Verschwiegen und vergessen

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Ein Denkmal zur Erinnerung an die jüdische Gemeinde Deutschkreutz-Zelem entsteht erst jetzt – auf Privatinitiative. Von Marta S. Halpert

Wenn sich ein erfolgreicher Unternehmer einer Event-Agentur zwei Jahre lang darum bemüht, den vertriebenen und ermordeten jüdischen Bürgern einer ehemals bedeutenden Gemeinde einen Gedenkstein zu errichten, denkt man gleich an familiäre Wurzeln. „Nein, ich habe keinerlei familiäre Bande nach Deutschkreutz oder ins Burgenland“, beteuert Michael Feyer, „aber bei meinen Besuchen war es für mich immer ein großes Ärgernis, dass in dieser ehemals so wichtigen jüdischen Gemeinde nichts mehr an diese Menschen erinnert.“ Mit viel Geduld und großer Akribie machte sich der Goldschmied und frühere Gastronom auf die Spurensuche und brachte die traurige Geschichte einer vergessenen Gemeinde ans Tageslicht. Und nicht nur das: Michael Feyer konzipierte und entwarf das Denkmal, das am 3. Juli 2012 auf der Hauptstraße des Ortes aufgestellt wird. Er führte viele Gespräche mit lokalen Politikern,  beschaffte Fördermittel, überwachte die Entstehung des Objekts in den Werkstätten – alles in seiner Freizeit und ehrenamtlich.

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„Mein Ziel ist es, dieser angesehenen jüdischen Gemeinde, die hier bis 1938 so gut integriert war, eine würdige Gedenkstätte zu errichten“, erklärt Feyer. Deutschkreutz-Zelem war die größte und berühmteste der Schewa Kehilot  der sieben jüdischen Gemeinden des Burgenlandes, gemeinsam mit Eisenstadt, Mattersburg, Kobersdorf, Lackenbach, Frauenkirchen und Kittsee. Und gerade hier gibt es keine Erinnerungsstätte? „Es gab einen Gedenkstein aus dem Jahre 1949, der an die brutale Zerstörung des Tempels erinnerte. Aber der ist inzwischen unauffindbar“, so Feyer. Die Recherche des engagierten Wieners hatte ergeben, dass im Zuge des Grundstückverkaufs und eines Neubaus in den 1970er-Jahren der Gedenkstein demontiert wurde. „Seit Jahrzehnten weist daher nichts mehr auf das seinerzeitige rege jüdische Leben hin“, berichtet Feyer. Einzig der jüdische Friedhof überstand auch die Verwüstungen der NS-Zeit: Die meisten Grabsteine wurden zwar zur Befestigung des Ostwalls gestohlen, in der Zwischenzeit wurden aber 38 Grabsteine, die auf dem Wiener Zentralfriedhof zwischengelagert waren, wieder aufgestellt oder Fragmente in die Mauern eingelassen. Jetzt wurde für das Denkmal ein sehr zentraler Standort gewählt: Es wird mit dem Carl-Goldmark-Museum*, das sich im Mittelpunkt der ehemaligen „Judengasse“ befindet, ein Ensemble bilden.

Unter dem Schutz der Ésterhazys

Auf Grund seiner weltweiten Bedeutung für das Judentum ist Deutschkreutz der einzige Ort in Österreich, für den es auch einen hebräischen Ortsnamen gibt: Zelem heißt „Bild“ im Sinne von Götzenbild. Das genaue Datum der Ansiedlung der Juden in Deutschkreutz ist nicht bekannt. Bezeugt sind aber bereits im Jahre 1478 zwei jüdische Handwerker. Als 1526 die Juden aus Ödenburg ausgewiesen wurden, ließen sich die meisten in Deutschkreutz nieder. Das Haus Ésterhazy wurde nach 1670 zum Schutzherrn jener Juden, die von Leopold I. aus Wien vertrieben worden waren. Im 18. und 19. Jahrhundert wuchs die jüdische Bevölkerung in Deutschkreutz stark an, sodass Zelem 1857 mit 1.244 Gemeindemitgliedern die größte der Schewa Kehilot war. Die Zuwanderer stammten vor allem aus Wien, Niederösterreich, Mähren und verschiedenen Städten Deutschlands. In die westungarische Gemeinde Deutschkreutz waren sie zwecks Heirat, Geschäften sowie Torastudium gekommen.

„Mitten in Deutsch-Kreuz eine Filiale der Leopoldstadt. Siebzig jüdische Familien wohnen seit tausend Jahren im Deutsch Kreuzer Getto. Denn sie wohnen alle zusammen, in einer großen Häusergruppe hinter den weiten Gehöften der reichen Bauern, und führen ein eigenes Leben. In der Mitte steht der Tempel, mindestens ein paar Jahrhunderte alt. “ Diese Zeilen schrieb niemand Geringerer als Joseph Roth im August 1919 nach seiner „Reise durch das Heanzenland“ (die deutschsprachigen Bewohner des südlichen und mittleren Burgenlands werden als Heanzen bezeichnet).

1938 wird Zelem ausgelöscht

„Auch in der schwierigen Zwischenkriegszeit zählten die jüdischen Geschäfte für die bäuerliche Bevölkerung der Umgebung zum Handelszentrum, denn die jüdischen Händler vertrieben landwirtschaftliche Produkte wie Getreide und Wein“, berichtet der Historiker Dr. Adalbert Putz**. Bis 1938 entsandte die Judengemeinde zwei Vertreter in den Gemeinderat von Deutschkreutz, und laut Joseph Roth vertrugen sich die Juden ausgezeichnet mit der Bevölkerung, wobei die Bauern streng zwischen „Budapester“ und „unseren“ Juden unterschieden. „Unsere Juden“ schätzte man in Deutschkreutz sehr, da sie sich – so Roth – nur mit ehrlichem Handel beschäftigten.

Doch auch das half ihnen nicht mehr: Schon am Freitagabend des 11. März 1938, also vor dem Einmarsch der Deutschen, begannen in Deutschkreutz judenfeindliche Ausschreitungen. „Die Studenten saßen um den Tisch ihres Rabbiners Levi Jitzchak Grünwald, als plötzlich Steine durchs Fenster flogen. Durch ein Wunder wurde niemand verletzt, aber der Rabbiner schickte daraufhin die Schüler nach Hause. So wurde die Jeschiwa, die jahrhundertelang existiert hatte, für immer geschlossen“, schreibt Chaya-Bathya Markovits, Lektorin an der Bar Ilan Universität, in ihrer Studie***.

Unmittelbar danach wurden die angesehenen Gemeindemitglieder verhaftet und im Oberpullendorfer Gefängnis eingesperrt. Am 30. März meldete die Jewish Telegraphic Agency, dass alle Juden in Deutschkreutz von der Geheimen Staatspolizei arretiert worden waren und ihr Vermögen konfisziert wurde. Laut Verordnung mussten die Zelemer Juden innerhalb von zwei Wochen ihre Heimat verlassen, ferner mussten sie Erklärungen unterschreiben, in denen sie ihren „freien Willen zur Auswanderung bestätigen“.

Vielleicht war hinter diesem langen Verschweigen in Deutschkreutz gar keine böse Absicht: ... Niemand vermisste die jüdischen Menschen. Man hat die Lücke klanglos unter sich geschlossen. Bist jetzt.

Bis Anfang Mai hatten alle Juden Deutschkreutz verlassen. Der Letzte, der ging, war der Lehrer David Wiener. „Die nach Wien verbrachten Deutschkreutzer Juden bemühten sich fieberhaft um die Ausreise, hauptsächlich nach England, USA, Schweiz, Holland und Israel. 158 gelang die Emigration. Von 81 Zelemer Juden weiß man, dass sie ermordet wurden. Das Schicksal von 181 Deutschkreutzer Juden ist unbekannt“, so Markovits.

Der Vertreibung der Juden folgte die Zerstörung ihres Eigentums.  „Am Sonntag, dem 16. Februar 1941, wurde die Synagoge aus dem Jahre 1834 von den Nazis gesprengt. Der massive Bau wurde mit 140 Sprenglöchern, dem Doppelten des Erlaubten, geladen, sodass der ganze Tempel hoch in die Luft geschleudert wurde, eher er im Schutt dalag“, schreibt Putz, der sich seit Jahrzehnten um die Gedenkkultur für die ehemalige jüdische Gemeinde verdient gemacht hat. Unterstützt wurde Michael Feyer bei seinem Vorhaben sowohl von Barbara Prammer in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Nationalfonds, Kurt Scholz, dem Vorsitzenden des Zukunftsfonds, als auch im Burgenland von Landeshauptmann Hans Niessl und der früheren Gesundheitsministerin Christa Krammer, die aus Deutschkreutz stammt und dort lebt.

Taucht man in die reiche Geschichte des jüdischen Zelem ein, schätzt man die selbstlose Arbeit von Michael Feyer noch mehr. Es ist ärgerlich und beschämend, dass an so viel geistiges jüdisches Leben nur mehr ein gepflegter Friedhof erinnern soll. Vielleicht war hinter diesem langen Verschweigen in Deutschkreutz gar keine böse Absicht: Es gab keine Zeugen, weder für das Geschehene noch das Ungeschehene. Niemand vermisste die jüdischen Menschen.  Man hat die Lücke klanglos unter sich geschlossen. Bis jetzt.

*Carl Goldmark (1830–1915) war Komponist und Sohn eines Kantors, der in Deutschkreutz lebte. – Vgl. Christof Habres, Elisabeth Reis: Jüdisches Burgenland. Metro Verlag 2012.

**Adalbert Putz: Zelem – Zentrum jüdischer Kultur in Deutschkreutz. Gemeinde Deutschkreutz 1995.

***Chaya-Bathya Markovits: Zelem – die jüdische Gemeinde von Deutschkreutz. Broschüre.

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