Startups gegen das Vergessen

Izhar Shay, ein israelischer Hightech-Unternehmer und ehemaliger Minister, erinnert mit einer einzigartigen Aktion an seinen bei Gaza gefallenen Sohn Yaron. Für jedes Opfer des 7. Oktober soll ein neues Startup künftig Optimismus und Überlebenswillen symbolisieren.

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Izhar und Hilla Shay mit ihrem Sohn Ophir in Wien. Foto: Reinhard Engel

Izhar Shay ist ein weltgewandter Mann. Der sportliche Sechziger kann locker über israelische Hightech-Firmen erzählen, mit feiner Ironie erinnert er an seine eigene Polit-Karriere: „Ich war dreimal Knesset-Abgeordneter und einmal Minister, und das alles in vier Jahren.“ Was seine Tätigkeit als Wissenschafts- und Technologieminister betrifft, so berichtet er gerne über den geheimen Start einer Rakete, bei dem er dabei sein durfte, die einen israelischen Satelliten ins All transportierte.

Doch Shay ist nicht zum Smalltalk in den Garten der israelischen Botschaft in Wien gekommen. Der Schulkollege und enge langjährige Freund des Botschafters David Roet präsentiert hier sein einzigartiges Konzept, an seinen gefallenen Sohn Yaron zu erinnern, nach Vorstellungen in New York, London und Berlin: Für jedes der mehr als 1.600 Opfer des Hamas-Überfalls vom 7. Oktober 2023 will Shay ein neues Startup-Unternehmen gegründet sehen, und dieses soll dann jeweils einen Bezug zu einem verstorbenen Mann oder einer ermordeten Frau haben.

„Wir wollen sie für das in Erinnerung behalten, was sie als Individuen waren. Das ist die Story des israelischen Optimismus“, so Shay, „unsere Antwort an die Welt. Sie wollten uns umbringen, wir aber wollen etwas Besseres aufbauen, etwas Positives.“ Überdies soll die Aktion einen Beitrag zur Wiederbelebung der in Mitleidenschaft gezogenen israelischen Wirtschaft leisten. „Und das soll nicht nur eine emotionale Sache sein, sondern es handelt sich dabei um solide Investitionen.“

Yaron, der 21-jährige jüngste Sohn von Izhar und Hilla Shay, war ein Held des 7. Oktober. Gemeinsam mit zwei anderen jungen Soldaten seiner Einheit bewachte er den Eingang eines unmittelbar an der Grenze gelegenen Kibbuz, verteidigte diesen gegen eine Übermacht von palästinensischen Angreifern und gab den KibbuzBewohnern Zeit und Möglichkeit, dem Massaker und den Entführungen zu entgehen. Yaron und seine beiden Kameraden wurden schwer verletzt und schließlich von einem Armeehubschrauber ausgeflogen. Er starb zwei Tage später im Spital. „Der Preis, den diese Einheit zahlte, war sehr schmerzhaft“, erzählt sein Vater Izhar Shay. „Wir beten immer noch für einige sehr schwer verletzte Soldaten. Aber sie haben ihre Mission erreicht: Der Kibbuz Kerem Shalom wurde nicht vom Feind erobert.“

Yaron Shay, sel. A. war am 7. Oktober als Soldat der Nahal-Brigade an der Grenze zum Gazastreifen stationiert und fiel im Kampf um die Verteidigung der Bewohner von Kerem Schalom. Foto: Reinhard Engel

Sein Vater überlegte in all seinem Schmerz, wie er das Andenken an den Sohn bewahren könnte. „Wir wollten nicht nur einen Baum pflanzen, wie das manchmal üblich ist. Wir pflanzen, gründen für jeden Menschen ein neues Unternehmen, viele neue Unternehmen.“ In einem Interview mit der israelischen Wirtschaftszeitung und Website Calcalist spezifizierte Shay: „Wir werden Lösungen für die Landwirtschaft entwickeln, solche gegen Krankheiten, lebensrettende Technologien für Kinder oder alte Menschen, und vieles andere. Das ist die beste Antwort auf Extremisten.“ „Next October“ heißt die Initiative, und sie verweist darauf, dass die kommenden Oktober besser werden sollen, als der schreckliche des Vorjahres. Gemanagt wird sie von Yarons älterem Bruder Ophir.

Erfolgschancen für den Wiederaufbau. Die „Next October“-Startups verpflichten sich dabei, Aktivitäten umzusetzen, die an eine ermordete oder verschleppte Person erinnern und sie ehren. Zeitgleich erhalten die teilnehmenden Startups Zugang zu Investoren, Vernetzungen mit potenziellen Kunden und Coachings durch 800 Mentoren. Somit sollen die Erfolgschancen der Startups unterstützt und die israelische Wirtschaft als Ganzes gefördert werden.

Ben Ruschin, ein österreichischer Startup-Investor und Unternehmer, hat dazu im Wiener Innovationszentrum WeExelerate ein Event organisiert, bei dem er hiesige Investoren und einige israelische Startups zu einem Treffen mit den Shays einlud. Darunter waren etwa Octopus AI, Rapydo Technologies, Pente Networks, Journeyz oder Nutek Oido. Das sind Unternehmen mit Schwerpunkt auf künstlicher Intelligenz, Cloud Computing, Netzwerkoder Platform-Technologie oder Medizintechnik. Diese Startups sind bereits mit „Next October“ vernetzt und gedenken jeweils eines Opfers.

„ Sie wollten uns umbringen, wir aber wollen etwas Besseres aufbauen, etwas Positives.“
Izhar Shay

Zur Intention dieses Abends sagt Ruschin: „Wir hatten auch etwa 70 österreichische Investoren, die hier in Startups investieren, die bisher kaum Berührungen mit israelischen Startups hatten und sich darüber informieren wollten. Das war für sie eine erste Einführung, auch von Izhar Shay.“ Dann gab es einige Termine mit Business Angels und mit Vertretern österreichischer Förderstellen.

„Auch eine Vertreterin von einem Family Office wurde mit ihnen verbunden, ebenso ein israelischer CEO, der hier in Wien arbeitet und lebt“, so Ruschin. „Eines haben sie alle gemeinsam, sie sie sind im Hightech-Sektor aktiv, betreiben also nicht bloß neue Marktplätze oder bieten simple Lowtech-Produkte an. Jeder hatte etwas Einzigartiges, mit viel Knowhow und hohem Forschungsinvestment.“ Eine Besonderheit erwähnt er noch: Sie zeigen Interesse am Zugang zum deutschsprachigen Raum, meist wollen die israelischen Unternehmen sonst zuerst in den US-Markt.

Zurück zum Abend an der Botschaft: Man sieht Izhar Shay und Yarons Bruder Ophir an, dass sie diese Präsentation schon mehrmals – und äußerst professionell – bestritten haben. Doch als der Vater den Dankesbrief einer Kibbuz-Bewohnerin vorliest, deren Leben sein gefallener Sohn gerettet hat, versagt dem Profi dann doch kurz die Stimme. Kreativ erinnern ist das eine, mit einem derart großen Verlust fertig werden, dann doch etwas ganz anderes.

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