Spürbarer Hass

1602

Versöhnung ist wichtig und der Glaube an das Gute ein schöner Wesenszug. Und dann gibt es Situationen, in denen man sieht: Es wird niemals so sein. Bei manchen sitzt der Hass unglaublich tief. Von Alexia Weiss

Um die Ecke hat ein neuer Supermarkt eröffnet, und ich genieße es, dort die meisten Produkte in Bioqualität einkaufen zu können. Ein schöner neuer Supermarkt, hell und freundlich, Einkaufen in angenehmer Atmosphäre. Bis ich dann jüngst bei der Kasse stand, alles, was ich zuvor in das Wagerl gelegt hatte, auf das Fließband schlichtete und den Mann erblickte, der sich hinter mir angestellt hatte.

Sagen wir es einmal so: Immer seltener begegnen einem im Straßenbild Neonazis, die auch wie solche aussehen. Glatze, Springerstiefeln, die typische Jacke, und irgendeine der Textilien war aus einem Camouflagestoff gefertigt. Welches Kleidungsstück das war, kann ich nicht sagen, denn da blieb mein Blick auf seinem Gesicht hängen, nur kurz, denn was ich da sah, war wirklich einzigartig: Er hatte Tätowierungen im Gesicht. Sowohl auf der linken als auch auf der rechten Wange war jeweils eine Buchstabenfolge gestochen worden.

Schon zog die Kassierin meine Einkäufe über den Scanner, und ich hatte alle Hände voll zu tun, die Dinge rasch in meinen Rucksack zu schlichten. Doch die Neugier siegte, und ich wandte mich nochmals zu dem Mann hinter mir um, versuchte zu lesen, was da geschrieben stand. Nein, es gelang mir nicht, die Worte zu entziffern. Und das, obwohl mein Blick wohl ohnehin schon einen Moment zu lange auf dem missmutig dreinschauenden Gesicht des Mannes hängen geblieben war. Denn plötzlich wurde er richtig aggressiv. Brüllte kurz, ob ich etwas von ihm wolle. Ich wandte mich rasch ab, zahlte, beeilte mich, das Geschäft vor ihm zu verlassen, sodass er nicht sehen konnte, welche Richtung ich einschlug.

Ein unangenehmer Moment. Obwohl doch eigentlich nichts passiert war. Er wusste nicht, wer ich war, er konnte nicht einmal hören, ob ich Deutsch sprach. Wenn allerdings schon ein Blick ausreicht, um eine solche Aggression auszulösen, möchte ich nicht wissen, was passiert, wenn solch ein Mensch potenziellen Feinden gegenübersteht.

Wenige Tage später blieb mein Mann vor einem Masten stehen, schüttelte kurz den Kopf, ging weiter. Ich machte die paar Schritte zurück, um nachzuschauen, was dort zu sehen war: Es war ein hasserfüllter Sticker, der gegen Homosexuelle hetzte – grausliche Zeichnung inklusive. Zwei Portionen Hass innerhalb weniger Tage.

„Es wird leider niemals so sein, dass einander alle die Hände reichen.“

Angesichts der Feierlichkeiten rund um die Befreiung der verschiedensten Konzentrationslager war auch heuer immer wieder von Versöhnung die Rede. Täter, Opfer, nachfolgende Generationen, einander die Hand reichen. Versöhnung ist wichtig. Schuld wird nicht von einer Generation an die nächste weitergegeben – Verantwortung allerdings schon. Das ist das eine.

Das andere: Wenn man diesen Hass spürt, ihm so direkt gegenübersteht, dann muss man leider ganz realistisch sagen: Das wird nicht klappen. Es wird leider niemals so sein, dass einander alle die Hände reichen. Und deshalb heißt es, immer auf der Hut zu bleiben. Wachsam zu sein. Auch wenn man gerne an das Gute in jedem Menschen glauben würde. ◗

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here