Seit nunmehr 20 Jahren besteht die österreichische Exilbibliothek. Ein alle Forschungsgrenzen sprengendes Archiv der lebendigen Begegnung mit Vertriebenen, Ermorderten und Vergessenen. Und deren Werken. Mit den Mitarbeiterinnen dieser entdeckenswürdigen Institution, Ursula Seeber und Veronika Zwerger, sprach Angela Heide.
wina: Die österreichische Exilbibliothek besteht seit 20 Jahren. Wie kam es zur Entstehung dieser Forschungsstelle, die sich seit ihrer Gründung im Literaturhaus Wien befindet?
❚ Ursula Seeber: Die Gründung verdankt sich wie so oft einer Reihe von Zufällen. Am Anfang stand die Idee zweier Frauen, ihre Arbeitsgebiete zusammenzulegen: Ich arbeitete zu dieser Zeit schon über zehn Jahre an der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur, hatte meine Disssertation über die Exilzeitschrift das silberboot geschrieben und mich auf die Exilforschung spezialisiert. Und die Fotografin Alisa Douer [geb. 1943 in Tel Aviv] dokumentierte österreichische Emigrantinnen und Emigranten an jenen Orten, an denen diese damals zuhause waren. So kamen wir auf den Gedanken, unsere Arbeiten zusammenzuführen und die Schau Die Zeit gibt die Bilder: Schriftsteller, die Österreich zur Heimat hatten zu gestalten, eine der ersten interdisziplinären Ausstellungen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst, die so auch auf enorme Ressonanz und weltweit positives Echo stieß.
Wie führte der Weg von der im Frühling 1992 gezeigten Ausstellung zur Entstehung eines so umfangreichen Archivs?

❚ US: Klaus Amann, Leiter des Klagenfurter Robert-Musil-Archivs für Literaturforschung, hielt damals die Festrede zur Ausstellungseröffnung, bei der unter anderen Mimi Grossberg, Fritz Beer, Ernst Gombrich, Frederic Morton oder Gerda Lerner als Ehrengäste anwesend waren. Wenige Wochen später sprach er mit dem damaligen Bundesminister für Unterricht und Kunst, Rudolf Scholten, über die Gründung einer „Bibliothek des österreichischen Exils“ im Literaturhaus. Das heißt, am Anfang stand eine Ausstellung, und erst danach kam es zum Konzept und schließlich zur Gründung unserer Einrichtung. Spannend ist in diesem Zusammenhang, dass zahlreiche der Porträtierten damals noch am Leben waren und unsere Arbeit so von Beginn an nicht nur unterstützt haben, sondern vielfach auch ihre persönlichen Vor- bzw. Nachlässe unserer Bibliothek geschenkt haben. Aber auch, dass schon dieser Beginn unsere Arbeit bis heute deutlich macht: Wir sind weit mehr als nur eine Bibliothek, auch wenn der Auftrag vorerst war, Bücher von aus Österreich Vertriebenen ab 1933/1938 zu sammeln.
Was waren die Gründe, die Exibibliothek als Teil des Literaturhauses zu etablieren?
❚ US: Schon der Gründer der 1965 ins Leben gerufenen Dokumentationsstelle, Viktor Suchy, wie auch der damalige Leiter, Heinz Lunzer, hatten ihr Foschungs- und Sammlungsinteresse neben der zeitgenössischen österreichischen Literatur auch auf die Bestände des österreichischen literarischen Exils gelegt, so dass diese neue Forschungseinrichtung sehr gut in das Angebot des Literaturhauses passte. Was uns allen zu Beginn aber nicht so bewusst war, ist, dass mit den Büchern auch all jene kamen, die diese Bücher geschrieben hatten. Das heißt, es wurde sehr schnell klar, dass die Aufgabe einer solchen Einrichtung nicht primär in der Forschung liegen, sondern auch in der Betreuung von Emigrantinnen und Emigranten, ihrer Familien, ihrer Nachkommen, das heißt in der nachhaltigen Kommunikation mit diesen Menschen und in der aktiven Betreuung all jener, die die noch lebenden Verfasser dieser Werke waren und sind. Ich denke, das ist auch das so Spezielle an der österreichischen Exilbibliothek. Wir sind relativ rasch über unsere erste Ausstellung in Kontakt mit über 600 Menschen getreten, mit denen wir seither in Verbindung geblieben sind, sei es direkt, sei es mit ihren Verwandten, mit ihren Erben. Das ist ein unüberschätzbares Fundament für uns, und dieser aktive persönliche Kontakt ist ein essenzieller Teil unserer Arbeit; so sind wir an unpublizierte Texte, unbekannte Sammlungen und vergessene Schätze geraten. So ist etwa auch die Buchreihe Österreichische Exilbibliothek entstanden, die heute über 20 Titel hat und in der wir vor allem autobiografisch-literarische Texte von Autoren publizieren, darunter Jakov Lind oder Eva Kollisch. Das Spezifische ist, dass wir dabei auf die Autorinnen und Autoren der zweiten Reihe schauen. Viele von ihnen haben erst im Exil zu schreiben begonnen, waren Kinder, als sie in die Emigration gehen mussten, und waren hier also gar nicht bekannt. Auch sie sind Exilanten.