Unerwünscht

Die Tierärztliche Hochschule in Wien verbannte jüdische Studierende, aber auch Studenten, die lediglich als „Mischlinge 2. Grades“ galten, nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten sehr rasch. Nun stellt sich die heutige Veterinärmedizinische Universität ihrer Geschichte.

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Lisa Rettl: Jüdische Studierende und Absolventen der Wiener Tierärztlichen Hochschule 1930−1947. Wege – Spuren – Schicksale.Wallstein Verlag 2018, 360 S., € 20,50

Der Beruf des Tierarztes gehört nicht zu jenen, an die man sofort denkt, wenn man über typische Lebensläufe von Juden und Jüdinnen in den 1930er-Jahren spricht. Aber es gab sie, die jüdischen Veterinärmediziner, und solche, die es werden wollten. Die Historikerin Lisa Rettl spürte ihnen im Rahmen eines vierjährigen Projekts des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) nach – im Wallstein Verlag hat sie nun unter dem Titel Jüdische Studierende und Absolventen der Wiener Tierärztlichen Hochschule 1930-1947 die Ergebnisse publiziert. Der Zeitrahmen wurde bewusst weiter als die NS-Zeit gefasst. Antisemitismus war schon vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ein Thema, so gelingt ein umfassenderes Bild.
Rettl hat für ihre Untersuchung den biografischen Zugang gewählt. Von über 40 Tierärzten und Studierenden, unter ihnen vier Frauen, die entweder jüdisch oder zumindest teilweise jüdischer Herkunft waren, zeichnet sie je nach Dokumentenlage mehr oder weniger detailliert die Lebenswege nach. Einige enden in den Vernichtungslagern der Nazis. Andere Jahrzehnte später in einer neuen Heimat, von Großbritannien über Australien bis Israel.
Der Verweis von der Tierärztlichen Hochschule erfolgte rascher als etwa der Ausschluss vom Humanmedizinstudium. Eine Begründung dafür findet sich in den Unterlagen der Hochschule zu Wilhelm Eckard Brückner (1920–1988), von den Nazis als „Mischling 2. Grades“ eingestuft. Ihm wurde mitgeteilt, dass „jüdischen Mischlingen nicht damit gedient sei, wenn sie zu Prüfungen zuglassen würden“, da sie von „allen öffentlichen Aufgaben des tierärztlichen Berufes, insbesondere von der Schlachtvieh- und Fleischbeschau, von veterinärpolizeilichen Untersuchungen usw. ausgeschlossen sind“.
Aus den Jahren vor 1938 sind zwar nicht viele antisemitische Übergriffe an der Hochschule dokumentiert, aber ein paar wurden doch aktenkundig. So protestierte zum Beispiel 1933 ein Student, der auf Grund seiner Anzeige gegen nationalsozialistische Studienkollegen wegen eines auf der Hochschule verübten Bombenattentates seinerseits gemobbt wurde, im Seziersaal der Anatomie dagegen, mit den ihm zugeteilten jüdischen Sezierpartnern Julius Kahan und Marcel Platzmann zu arbeiten.

Unliebsame Vorfälle. Ein anderer Vorfall führte sogar zu einer zweiwöchigen Sperre der Tierärztlichen Hochschule. Otto Kohane, Nachmann Nagel und Moses Singer wurden dabei von nationalsozialistischen Studierenden 1933 gewaltsam attackiert. Vorausgegangen war dem, dass Singer bei einer sozialdemokratischen Versammlung in einem nahen Gasthaus zwei nationalsozialistische Studierende verraten haben soll, was dazu führte, dass diese niedergeschlagen wurden. Im Mai 1933 gerieten dann die drei jüdischen Studierenden in Bedrängnis. Sie befanden sich im Chemiesaal, als sie von einer Gruppe von Studierenden angegriffen werden sollten. Ein Assistent merkte dies und sperrte die Tür zum Saal ab. Das hinderte die aufgebrachte Menge nicht zu versuchen, die Türe aufzubrechen. Rektor David Wirth ordnete daraufhin eine 14-tägige Sperre der Hochschule an, um „etwaigen unliebsamen Vorfällen vorzubeugen“. Kohane und Nagel beendeten ihr veterinärmedizinisches Studium in Wien. Moses Singer, der zudem marxistisch orientiert war, kehrte nach dem Vorfall nicht mehr an die Hochschule zurück.
Die Spurensuche Rettls förderte durchaus auch Skurriles zu Tage, wie etwa den Fall von Roderich Herbert Guth. Er promovierte 1936 an der Hochschule, sah sich in den Jahren zuvor aber mit einem „bedingten Verweisungsbeschluss“ konfrontiert. Genaueres zu dem Grund ist nicht bekannt, lässt sich aber auf Basis dieses Vermerks vermuten: „Sie sind verdächtig, die Begehung staatsfeindlicher Handlungen zu begünstigen, zu fördern und zu ermutigen.“
Laut Gauakt im Österreichischen Staatsarchiv war Guth illegaler Nationalsozialist gewesen – er war der NSDAP im Juni 1933 beigetreten, und zwar wenige Tage nachdem diese verboten worden war. Zwischen 1933 und 1936 fungierte er an der Tierärztlichen Hochschule auch kurz als Blockwart, und er gehörte der SA an. Mit 1. Mai 1938 wurde er – wie viele andere frühere illegale Nazis auch – offiziell in die Partei übernommen. Doch drei Jahre später wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Man hatte herausgefunden, dass Guth ein „Mischling 1. Grades“ war.
Petra Winter, die heutige Rektorin der nunmehrigen Veterinärmedizinischen Universität Wien, will die Studie Rettls als Grundlage für eine universitätsweite Diskussion darüber heranziehen, „wie wir uns unserer Verantwortung auf dem Campus erinnern wollen. Es liegt in unserer Verantwortung, der Opfer zu gedenken und dies auch auf unserem Universitätsgelände sichtbar zu machen.“ Wie auch immer das dabei entstehende Denk- und Mahnmal eines Tages aussehen werde, „es wird für unsere Universität und für alle ihre Angehörigen ein bleibendes und symbolisches Erinnerungszeichen sein, dass faschistische Grausamkeiten und unmenschliches Leiden niemals wieder einen Platz in unserer Gesellschaft haben dürfen.“

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