Verspielt und dennoch klar

Natacha Ramsay-Levis Bestellung als Kreativdirektorin des Modehauses Chloé vor einem Jahr schien auf den ersten Blick eine Überraschung. Inzwischen ist sie im harten internationalen Fashion-Business gut etabliert.

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Natacha Ramsay-Levi startete ihre Modekarriere bei Balenciaga. Seit 2017 leitet sie Chloé. © picturedesk.com

Sie ist mehr als angekommen. Wenn die renommierte Londoner Financial Times in ihrer telefonbuchschweren Modesonderbeilage A Passion for Fashion einer jungen Frau die Aufmachergeschichte als großes Einzelporträt widmet, dann hat diese es als Modeschöpferin geschafft, die Insidergrenzen der Branche zu überschreiten. Natacha Ramsay-Levi war vor einem Jahr noch für viele überraschend zur Kreativdirektorin des Pariser Modehauses Chloé bestellt worden, als erste Französin nach einer Reihe britischer Designerinnen, unter ihnen Clare Waight Keller oder Stella McCartney.

Die Londoner FT sollte nicht das einzige Medium bleiben, das Ramsay-Levi für ihre Mischung aus romantisch-floralen Stoffen und etwas strengeren klassischen Linien lobte. Ob in der Vogue oder im Guardian, im New Yorker oder in der Elle: Die Modeberichterstatter zeigten sich von ihren ersten Kollektionen durchwegs angetan.

Dabei war die heute 38-Jährige bei ihrer Bestellung im Frühjahr 2017 in der breiten Öffentlichkeit eher von nächtlichen Fotos als Pariser Partygirl und Freundin eines schrägen jungen Verlegers bekannt, mit dem sie auch ein Kind hat. Doch sie konnte deutlich mehr, als nur ausgelassen chillen und in angesagten Clubs Champagner trinken. In der Modebranche selbst hatte sie sich längst mit ihrer harten und smarten Arbeit einen Namen gemacht.

Gegründet wurde Chloé von Gaby Aghion,
einer jüdisch-ägyptischen Schneiderin
und politischen Aktivistin, die 1945
nach Paris übersiedelt war.

Ramsay-Levi kommt aus einer Pariser Intellektuellenfamilie. Ihr Vater Jean-­Pierre Ramsay-Levi gründete in den 70er-Jahren einen anspruchsvollen Buchverlag, den er später an Gaumont verkaufte. Dann gab er Zeitschriften heraus – auf einem der Cover findet sich ein Foto von Natacha als Mädchen. Später wechselte Ramsay-Levi zu Film und Fernsehen, schrieb Drehbücher, produzierte Dokumentationen und arbeitete unter anderem mit dem Regisseur Claude Chabrol zusammen.

Natacha wollte eigentlich Historikerin werden und hatte ihre Modekarriere ganz unten begonnen, mit einem Praktikum und simplen Hilfsarbeiten wie Kaffeeholen beim Label Balenciaga. Doch dabei sollte es nicht lange bleiben. Innerhalb von neun Jahren arbeitete sie sich zur Leiterin des Studios hinauf. Ihren damaligen Chef, Nicolas Ghesquière, beeindruckte sie so stark, dass er sie nach seinem Wechsel zu Louis Vuitton 2012 ein Jahr später nachholte. Er agierte als Kreativdirektor für Damenmode, ihr wurde die Leitung der Damenkonfektion anvertraut.

Erfinder von Prêt-à-porter. Bei Chloé trägt sie nun die Gesamtverantwortung für sämtliche Produkte – von der Damenmode bis zu Schuhen und Taschen, die eigentlich die Hauptumsatzträger sind. Dabei ist Chloé geschäftlich gerade auf Expansion getrimmt. Allein im Vorjahr wurden 12 neue Boutiquen eröffnet, eine Reihe weiterer internationaler Standorte ist bereits geplant.

Karl Lagerfeld
war von 1963 bis 1983 und 1992 bis 1997 Chefdesigner von Chloé. Ihm folgte Stella McCartney. © picturedesk.com

Chloé ist Teil eines großen globalen Modekonzerns, der Schweizer Riche-mont-Gruppe. Zu dieser gehört eine Anzahl internationaler Luxusmarken, nicht nur aus der Bekleidungsbranche: Das sind etwa neben Dunhill Cartier, Montblanc, IWC, Jaeger-leCoultre, Lange & Söhne, Piaget oder Purdey. Und diese anspruchsvollen Marken leisten sich auch hoch qualifiziertes Personal. So gab es bei Chloé vor Ramsay-Levi nicht nur Stella McCartney als prominente Vorgängerin, sondern etwa auch Karl Lagerfeld, der sogar zweimal an der Spitze des Modehauses stand.

Gegründet wurde Chloé von Gaby Aghion, einer jüdisch-ägyptischen Schneiderin und politischen Aktivistin, die 1945 nach Paris übersiedelt war. Aghion, Jahrgang 1921, bewegte sich in den Kreisen Intellektueller und Akademiker der Rive Gauche, im dortigen Café de Flore stellte sie 1952 auch ihre erste Kollektion vor. Geschäftlicher Partner beim Modehaus, das für seine verspielten und bunten Kleider aus fließenden Stoffen bekannt wurde, war der Unternehmer Jacques Lenoir, benannt hatte es Aghion nach einer Freundin.

Chloé sollte über die Jahre eine lange Reihe prominenter Kundinnen ausstatten: Erst waren das Brigitte Bardot, Grace Kelly, Maria Callas oder Jackie Kennedy, später Marion Cotillard, Sienna Miller, Madonna, Cameron Diaz oder Emma Stone. Man schreibt Aghion heute die Erfindung des Konzepts der „Prêt-à-porter“ oder „Ready-to-wear“-Mode zu, vom Design her anspruchsvolle Kollektionen, aber keine maßgefertigten Einzelstücke für wohlhabende Kundinnen mehr, sondern bereits Serien für breitere Käuferschichten. Angeblich war Givenchy der erste etablierte Couturier, der dieses Konzept dann übernahm und populär machte. Aghion führte Chloé selbst lange Jahre – bis 1985. Dann wurde das Modehaus von der Alfred Dunhill Ltd. übernommen. Dunhill fusionierte später mit Cartier zur Group Vendôme, die mittlerweile Teil der Schweizer Richemont-Gruppe ist. 

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