. Bereits jetzt kooperiert er mit Uniworld, einem Boutique-Flusskreuzfahrtunternehmen, das seinen Reisenden die Touren durchs jüdische Wien anbietet. Dass Zirelmans Bemühungen bereits Früchte tragen, davon zeugt auch ein jüngst zuerkannter Preis: Der Infopoint Jewish Vienna erhielt den Travel and Hospitality Award 2022 in der Kategorie „Extraordinary Cultural Experience of Austria“.

wea

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