Und es war menschlich möglich

SHOAH. Wie war es menschlich möglich? ist der Titel einer Ausstellung, die bis Ende Juni im Bibliotheksgang der Universität Wien zu sehen ist. Sie zeigt eindringlich, wie Jüdinnen und Juden das Recht auf Leben abgesprochen wurde.

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© Milli Segal

Die Schoah, der millionenfache Mord an Juden ist heute aus unterschiedlichsten Perspektiven erforscht. Die Ergebnisse sind zugänglich“, betonte der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, Oskar Deutsch, bei der Eröffnung der Schau. Aber: „Die Dimension der Grausamkeit bleibt unfassbar.“

Genau das dokumentiert die kompakte Ausstellung, die von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem gestaltet und von den Zeithistorikern Brigitte Bailer-Galanda und Oliver Rathkolb um österreichspezifische Informationen erweitert wurde. Eingangs wird Primo Levi zitiert: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“

Um die Geschichte wissen: Dazu trägt diese Schau bei. Sie ist frei zugänglich und steht im halböffentlichen Raum – Studierende, Lehrende, Besucher der Uni gehen an ihr vorbei, können stehen bleiben, nachlesen. Oder man sucht die Ausstellung gezielt auf, auch als Lehrer mit einer Schulklasse beispielsweise. Aus der Geschichte lernen, siehe das Zitat von Levi: Es kann immer wieder passieren.

Der Holocaust passierte jedoch nicht von einem Tag auf den anderen. Das verdeutlichen auch Bailer-Galanda und Rathkolb im Österreich-Teil der Ausstellung. Sie spüren dem Antisemitismus in Österreich vor 1938 nach. Und erinnern dabei etwa an ein Zitat von Karl Lueger aus einer Rede vor dem Reichsrat im Mai 1894: „Der Abgeordnete Popper hat behauptet, der Antisemitismus wird einmal zugrunde gehen. Gewiss, meine Herren, wird er einmal zugrunde gehen, aber erst dann, wenn der letzte Jude zugrunde gegangen sein wird.“

»Es ist geschehen, und folglich
kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.«
Primo Levi

Diese Aussage ist an Zynismus kaum mehr zu überbieten. Das muss doch auch Zeitgenossen aufgefallen sein, möchte man heute hinausrufen. Habt ihr nicht zugehört? Und dennoch nahmen die Dinge ihren Lauf. Sukzessive wurde in der Bevölkerung das Denken etabliert, dass Juden ohnehin keine Menschen seien. Nur so war es möglich, dass – wie Bailer-Galanda und Rathkolb einmal mehr klar herausarbeiten – schon in den Stunden vor und nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich in den Morgenstunden des 12. März 1938 alle Schranken fielen. Juden wurden aus ihren Wohnungen gezerrt und auf der Straße öffentlich gedemütigt. Unter dem Beifall der Umstehenden.

Medienmaschine: Sukzessive wurde in der Bevölkerung das Denken etabliert, dass Juden ohnehin keine Menschen sind. © Milli Segal

Die Ausstellung Der ewige Jude, die ab 30. Juli 1938 in der Nordwestbahnhalle in Wien zu sehen war, vermittelte den Bürgern schließlich intensiviert, wie vermeintlich verabscheuungswürdig Juden seien. Eine Bevölkerungsgruppe wurde entmenschlicht – und so die Menschen desensibilisiert, Unrecht gegenüber Juden auch als Unrecht zu empfinden. „Wie war es menschlich möglich?“, fragt die nun an der Uni Wien aufgestellte Schau. Vielleicht ist hier die Antwort zu suchen – und auch die Lehre daraus zu ziehen. 

 

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