Tilly Spiegel – Widerstandskämpferin, Frau, Linke, Jüdin

Tilly Spiegel war eine mutige Frau, die in grausamen historischen Zeiten für den Kommunismus und gegen die Nationalsozialisten kämpfte. Sie war eine der ersten Mitarbeiterinnen des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes und half, die Verbrechen der NS Zeit aufzuarbeiten.

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© nap Verlag

Vor zwei Jahren schrieb Ina Markova vom Institut für Zeitgeschichte und vom österreichischen Volkshochschularchiv eine Biografie über Tilly Spiegel, die „in der Ersten Republik diejenige war, die die gesamte Basisarbeit der kommunistischen Partei machte“. Ottilie „Tilly“ Sali Spiegel wurde am 10. Dezember 1906 in Nowosielitza, Bukowina, geboren. Zu dieser Zeit regierte in den USA Theodore Roosevelt und in Russland Zar Nikolaus II.

Die Bukowina gehörte zur österreichisch-ungarischen Monarchie und wurde von Wien aus regiert. In der Bukowina lebte damals eine multikulturelle, auch jüdische Bevölkerung im friedlichen Nebeneinander. Nowosielitza hatte 1910 etwa 2.176 Einwohner, die sich religiös in zwei Gruppen teilten: Anhänger des orthodoxen Christentums und Menschen jüdischen Glaubens. Die Mehrheit der Bevölkerung sprach Deutsch, gefolgt von Rumänisch. Das Klima der kleinen Stadt war miserabel, unangenehme Feuchtigkeit und langanhaltender Nebel ergänzten die ärmlichen Lebensbedingungen. Vater Spiegel ernährte seine Frau und die fünf Kinder, Tilly war die Älteste, mit kleinen Handelstätigkeiten. Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der zaristischen mit der k.u.k. Armee des Ersten Weltkriegs bedeutete ab 1915 für die Familie Spiegel Vertreibung und Flucht aus ihrem Heimatdorf mit vielen Umwegen, die sie dann nach Wien brachte.

Wann sich Tilly Spiegel der Kommunistischen Partei in Wien anschloss, ist nicht ausreichend belegt. Es muss Ende der 1920er-Jahre gewesen sein, als sie dem Kommunistischen Jugendverband in Wien beitrat. „Bis Tilly 20 war“, beschreibt Ina Markova das Leben der Familie Spiegel in Wien, „hat die Familie im 16. Bezirk auf sehr beengtem Raum zusammengelebt. Sie waren zu acht in einer Wohnung in der Friedmanngasse. Tilly ist dann mit einem jungen Mann zusammengekommen und hat mit ihm in wilder Ehe gelebt. Ihr Vater hat das furchtbar gefunden, weil er konservative Ansichten hatte, andererseits war er froh, dass einer weniger in der Wohnung wohnt.“

Nachdem die Kommunistische Partei 1933 verboten wurde, übernahm Tilly Spiegel immer höhere Kaderfunktionen und wurde Kreisleiterin. Wegen illegaler Parteitätigkeit wurde sie aber verhaftet und zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Wieder in Freiheit, ging Tilly Spiegel 1937 in die Schweiz und organisierte dort den Grenzübertritt von Spanienkämpfern aus Österreich. „Sie hielt sich wahrscheinlich in dieser Zeit in der Nähe von St.Gallen auf und wurde wegen dieser illegalen Tätigkeit wieder inhaftiert. Diesmal von den Schweizern. Sie hatte damit sehr großes Glück, denn genau in diese Zeit fällt der Anschluss und sie hätte eine Inhaftierung in Österreich nicht überlebt“, sagt Ina Markova. Im Mai 1938, nach ihrer Entlassung, wurde sie aus der Schweiz ausgewiesen und emigrierte daraufhin nach Paris.

Bei den französischen Feierlichkeiten zum 14. Juli 1939 lernt Tilly Spiegel ihren späteren Ehemann Franz Marek kennen. Auch er floh um 1920 aus Galizien nach Wien und trat der Kommunistischen Partei 1935 bei, zu diesem Zeitpunkt war Tilly bereits im Gefängnis. Sein Geburtsname war Ephraim Feuerlicht. Den Kampfnamen Franz Marek nahm er nach Eintritt in die Partei an, für die er im Untergrund die Agitation leitete. Als 1938 der „Anschluss“ Österreichs erfolgte, floh Franz Marek nach Paris und baute die Leitung der KPÖ im Exil auf. Tilly Spiegel gründete im selben Jahr den Cercle Culturel Autrichien und engagierte sich in der Flüchtlingshilfe. Ihren Lebensunterhalt finanzierte sie als Turnlehrerin. Wie Marek schloss auch sie sich nach der Besetzung Frankreichs durch das NSRegime dem kommunistischen Flügel der Résistance an.

 

… verdankt die österreichische Geschichtsforschung Tilly Spiegel
„die Auseinandersetzung mit wichtigen Aspekten
der Geschichte der Ersten und
Zweiten Republik“.

Ina Markova

 

Frauen im Widerstand. Von 1941 bis 1943 war Tilly Spiegel Gebietsverantwortliche des Travail Anti-Allemand (TA) in Nancy. Das Ziel des Travail Anti-Allemand war, durch antifaschistische Aufklärung die faschistische Ideologie der Soldaten des NS-Regimes zu bekämpfen und zu unterwandern. 1944 wurde sie von der Gestapo in Paris verhaftet und war bis zur Befreiung im Gefängnis in Fresnes. Wieder in Freiheit, kehrte sie 1945 nach Wien zurück und wurde Bezirksleiterin der KPÖ in Wien, was sie bis 1968 blieb. „Es ist schwierig zu beantworten, wie sie sich in einer konservativen Gesellschaft als Frau behauptet hat, wenn man sich ihren Werdegang in der Zweiten Republik anschaut. Trotz ihrer Meriten, die sie sich innerhalb der Partei erworben hatte, blieb sie immer im Schatten ihres Ehemanns und finanziell von ihm abhängig. Sie konnte sich zwar behaupten, aber sich so richtig durchzusetzen gelang ihr nur in den Jahren, in denen Männer in Lagerhaft interniert waren“, beschreibt Ina Markova die Karrieremöglichkeiten von Tilly Spiegel. Tilly Spiegel arbeitete als Turnlehrerin und Übersetzerin, um sich einen spärlichen Unterhalt zu verdienen. 1974 wurde ihre Ehe mit Franz Marek geschieden.

DR. INA MARKOVA
Senior Research Fellow am Institut für Zeitgeschichte, wissenschaftliche Mitarbeiterin des österreichischen Volkshochschularchivs.

Als der Prager Frühling durch Truppen des Warschauer Paktes niedergeschlagen wurde, war das Ideologieverständnis durch die zunehmende Einflussnahme der sowjetischen politischen Führung zu groß geworden und Tilly Spiegel brach nach 40 Jahren kämpferischer Verteidigung der kommunistischen Leitlinie mit der Partei. „Ich finde die Nachkriegsgeschichte der KPÖ in ihrer ganzen Tragik sehr interessant, vor allem der Aspekt, wie lange bleibt man bei einer Partei, mit der man offenbar schon länger hadert. Wann kommt der Punkt, an dem man nicht mehr mitkann, besonders vor dem Hintergrund der Ersten und Zweiten Republik in Österreich“, sagt Markova.

Bereits in den 1960er-Jahren zählte Tilly Spiegel zu den ersten NS-Forscherinnen Österreichs. Ihr Forschungsschwerpunkt war die Rolle von Frauen und Mädchen im Widerstand, worüber 1967 auch ein Buch unter demselben Titel erschien. An den Beginn des Buches stellte sie die Zeilen des türkischen Dichters Nâzim Hikmet:

Wenn ich nicht brenne,
Wenn du nicht brennst,
Wenn wir nicht brennen,
Wie soll die Finsternis
erleuchtet werden?

Tilly Spiegel brannte. Sie blieb aber immer in der zweiten Reihe, und obwohl so wenig über sie bekannt ist, „hat sie das letzte Jahrhundert maßgeblich mitgeprägt“, beschreibt Ina Markova ihre Bedeutung. Nicht zuletzt verdankt die österreichische Geschichtsforschung Tilly Spiegel „die Auseinandersetzung mit wichtigen Aspekten der Geschichte der Ersten und Zweiten Republik“. Tilly Spiegel war eine der ersten ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen, die eine wichtige Rolle bei der Gründung und dem Aufbau des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes ausübte.

Leider gibt es sehr wenig historisch verwertbare Dokumente über das Leben von Tilly Spiegel. „Und trotzdem liegt jetzt ein Buch über sie vorstellvertretend für alle diejenigen Frauen, die das letzte Jahrhundert mitgeprägt haben, nur um nachher aus vielerlei Gründen aus der Geschichte herausgeschrieben zu werden. Eine genaue biografische Untersuchung von Spiegels Vita ermöglicht über die bloße Würdigung des Lebens einer kämpferischen Frau hinaus die Auseinandersetzung mit wichtigen Aspekten der Geschichte der Ersten und Zweiten Republik.“

1975 erhielt Tilly Spiegel das Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich. Bis zu ihrem Tod im Jahre 1988 setzte sie ihr Engagement im DÖW fort. Bis heute war es nicht möglich herauszufinden, wo diese mutige und bedeutende Frau begraben ist.

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