Wenn thinking out of the box belohnt wird

Das Jüdische Museum Hohenems, das bereits kurz nach seiner Eröffnung 1991 den Österreichischen Museumspreis erhalten hat, wurde heuer erneut mit dieser Auszeichnung bedacht. Dazwischen liegen mehr als drei Jahrzehnte durchaus kontroverser Ausstellungsprojekte.

1938
Radtour Schruns: 10.09., Foto: Dietmar Walser

„Das Museum Hohenems ist ein mutiges Museum, das sich kein Blatt vor den Mund nimmt, gerne provokante Fragen in den Raum bringt und offen ist für den Diskurs mit allen Interessierten“, heißt es etwa in der Begründung des Museumsbeirats, der als Jury fungierte. Und: „Das Museum erzählt die Geschichte einer Diaspora-Gemeinde, bleibt aber nicht in der Vergangenheit stehen, sondern greift in seinen Ausstellungen aktuelle Themen und Fragen auf, die man sich auch an weit entfernten Orten stellen sollte.“ Dem Museumsbeirat gehören derzeit Andrea Bina, Edith Hessenberger, Monika Holzer-Kernbichler, Nadja Al Masi-Gutternig und Niko Wahl an.

Museumsdirektor Hanno Loewy gab Dienstag Vormittag bei einer Pressekonferenz in Wien gemeinsamen mit Kuratorin Felicitas Heimann-Jelinek und Kurator Hannes Sulzenbacher einen Überblick über die aktuellen Projekte des Jüdischen Museums Hohenems. Der Titel der aktuell laufenden Schau macht klar, dass sich dieses Haus nicht scheut, auch vordergründig schwierige gesellschaftspolitische Fragen zu verhandeln. „Ausgestopfte Juden?“ lautet dieser und verleitet zu verschiedensten Interpretationen. Der Untertitel der Ausstellung macht aber bereits klar, mit welchem Thema man sich hier auseinandersetzt: „Geschichte, Gegenwart und Zukunft Jüdischer Museen“.

Titelsujet „Ausgestopfte Juden?“ Diese Leuchtreklame ist eine Reproduktion, die mit Genehmigung des Capital Jewish Museum, Washington, D.C., angefertigt wurde. Das Original ist ein Geschenk von Andrea Choobineh und Ricky Moskowitz.

Ja, natürlich geht es hier um eine Erzählung, wie jüdische Museen entstanden sind und wie sich ihr Selbstverständnis über die Jahrzehnte verändert hat. Es geht aber auch um die Frage: Warum werden jüdische Geschichte und Judentum an einem Ort nicht im Rahmen des Stadt- oder eines Gemeindemuseums verhandelt, so Sulzenbacher. Warum brauche es hier ein eigenes Haus? Und was wird hier genau ausgestellt? Paul „Tulli“ Grosz zum Beispiel, von 1987 bis 1998 Präsident der IKG Wien, meinte rund um die Entstehung des Jüdischen Museums der Stadt Wien auf die Frage, was er von der Gründung eines solchen Hauses halte, ob dort Juden und Jüdinnen „wie ausgestopfte Indianer“ bestaunt werden sollten, wie Heimann-Jelinek ausführte. Es sei eine polemische Frage gewesen, einerseits, aber andererseits eben auch sehr ernst gemeint. „Er war ein Überlebender, jemand der wusste, wie es war, als anders wahrgenommen und stigmatisiert zu werden.“ Grosz sei es mehr darum gegangen, „ein gemeinsames Wir zu schaffen“.

„Ausgestopfte Juden?“ geht in Bälde auf Reisen: Die Ausstellung wird im Museum für Völkerkunde in Dresden gezeigt werden, kündigte Loewy an. Dafür kommt eine andere Schau Ende Jänner 2023 nach Wien. Dann zeigt das Haus der Geschichte Österreich „Ende der Zeitzeugenschaft?“. HdGÖ-Direktorin Monika Sommer streute Loewy und dem Museum Hohenems bei der Rosen („seit mehr als 30 Jahren ein wichtiger Impulsgeber und wichtiger Störfaktor in der Museumslandschaft“) und betonte, dass sie sich um die Schau zum Thema Zeitzeugenschaft bemüht habe, weil es ihr wichtig sei, dass darüber nicht nur im Kontext jüdischer Museen diskutiert werde. Es seien bald 80 Jahre nach Kriegsende und man stehe vor einer Generationenschwelle. „Und das ist eine Frage, mit der wir uns als Gesamtgesellschaft auseinanderzusetzen haben.“

Um die NS-Zeit geht es auch in einem anderen derzeit laufenden Projekt des Jüdischen Museums Hohenems: Der Radhörweg „Über die Grenze“, der vom Bodensee bis zur Silvretta führt, erzählt 52 Geschichten über Flucht zwischen 1938 und 1945 aus verschiedensten Perspektiven. In die Schweiz zu flüchten versuchten nicht nur jüdische Verfolgte, sondern etwa auch Deserteure. Ein Schlaglicht wird aber auch auf Flüchtlingshelfer geworfen. Anhören kann man sich diese Geschichten allerdings nicht nur von Hörstation zu Hörstation radfahrend in Vorarlberg, sondern auch zu Hause vom Sofa aus. http://www.ueber-die-grenze.at/

Pressekonferenzen sind allerdings nicht nur eine Möglichkeit, seine Aktivitäten vorzustellen, sie bieten andererseits den anwesenden Journalisten und Journalistinnen auch ein Forum, um Fragen zu Themen abseits des Präsentierten zu stellen. Hanno Loewy ergreift als Person immer wieder das Wort, wenn es um die Themen Antisemitismus oder Israel/Palästina oder auch die BDS-Bewegung geht. Zuletzt erhitzte die Debatte um Antisemitismus auf der diesjährigen documenta in Kassel die Gemüter. Hier ließ Loewy am Dienstag auf entsprechende Journalistenfrage mit einem Satz aufhorchen: „Es war nicht nur der postkoloniale Indonesier, der den Antisemitismus hineingetragen hat, sondern auch der kulturbeflissene documenta-Gast.“ Er wünscht sich insgesamt eine multiperspektivische Debatte um Antisemitismus – so gehöre hier etwa auch das Phänomen des Philosemitismus hineingenommen. „Es gibt keinen Antisemitismus ohne Philosemitismus.“

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