STEINE ERZÄHLEN

Stolpersteine erinnern an jene, die während des NS-Regimes enteignet, deportiert und ermordet wurden. Das europaweite Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig wird in Graz von Daniela Grabe betreut.

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Daniela Grabe bei einer Einweihung. © JJKucek

Daniela Grabe ist eine vielbeschäftigte Frau. Da wären zuerst die Zwillinge, vier Jahre alt und mit einem Temperament für zehn. Doch vor der Geburt der Kinder war das Projekt der Stolpersteine in Graz das Wichtigste im Leben von Daniela Grabe.

Schon als Studentin der Germanistik, Geschichte und Deutsch als Fremdsprache hat sich Daniela Grabe für die NS-Zeit und deren Aufarbeitung oder, wie sie sagt, „Nicht-Aufarbeitung in Österreich“ interessiert. Aufgewachsen in Düsseldorf, der Vater kam aus Deutschland, die Mutter ist eine Steirerin, übersiedelte Daniela Grabe 1987 nach Österreich und kam aus dem Staunen nicht heraus, wie der Umgang mit der NS-Zeit in Österreich war. „Ich habe damit überhaupt nicht gerechnet, wie sehr das Ganze verdrängt wurde. Dieses Thema – Österreich erstes Opfer – und so weiter.“ Dass es bis zur Regierung unter Franz Vranitzky gedauert hat, dass jemand offiziell die Mitverantwortung äußert, hat die Historikerin erschreckt und erschüttert.

Stolperstein-Gründer Gunter Demnig
bei der Verlegung und Einweihung eines
Stolpersteines Ⓒ ELauppert_Gunter

1998 übernahm Daniela Grabe für den Verein ZEBRA die Ausstellungsleitung für die sogenannte „Wehrmachtsausstellung“ in Graz und erfuhr hautnah die Ablehnung mit der Beschäftigung der Aufarbeitung der NS-Zeit. Es kam eine Absage nach der anderen, wenn es um Räumlichkeiten für die Ausstellung ging. Politische Interventionen oder Managemententscheidungen verhinderten eine Zusage. Letztlich hat sich dann die Karl-Franzens-Universität in Graz bereiterklärt, die Ausstellung zu zeigen.

Nach 1998 hat sich Daniela Grabe anderen Interessen gewidmet, lebte in Bulgarien und hielt Seminare und Schulungen für Lehrer*innen, die nach dem Kommunismus mit völlig neuen Lehrplänen, aber ohne ein einziges neues Schulbuch vor den Schülern standen. Sie organisierte mit Unterstützung von Fördervereinen neue „demokratischere“ Unterrichtszugänge, Lehrmaterialien und Kontakte zu Schulbuchverlagen. Allerdings musste sie erkennen, dass diese Schulungstätigkeit zu prekär war, und begann das Studium der Wirtschaftsinformatik mit dem Wunsch, eine gut bezahlte und sichere Arbeit zu finden. Bis heute ist dies der solide „Brotjob“, der es ihr ermöglicht, sich mit viel Einsatz den Recherchen und der Verlegung der Stolpersteine in Graz zu widmen.

Ⓒ ELauppert_Gunter

Für den Lebenslauf von Daniela Grabe gehört es wie fast selbstverständlich dazu, auch politisch tätig zu sein. 2008 kandidierte sie für die Grünen bei den Grazer Gemeinderatswahlen und bekam auch einen Sitz im Gemeinderat.
Zur dieser Zeit wurde in Salzburg der erste Stolperstein für Homosexuelle verlegt. Das gab Daniela Grabe den Impuls, dies auch für Graz zu vorzuschlagen. „Mein Fokus war, dass es etwas geben sollte, das kein Kriegsdenkmal ist, sondern eines für Opfer – und das auch nicht dort aufgestellt wird, wo niemand hinkommt, sondern endlich etwas Würdevolles, um individuelle Opfer im städtischen Raum sichtbar zu machen. Anfänglich dachte ich etwas naiv, dass nach einem Antrag im Gemeinderat die Sache beschlossen und gemacht wird.“ Aber sie lief gegen Gummiwände, obwohl sie heute rückblickend darin schon eine Verbesserung sieht im Vergleich zur Organisation für die „Wehrmachtsausstellung“. „Da gab es noch Betonwände dagegen“, erinnert sich Daniela Grabe.

Die Gummiwände stellten sich als Stadträte dar, die kreative Gründe fanden, das Projekt abzulehnen. Nach zahlreichen Anfragen in der Fragestunde, Anträgen und Ablehnungen im Grazer Gemeinderat sowie der Gründung eines potenziellen Trägervereins und auch einem Wechsel im Kulturressort, beschloss der Grazer Stadtsenat 2013 einstimmig, dass die Steine dauerhaft im öffentlichen Raum verlegt werden können. Die ablehnenden Kommentare blieben trotz großem Zuspruch nicht aus. So gab es Anrufe oder E-Mails, in denen angemerkt wurde, dass man ja nichts dagegen habe, aber es gäbe da auch so viele Opfer nach dem Stalinismus, und man müsse ja auch noch an andere Kriegsopfer denken. Auch wurden Bedenken wegen erhöhter Unfallgefahr geäußert, da man über die Steine stolpern (sic!) oder auf der polierten Messingplatte ausrutschen könnte.

Wenn ich in einer anderen Stadt Stolpersteine sehe, geht mir das Herz auf,
weil ich sehe, dass auch andere das Gedenken ernst nehmen.

Daniela Grabe

In Graz gehören die Gehsteige zum öffentlichen Raum, und es bedarf keiner Zustimmung der Haus- oder Wohnungseigentümer, um Stolpersteine zu verlegen. 2013, während des Gedenkjahres „75 Jahre nach dem Anschluss“ wurden die ersten Stolpersteine für das Ehepaar Melanie und Adolf Lachs und Dr. Maximilian Steigmann in Innenstadtnähe verlegt. Eine Hausbewohnerin wehrte sich zuvor gegen die Anbringung einer geplanten Gedenktafel für den beliebten Arzt Max Steigmann. Gegen die Stolpersteine konnte sie keine rechtlichen Einwände durchsetzen.

2017 bekam Daniela Grabe und ihr Team für das Projekt den Menschenrechtspreis des Landes Steiermark verliehen. Das Stolperstein-Projekt deckt viele Aspekte der Aufarbeitung ab, denn es ist niederschwellig. Mit einer Spende von 133 Euro für einen Stein kann eine Patenschaft und damit die Verbundenheit zu der Person übernommen werden. Neben den Patenschaften wird der Verein für Gedenkkultur auch vom Kulturamt der Stadt Graz, vom National- und Zukunftsfonds der Republik Österreich, der Gesellschaft für Politische Bildung, vom Land Steiermark und zahlreichen kleinen privaten Gruppen unterstützt. Die Holding Graz sponsert zudem alle straßenbaulichen Verlegekosten und Bustransfers innerhalb der Stadt zu den feierlichen Steinlegungen.

Im November 2018 wurde in Leoben der erste Stolperstein außerhalb Graz verlegt, „Die Gemeinde Leoben war bei den notwendigen organisatorischen Schritten ein wichtiger kooperativer Partner“, unterstreicht Daniela Grabe die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen. Für das laufende Jahr sind Stolpersteine und Kindberg und Güssing in Vorbereitung sowie weitere 39 Stolpersteine in Graz.

Der erste Stolperstein, der in Graz in Erinnerung an Dr. Max Steigmann verlegt wurde. Ⓒ Christian Michelides

Gunter Demnigs Stolpersteine-Projekt gibt es in 25 europäischen Ländern. Sie gelten als das größte dezentrale Mahnmal der Welt. „Wenn ich in einer anderen Stadt Stolpersteine sehe, geht mir das Herz auf, weil ich sehe, dass auch andere das Gedenken ernst nehmen und dasselbe Anliegen haben wie wir“, freut sich Daniela Grabe. „Zu Europa habe ich so ein Bild aus dem früheren Geschichtsunterricht. Da gab es im Geschichtsatlas auf der Europakarte die braune Farbe, die sich immer weiter ausgebreitet und alles bedeckt hat. Die Stolpersteine gehen in alle Länder, in denen es Opfer des Nationalsozialismus gibt, und breiten sich immer mehr aus. Das ist für mich ein schönes Bild“, freut sich Daniela Grabe über die sichtbaren Folgen ihres Einsatzes für die Aufarbeitung der NS-Geschichte.

„Stolpersteine“ sind ein Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig, mit dem an das Schicksal jener Menschen erinnert wird, die im Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben, in den Suizid getrieben worden sind oder von Enteignungen im Zuge der „Arisierung“ betroffen waren. Dabei wird sowohl jüdischer Opfer gedacht wie auch jener Menschen, die Opfer politischer, religiöser, ethnischer Verfolgung waren, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ermordet wurden, wegen Verweigerung des Kriegsdienstes oder weil ihr Leben als „unwert“ galt (sogenannte „Euthanasie“).

Kontakt:
Verein für Gedenkkultur
verein@stolpersteine-graz.at
+43/(0)664/395 55 25

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