Unwiederbringliches festhalten

Regisseur Stephanus Domanig über die Entstehung seines berührend-humorvollen Dokumentarfilms Das erste Jahrhundert des Walter Arlen.

2036

Wina: Sie haben mit Ihrem Dokumentarfilm über Walter Arlen sicher keine Liebesgeschichte erzählen wollen. Ich finde trotzdem mehrere Aspekte eines Liebesfilms: Man spürt Ihre Zuneigung zu den handelnden Personen; die Liebe zur Musik und die innige Verbundenheit zwischen Walter Arlen und seinem Partner Howard Myers. Wie sind Sie auf Walter Arlen gestoßen?
Stephanus Domanig: Als Dokumentarfilmer werden einem im Freundeskreis oft Themen vorgeschlagen – mit dem Hinweis, über das oder über den sollte man etwas machen. Das ist oft ein intuitiver Zugang und nicht immer ein Filmthema. In unserem Fall hat Daniel Löcker, Wissenschaftsreferent der Stadt Wien, Walter Arlen schon lange und gut gekannt und oft von ihm erzählt. Bei einer CD-Präsentation Arlens haben wir uns dann mit meinem Ko-Produzenten Peter Janacek zur Materialsicherung entschlossen. Das heißt, in einem noch budgetlosen Zustand etwas Unwiederbringliches festzuhalten. Das war im Mai 2015, da war Walter 95 Jahre alt, kam aus Los Angeles und hat uns mit seinem Charme in kurzer Zeit „eingekocht“. Wir waren von seinem Auftritt und seiner ganzen Persönlichkeit begeistert.

Wann wurden die Pläne sozusagen filmreif?
❙ Zuerst wussten wir nicht, was aus dem Projekt werden würde, aber dann rief mich Howard Myers an und erzählte von den neuen Plänen zu Song of Songs. Trotz unsicherer Finanzierung gelang es uns, bei der Uraufführung dieser lyrischen Hohelied-Kantate von Walter Arlen in Los Angeles dabei zu sein und Proben sowie die Aufführung zu drehen. 2016 haben wir Walter und Howard zu Dreharbeiten nach Wien geholt. Im Oktober 2017 kamen sie dann zur österreichischen Erstaufführung des Song of Songs mit den Wiener Symphonikern im Konzerthaus.
Die gesamte lange Drehphase über hatten wir Finanzierungsprobleme, und ohne die großzügige Unterstützung unserer Sponsoren, allen voran Martin Schlaff, hätten wir das Projekt nicht realisieren können.

 »Ich wollte keinen Film mit erhobenem
Zeigefinger machen.«
Stephanus Domanig

Was hat Sie so lange an dem Film gefesselt?
❙ Einige meiner bisherigen Filme hatten etwas mit Musik zu tun. Auch bei Walter hat mich wieder die Musik inspiriert, aber auch sein Schicksal tief bewegt. Ich saß hier einem Mann gegenüber, der den ganzen Wahnsinn von 1938 als Erwachsener in Wien erlebt hatte, er war damals 18 Jahre alt und flüchtete erst ein Jahr später. Das hat mir diese Zeit unmittelbar nahe gebracht: Das war plötzlich Zeitgeschichte zum Anfassen, durch ein einziges Menschenleben konnte man den Bogen über ein Jahrhundert spannen – von 1920 bis 2018.

Der Film berührt durch tragische, aber auch sehr humorvolle Momente. Was war schlussendlich Ihre Motivation für diesen Film?
❙ Es gibt zahlreiche Filme, österreichische und internationale, die sich mit dieser Thematik beschäftigen. Was ich partout nicht wollte, war, in eine Sackgasse zu geraten, wo alle Kinobesucher nach fünf Minuten schon wissen, wo es hingeht. Es war mir wichtig, einen Zugang zu dem Thema zu entwickeln, einen individuellen filmischen Ton zu finden, der nicht so leicht vorhersehbar ist und auch unerwartete Wendungen nimmt. Das Schöne am Dokumentarfilm ist, dass er großteils im Schneideraum entsteht, so kann man die Gewichtung der Geschichte und einzelne Handlungsstränge steuern. Keinesfalls wollte ich einen Film mit dem erhobenen Zeigefinger machen.

Gibt es Pläne für Festival-Einreichungen?
❙ Wir haben uns sehr gefreut, dass der Film auf der VIENNALE Premiere feiern durfte. Jetzt sind wir im Katalog der Austrian Film Commission (AFC), die Einreichungen bei internationalen Festivals macht. In Österreich läuft Das erste Jahrhundert des Walter Arlen ab 22. März 2019 im Metro Kinokulturhaus.

An welchem Filmprojekt arbeiten Sie derzeit?
❙ Ich arbeite – parallel zum Walter-Arlen-Film – bereits über zwei Jahr an einem Kinodokumentarfilm anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums der Wiener Staatsoper 2019. Die Kinopremiere wird am 28. April im „Haus am Ring“ stattfinden. Es ist ein Film, der einen einzigartigen Blick hinter die Kulissen der Wiener Staatsoper wirft und erzählt, was in einem der größten Repertoiretheater der Welt tagtäglich geschieht.

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