Über 70 Jahre das Grauen im Kopf aushalten

2019 starb der Holocaust-Überlebende und langjährige Präsident der jüdischen Gemeinde Salzburg, Marko Feingold, 106-jährig. Viele Jahrzehnte lang wirkte er als Zeitzeuge. Im Alter von weit über 100 Jahren setzte er sich für den Film Ein jüdisches Leben noch einmal vor die Kamera und ließ seine Jugend und sein Überleben des Nationalsozialismus Revue passieren. Regie führten Christian Krönes, Florian Weigensamer, Christian Kermer und Roland Schrotthofer. Die beklemmenden Erinnerungen kommen im Oktober in die Kinos.

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© Stadtkino Filmverleih

„Ich bin heute 105 Jahre alt und immer noch am Leben, obwohl ich in meinem Leben schon viele Male gestorben bin.“ So beginnt Feingold seine Erinnerungen. „Ich habe vier KZs überlebt, sechs Jahre lang. Ich erzähle meine Geschichte jetzt schon über 70 Jahre. Und ich bin immer noch nicht fertig. Ich bin so lange nicht fertig, als es Menschen gibt, die das, was mir passiert ist, leugnen. So lange muss man diese Geschichte erzählen und die Bilder dieser Gräueltaten zeigen, so furchtbar sie auch sind.“

Feingolds Erinnerungen spannen sich von seiner Kindheit und Jugend bis in die Nachkriegszeit. Dazwischen geschnitten haben die Filmemacher Aufnahmen und Propagandaspots aus Deutschland sowie den USA, eingeblendet werden zudem Hassbriefe, die Marko Feingold auch in den vergangenen 20 Jahren noch erreicht haben. Er hat die KZs Auschwitz, Neuengamme, Dachau und Buchenwald überlebt – als einziger von vier Geschwistern. Er hat, wie er schildert, viele Tote gesehen, Menschen, die an Hunger starben, Leichen, die weggebracht wurden. Die Hoffnung, selbst zu überleben, war zeitweilig nicht mehr vorhanden, die Möglichkeit, dem eigenen Leben selbst ein Ende zu setzen, allerdings auch nicht.

Obwohl er inzwischen verstorben ist, lebt er in diesem Film nun weiter, kann Jugendlichen aus erster Hand berichten, wie es damals war – und dieses Damals ist lange her. Denn Feingold kam 1913 zur Welt und wuchs in Wien auf, wo er bereits im Zug des Ersten Weltkriegs erfuhr, was es bedeutete, Hunger zu leiden. 1938 mischte er sich unter die Jubelnden am Heldenplatz und berichtet, dass damals mehr Menschen als je zuvor zu einem politischen Aufmarsch gekommen waren.

Ich bin so lange nicht fertig, als es Menschen gibt, die das,
was mir passiert ist, leugnen.
So lange muss man diese Geschichte erzählen.
Marko Feingold

Als er nach Auschwitz deportiert wurde und dort eine Wache beim Ankommen meinte, „ihr habt eine Lebensdauer von maximal drei Monaten, dann geht ihr durch den Kamin“, da habe er nicht gewusst, ob der Mann das ernst gemeint oder nur Spaß gemacht habe. „In der Stunde sind wir zu Nummern geworden, die nichts sagen und nichts zu sagen haben.“

Bitteres hatte Feingold aber auch über die unmittelbare Post-NS-Zeit zu berichten. Mit 127 anderen Österreichern brach er von Buchenwald nach Wien auf. „Wir dachten, wir würden feierlich empfangen.“ Die Realität sah anders aus: Man ließ sie nicht nach Wien durch, wollte sie gar nach Buchenwald zurückbringen lassen. Feingold stieg mit einigen anderen in Salzburg aus – und blieb dort. Nach Kriegsende wurde er schließlich zum Fluchthelfer für zehntausende jüdische KZ-Häftlinge, die er illegal von Österreich über die Alpen nach Italien und weiter nach Palästina schleuste.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen betonte angesichts des Filmstarts von Ein jüdisches Leben, „Marko Feingold war ein Zeitzeuge, ein Überlebender, der für das Anliegen ‚Niemals wieder’ alles gegeben hat. Dank seines Engagements bleibt die Erinnerung an die NS-Zeit für die Nachwelt erhalten.“ Zeitzeugen würden einen unermesslich wichtigen Beitrag zum Erinnern leisten. „Und wir müssen und wollen dieses Erinnern wachhalten.“

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