Storys und Code

Daniel Kalbeck hat seine Agentur kalbeck.digital in der Schnittmenge von Kreativität, Design und industrieller Software-Entwicklung positioniert. Es geht um spezialisierte Online-Systeme und Kommunikationslösungen, um Forschung und die Entwicklung digitaler Produkte für Unternehmen oder ganzer Start-ups.

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© Reinhard Engel

Begonnen hat es schon in der Schule. Daniel, intelligent, aber aufmüpfig, hatte im Zwi-Perez-Chajes-Gymnasium in Wien eine Art Gentlemen’s Agreement erreicht: Wenn ihn die Lehrer in Ruhe ließen, würde er das umgekehrt ebenso halten. Also saß er, wenn er da war, ganz hinten und klopfte leise auf einem veralteten PC herum. Ein Professor unterbrach allerdings seine selbst gewählte Einsamkeit: Wenn er sich schon für diese Technologien interessiere, solle er doch gleich ein Computerspiel programmieren. Seitdem er sieben war, hatte er an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst studiert, ein Computerspiel könnte doch diese beiden so unterschiedlichen Welten zusammenbringen, meinte sein Lehrer.
„Mit diesem Adventure Game hat alles angefangen, eigentlich wollte ich ja immer Filme machen“, erinnert sich Daniel Kalbeck. „Das Web und die damit verbundenen Möglichkeiten hat es in der Form noch nicht gegeben. Das Spiel hieß Trash Quest, ein etwas gesellschaftskritisches Adventure zur Rettung der Welt vor Müll.“ Daniel gewann mit dem Spiel einige Preise, verkauft hat es sich nicht, aber diese Arbeit – er war gerade 17 – führte ihn direkt in die Welt des Programmierens, des Storytellings und der Kombination aus beidem. „Eigentlich habe ich in den letzten 26 Jahren immer wieder dasselbe gemacht.“ Die Kunden seiner Arbeiten könnten freilich nicht unterschiedlicher sein.
Und auch die Umgebung hat sich dramatisch geändert. Die Räume von kalbeck.ventures und kalbeck.digital in einem einstigen Palais im 9. Bezirk senden genau die Signale, die der Eigentümer und Creative Director so en passant seinem Gegenüber schickt: großbürgerliche Solidität, gebrochen durch moderne Technik und einen Hauch von bohemehaftem Shabby Chic. Stuckdecke, Art-dé­co-Luster und auf Hochglanz polierte Wandschränke kontrastieren mit einem mächtigen Großbildschirm. Doch damit die Szene nicht zu glatt wird, steht in einer Ecke ein völlig zerschlissener – einst bestimmt edler – Lederfauteuil. Am Bildschirm des Besprechungszimmers zeigt Kalbeck lässig und gleichzeitig ein wenig stolz die aktuellen Projekte.
Codeversity, eine „Corporate Education Platform“, steht kurz vor der großen Präsentation auf der weltweit größten Entwicklerkonferenz in Berlin mit 15.000 Teilnehmern, organisiert von Benjamin Ruschin und seiner Firma WeAreDevelopers, Kalbeck hat das Programm konzipiert und kuratiert. „Fast alle Unternehmen suchen verzweifelt IT-Fachleute, und es gibt einfach viel zu wenige“, erklärt er. „Eine traditionelle Ausbildung würde zu lange dauern, und die Mitarbeiter im eigenen Haus wissen und können in diesem Bereich zu wenig. Also muss man sie schulen.“
Frontalunterricht und lexikalisches Faktenwissen haben in dieser Welt freilich ausgedient, man muss neue Zugänge finden. Codeversity ist eine interaktive Lernplattform, die mit unterschiedlichen – auf die Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens zugeschnittenen – Modulen bestückt werden kann, die Inhalte setzen sich aus kurzweiligen Inhalten wie Filmen, Infografiken, interaktiven Textpassagen, Wissenstests, spielerischen Elementen und einer kompletten virtuellen Coding-Umgebung zusammen. Das Lernen soll Freude machen, und es soll auch nicht vereinzelt, sondern im Team erfolgen, die Mitglieder der Teams mögen einander helfen und sich auch gegenseitig zum jeweiligen Wissensstand bewerten – in Challenges, als Peer Reviews, in Teamarbeiten.
Das Codeversity Research Institute entwickelt und produziert die Kurse selbst, setzt sich aus internationalen Forschern, Lektoren und Branchengrößen zusammen. Die Plattform setzt massiv auf Artificial Intelligence, um die Lerninhalte, den Aufbau und die Struktur der Kurse laufend an das Fachwissen, das Persönlichkeitsprofil, das Rezeptionsverhalten und den Lernfortschritt des Studenten anzupassen. Als mögliche Kunden haben bereits große Unternehmen wie Ministerien angeklopft, die ihre Belegschaft etwa in Grundlagen und Spezialisierungen zu Themen wie künstliche Intelligenz, Cloud Computing oder Personalrekrutierung in einer digitalen Umgebung schulen lassen möchten. Für Führungskräfte werden speziell verdichtete Kursformate angeboten.
Zu seinen aktuellen größeren IT-Plattformen gehört Alterdyne Energy, eine Impact-Investing-Plattform für alternative Energiegroßprojekte. Hier werden auf einer globalen Ebene Projekte zur alternativer Energieerzeugung in Ländern der Dritten Welt, so genannten Emerging Markets, an potentielle Investoren und europäische Energieunternehmen vermittelt. „Es gibt aktuell etwa 60.000 Projekte, die in Frage kommen, und manche von denen sind bereits voll projektiert, erfordern einen überschaubaren Kapitaleinsatz und sind aufgrund der Förderlandschaft und der regionalen Rahmenbedingungen erstaunlich lukrativ“, so Kalbeck. Es gehe darum, sie zu identifizieren, mit entsprechendem Expertenwissen nach Umfang und Risiko zu qualifizieren und damit für Geldgeber verständlich und einschätzbar zu machen.
Zwischen diesen komplexen Aufgaben und den ersten eigenen kreativen, aber in der Rückschau simplen Programmierarbeiten lag bei Daniel Kalbeck eine solide technische Ausbildung. „Ich komme aus einer literarisch-künstlerischen Familie“, erzählt er. „Mein Vater war Schriftsteller, Dramaturg und Philosoph, mein Großvater, Schauspieler, Lehrer und Regisseur, hat mit Max Reinhardt das Reinhardt Seminar gegründet, mein Urgroßvater Max hat sein Leben der Biografie von Brahms gewidmet. Da musste ich einfach etwas ganz anderes machen, auch wenn ich am Ende doch wieder beim Gestalten, Erzählen und Hinhören gelandet bin – nur die Medien haben sich halt etwas geändert.“

»Mit diesem Adventure Game hat alles angefangen, eigentlich wollte ich ja immer Filme machen.«
Daniel Kalbeck

Studium Irregulare. Er zog sehr früh von zuhause aus und inskribierte technische Physik und Informatik an der TU Wien. Freilich war er mit seinen eigenen praktischen Kenntnissen der damaligen IT nicht wirklich begeistert von der Universität. Ihm schienen die Professoren zu weit weg von der aktuellen Realität, die sich in der Unternehmenswelt gerade rasant zu beschleunigen begann. Er verhandelte mit dem Dekanat und durfte ein eigenes Studium Irregulare entwickeln, das auch akkreditiert wurde. Er hörte Vorlesungen zu Architektur, Gestaltung, Publizistik, Kognitionspsychologie und Kunst; dazu kamen Cyber Security, Web Engineering, Human Computer Interaction und Robotik. Er machte daneben aber auch die weniger lustigen Pflichtscheine zu Mathematik oder Elektrotechnik. Schließlich erhielt er seinen Diplomingenieur im neuen Fach „New Media Design & Engineering“. Dann forschte und unterrichtete er eine Zeit lang selbst an der TU, betreute etwa 30 Studenten. Einige von ihnen nahm er mit zu seiner ersten Unternehmensgründung, media.sliders. Dabei ging es schon um dieselben Themen wie heute in seiner Agentur: die sinnvolle, praktische Verknüpfung von kreativer Kommunikation mit aktuellster Technik. Es folgte über die Jahre eine Reihe von kommerziell erfolgreichen wie schrägen Projekten: vom Start-up, das Kindern den Zugang zum Internet bieten sollte, noch bevor sie schreiben und lesen konnten, über Smartwatches für werdende Mütter oder 3D-Engines für interaktive Präsentationssysteme bis zur Herstellung von stationären Batterien für Privathäuser mit Photovoltaikpaneelen am Dach, mit denen Hauseigentümer ihren Autonomiegrad drastisch erhöhen konnten. Dafür suchte man Kooperationen in China, der Schweiz, Spanien und Slowenien und österreichische Privatinvestoren, schuf eine Aktiengesellschaft und entwickelte ein paneuropäisches Vertriebsnetzwerk über Elektriker, lange bevor Tesla ein vergleichbares Produkt mit der Powerwall vorstellte.
Alle paar Jahre ändert die Firma Kalbecks – sie hat etwa 20 fixe und freie Mitarbeiter – ihren Fokus. „Wir werden zwar nicht reich, aber es ist spannend, lehrreich, und wir machen ziemlich, was wir wollen.“ Ganz so spielerisch kommen die Ergebnisse dieser bunt-kreativen, aber auch technisch kompetenten Arbeit dann im Endausbau gar nicht mehr daher. In vier Jahren Entwicklungsarbeit wurde etwa die Bank Gutmann digitalisiert, mit allem Feingefühl für die Seriosität einer diskreten Privatbank und die Ansprüche einer wohlhabenden Klientel und einer maßgefertigten Security-Infrastruktur, „und gleichzeitig muss die Anwendung auch in Singapur zwischen zwei Flügen, responsiv, unkompliziert und sicher funktionieren.“

Die Website von Kalbeck zeigt als Referenzen Arbeiten aus unterschiedlichsten Branchen und Themenbereichen, von den Wiener Stadtwerken bis zum Verbund, von einer komplexen App für den Verkauf von Luxusimmobilien auf Mallorca bis zur Präsentation von Brandfluchthauben „als Lebensretter“, eine der umfassendsten Datenbanken zu geraubten Kunstwerken der Nazizeit für den Nationalfonds oder Places of Power, eine digitale Ausstellung der Architektur der Parlamente dieser Welt und deren Signalwirkung und Symbolkraft für die dahinterliegenden Regimes. Angst vor Langeweile braucht Kalbeck wohl auch weiterhin kaum zu haben.

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