„Unser Gemeindeleben muss möglichst normal weitergehen“

IKG-Präsident Oskar Deutsch über die Restaurierung des Wiener Stadttempels, einer „Visitenkarte Wiens und Österreichs“, als notwendiges Projekt gerade jetzt sowie dessen Finanzierung und Einbindung in die Zukunft der Kultusgemeinde.

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Oskar Deutsch im Herzen des Wiener Stadttempels, der bald sein 200-Jahr-Jubiläum feiert. © Juerg Christandl / picturedesk.com; IKG Wien/Christine Schmidl

WINA: Mitten in schwierigsten Zeiten für die Gemeinde und das Judentum wird von der IKG ein sehr ambitioniertes Projekt angegangen. Die Restaurierung und Sanierung unseres Stadttempels. Ganz naiv gefragt: Haben wir keine anderen Sorgen?

Oskar Deutsch: Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Wir haben auch andere Sorgen. Aber wir haben uns nicht erst seit dem 7. Oktober, sondern schon vor drei Jahren die Frage gestellt, was wir anlässlich 200 Jahre unserer Synagoge, die in ihre Jahre gekommen ist, machen. Einer Synagoge, die wunderschön ist, die unter Denkmalschutz steht, wo aber vieles, von der Akustik über die Sitzplätze und einiges mehr, verbessert werden kann. Das ist vielleicht ambitioniert, aber etwas, das jetzt sein muss. Dieser Stadttempel Wiens ist übrigens nicht nur die Hauptsynagoge der Kultusgemeinde, das spirituelle Zentrum der Juden und Jüdinnen hier. Er ist auch eine Visitenkarte der Stadt Wien und Österreichs. Außerdem bemühen wir uns seit dem 7. Oktober, keine Veranstaltungen und überhaupt gar nichts zu verschieben und weiterhin ein möglichst normales Gemeindeleben anbieten zu können.

Seit wann bestehen konkrete Pläne für dieses Projekt?
I Schon länger. Ein 200-Jahr-Jubiläum fällt ja nicht vom Himmel. Bereits vor drei Jahren haben wir eine Restaurierung und Sanierung angedacht und das Vorhaben konkret im Wahlprogramm für die Kultusvorstandswahlen 2022 veröffentlicht. Im Übrigen haben wir heuer in der IKG ein Jahr der Jubiläen: Wir haben 40 Jahre ZPC-Schule gefeiert, wir feiern im November 30 Jahre Esra und 50 Jahre Maimonides Zentrum sowie 50 Jahre Verein bucharischer Juden. Unser Leben muss trotz steigendem Antisemitismus weitergehen.

Weitere Informationen finden Sie unter
stadttempel.at

Spendenkonto:
Israelitische Kultusgemeinde Wien
IBAN: AT82-1200-0100-3011-8409
BIC: BKAUATWW
Spendenzweck: Restaurierung Stadttempel

 

In seltener Einigkeit wurde vom Kultusvorstand der Auftrag an das Büro KENH vergeben, das von Architektin Natalie Neubauer gemeinsam mit weiteren Architekten geführt wird. Es gab für diese Vergabe keine Ausschreibung, wieso?
I So selten ist Einstimmigkeit nicht. Vor allem dann nicht, wenn etwas gut vorbereitet ist und sich alle davon überzeugt haben, dass dieses Projekt auch wirklich notwendig ist. Ein Wettbewerb war nicht nötig, weil nichts Neues geplant, sondern restauriert und saniert wird. Schon allein der Denkmalschutz und die Sicherheitsfragen haben eine besondere Bedeutung, die der Kultusvorstand bedacht hat und die bei KENH in besten Händen sind.

Gemeindemitglieder wurden Anfang September zu einem „Bürgerparlament“ eingeladen und werden auch aufgefordert, sich mit Wünschen und Anregungen einzubringen. Ist das mehr als eine Good-will-Aktion?
I Der Stadttempel ist nicht die Synagoge von Ossi Deutsch oder des Oberrabbiners, es ist die Synagoge aller unserer Gemeindemitglieder, übrigens auch von jenen, die nicht regelmäßig in den Tempel gehen. Deswegen werden wir uns bemühen, gute Anregungen umzusetzen, sofern es möglich ist. Die Kultusgemeinde ist die Gemeinde ihrer Mitglieder, und ich bemühe mich immer, deren Meinungen in unsere Überlegungen einzuarbeiten.

Die Finanzierung soll das IKG-Budget nicht belasten und zu zwei Drittel aus der öffentlichen Hand kommen. Das dritte Drittel soll über Fundraising aufgestellt werden. Wie zuversichtlich kann man sein, diese Summe über den Spendenweg zu erhalten?
I Ich bin da sehr zuversichtlich.

  „Man muss an das Gute im Menschen glauben.“  
  Oskar Deutsch  

Geldgeber über 2.500 Euro sollen unter dem Titel „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ symbolisch einen der 600 Sternen in der Kuppel erhalten. Was macht man, wenn es hoffentlich mehr Spender werden?
I Wir werden ja nicht nur Sterne anbieten. Das Ziel ist 3,5 Mio. Euro über Fundraising zu erhalten. Es wird eine Tafel geben, auf der alle Spenderinnen und Spender, so sie das wollen, aufgelistet sein werden. Parallel müssen wir natürlich weiter das Fundraising für das Budget der Kultusgemeinde betreiben, aber wir haben dort tüchtige Leute, also wird das funktionieren.

Der Budgetrahmen von rund zehn Millionen Euro wurde vor der Ausschreibung der einzelnen Posten festgelegt, d. h. mit etlichen Variablen. Was passiert, wenn dieser Plafond nicht gehalten werden kann?
I Wir werden nur das Geld ausgeben, das wir haben. Wenn der Kostenrahmen nicht gehalten werden kann, dann wird man eben etwas nicht machen können. Oder wir bekommen mehr Geld herein.

2017 führten wir ein Gespräch anlässlich der Präsentation Ihres Bandes Die Zukunft Europas und das Judentum. Da meinten Sie, als IKG-Präsident müsste man „ein ewiger Optimist“ sein. Unsere Zukunft hat sich seither dramatisch eingetrübt. Haben Sie sich Ihren Optimismus erhalten können?
I Sehr schwer, weil ich Realist bin. Wenn ich das Licht am Ende des Tunnels trotz viel Optimismus nicht sehen kann, dann habe ich ein Problem. Aber ich glaube, dass G’tt ein Vater ist und dass Israel diesen Krieg gewinnen wird. Wie es dann aber weitergeht und was dann politisch herauskommt, weiß ich nicht. Den Kampf gegen den Antisemitismus in Österreich, Europa und der ganzen Welt müssen wir Juden, aber auch die Zivilgesellschaften führen. Wir werden derzeit aber von Antisemiten, ob von rechts, links oder von den Islamisten, nicht nur überholt, sondern regelrecht überrundet. Ich erinnere mich immer an meinen Vorvorgänger Paul Grosz, der gesagt hat, wenn es den Juden gut geht, geht es der gesamten Bevölkerung gut. Am Ende des Tages muss man aber an das Gute im Menschen glauben, überhaupt an den Menschen. Das ist heute vielleicht schwer, aber in diese Richtung muss man denken. Es muss und wird sich verbessern.

Ist, um an Ihren Buchtitel anzuknüpfen, ein Europa ohne Juden vorstellbar?
I Die Frage ist, wohin gehen wir, wenn wir hier nicht mehr leben können sollten? Wenn es uns verboten wird, zu schächten und Brit Mila (religiöse Beschneidung) zu machen, dann wäre es ein klares Statement, dass man uns nicht haben will. Vor fünf Jahren hat man noch gesagt, wir könnten nach Kanada oder in die USA. Jetzt sagt man, wobei es in Österreich noch viel besser ist als anderswo, wenn wir jetzt weg müssten, könnten wir nur in unsere spirituelle Heimat, und das ist Israel. Trotz der Raketen, die von allen Seiten kommen.

So gesehen ist die Restaurierung des Tempels zum Jubiläum 2026 wohl auch ein Symbol für eine Zukunftshoffnung für unserer Gemeinde.
I Ja, genau! Deshalb habe ich auch eingangs gesagt, wir führen unsere Projekte fort. Wenn wir keine Hoffnung hätten, sollte man vielleicht solche Projekte nicht in Angriff nehmen. Aber wir haben Hoffnung und wir lassen uns nicht unterkriegen.

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