„Viele Lichter, nicht nur eins“

Er ist kühler Rationalist und leidenschaftlicher Menschenkenner, politischer Zeitgenosse und poetischer Erzähler. Die beiden Seiten von Amos Oz, dem prominentesten Autor der israelischen Gegenwartsliteratur, beleuchten zwei Bücher, die gleichzeitig und wohl nicht zufällig zum runden Geburtstag des Staates erscheinen.

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© Dan Balilty/AP/picturedesk.com; 123RF

Liebe Fanatiker

Seine langjährige Erfahrung als „Fachmann für vergleichenden Fanatismus“ führt Amos Oz auf seine Kindheit in Jerusalem zurück, einen Brennpunkt für religiösen Fanatismus aller Art.

„Ein Fanatiker ist ein Mensch, der nur bis eins zählen kann“, ist eines der eingängigen Statements aus dem von ihm treffend gezeichneten Psychogramm dieser Spezies. Fanatiker kennen keine Grautöne, sie haben keinen Humor, sie diskutieren nicht, sie sind anmaßend und wollen, dass alle so werden wie sie selbst.

Als Diagnostiker weiß Amos Oz um die Symptome dieser ansteckenden Krankheit und warnt vor ihr. Mildere Formen mag man schon im zwischenmenschlichen Bereich beobachten können, und auch der Wunsch, alle Fanatiker vernichten zu wollen, bedürfte einer behutsamen Therapie. Für diese hat Oz, was kein Wunder ist, allerdings weniger praktikable Vorschläge, obwohl sein nunmehr aktualisierter Essay auf einem älteren unter dem Titel Wie man Fanatiker kuriert beruht.

»Wenn uns eines Tages niemand mehr vernichten will – worin besteht dann unsere Identität?«

Die wachsende Sehnsucht nach einfachen Antworten, Lösungen und Erlösungen verschafft, wie wir ja alle beobachten können, den Fanatikern weltweit Zulauf, zumal die „Immunisierung“ gegen das Gift, eine Art „Geschenk“ aus der historischen Erfahrung mit den Fanatikern Hitlers und Stalins, rapide unwirksam wird, stellt Oz fest.

Ausgehend vom globalen Phänomen landet er recht bald bei der spezifisch jüdischen Ausformung, beim religiösen Fanatismus und seinen Gefahren für das heutige Israel.

„Viele Lichter, nicht nur eins“, viele Meinungen, eine alte Kultur des kreativen Streits und des Pluralismus zeichnen die Geschichte des Judentum aus, während die streng halachische Orthodoxie keine Meinungsvielfalt gelten ließe, ist der ebenso säkulare wie bibelkundige Autor überzeugt.

Amos Oz:
Liebe Fanatiker.
Drei Plädoyers.
Von Mirjam Pressler
ins Deutsche übertragen.
Suhrkamp Verlag,
143 S., 18,60 €

Fataler Größenwahn. Nationaler Fanatismus und der Größenwahn seiner Anführer, die glaubten, die Übermacht Babylons und Roms besiegen zu können, seien schuld am Untergang der alten Reiche Israels gewesen, und nun seien religiöse Fanatiker bereit, für das Recht, auf dem Tempelberg zu beten, Blut fließen zu lassen. „Wer einen Weltkrieg gegen den Islam anzetteln möchte, soll es bitte ohne mich tun, ohne meine Kinder und Enkelkinder“, weist Oz derlei Größenwahnsinn zurück. Ein Pazifist ist der ehemalige Feldwebel keineswegs, jedoch ein geerdeter Pragmatiker, der – fast fanatisch – an den Kompromiss glaubt, denn „das Gegenteil von einem Kompromiss ist Fanatismus und Tod.“

Wichtiger als Gebiete und Grenzen ist Oz die jüdische Identität des Landes und seiner Menschen, die sich nicht nur im Kampf gegen eine feindliche Außenwelt definieren dürfe.

„Wenn uns eines Tages niemand mehr vernichten will – worin besteht dann unsere Identität?“, fragt Oz wohl eher theoretisch, denn derlei Sorgen möchten wir haben.

Dass es um nichts weniger als um Leben oder Tod des Staates Israel geht, zeigt er in seinem abschließenden Essay auf, einem flammenden Plädoyer für die Zweistaatenlösung, die er seit vielen Jahren als einzig realistischen Ausweg sieht, wenn es nicht zu einem arabischen Staat „vom Mittelmeer bis zum Jordan“ kommen soll.

Und so zeigen die drei Essays des Bandes letztlich die Wandlung eines zionistischen Idealisten zum bekennenden Pragmatiker und die altersweise Summa eines Homo politicus zutiefst jüdischer Prägung, der sich um sein geliebtes Land einfach große Sorgen macht.

Wo die Schakale heulen

Gerade neun Jahre war Amos Klausner alt, als der Staat Israel geboren wurde, und bereits mit 15 ging er allein in den Kibbuz Chulda und wurde zu Amos Oz. Seine Liebe zu diesem seltsamen Biotop Kibbuz, seinen Idealen und seinem menschlichen Panoptikum spiegeln seine frühen Erzählungen wider, die nun unter dem Titel Wo die Schakale heulen in der wunderbaren Übersetzung von Mirjam Pressler erstmals auf Deutsch erschienen sind.

Frühreif. Sehnsucht nach der Jugend, der Jugend Israels und der Jugend seiner Pioniere lösen bei der heutigen Lektüre diese frühreifen literarischen Talentproben des jungen Erzählers aus.

Vieles, das den späteren Meister auszeichnet, ist da bereits spürbar, allen voran sein Verständnis für das Menschliche und allzu Menschliche und seine tiefe Liebe zur Natur.

»Das ganze Volk frisst und säuft und stellt die edelste Vision auf den Kopf.«

Das Heulen der Schakale, das Bedrohliche, Ungezähmte, Unzähmbare, Wilde, fällt nächtens ein, in Jerusalem ebenso wie in die dörfliche Ruhe der Kibbuzim, in ihre Ordnung, die so mühsam aufrechterhalten wird gegen eine feindliche Umwelt. Aber auch diese kleine Welt mit ihren strengen Regeln, ihrem Arbeitsethos und ihrer sozialen Moral ist im Zwischenmenschlichen keine Idylle. Hass und Rache, Leidenschaft und Betrug gibt es wie überall auch, und wer morgens aus welchem Bett steigt, bleibt da niemandem verborgen.

Amos Oz:
Wo die Schakale heulen.
Von Mirjam Pressler ins
Deutsche übertragen. .
Suhrkamp Verlag. 319 S., 22,70 €

Ein Mann verlässt seine Familie und zieht in den spanischen Bürgerkrieg, ein anderer zu einer anderen, einer vergräbt sich in Büchern, während sein Sohn Held werden will und dabei höchst unheldisch zu Tode kommt. Militäreinsätze enden fatal, und der Heldenmythos bekommt bereits die ersten Sprünge.

Manchmal kann man kaum glauben, dass diese Geschichten in den frühen 60er-Jahren geschrieben wurden, so heutig muten etwa die Konflikte zwischen den alten Idealisten und der Jugend an, der sie Hedonismus und Dekadenz vorwerfen. „Das ganze Volk frisst und säuft und stellt die edelste Vision auf den Kopf.“ So wird der enttäuschte Weltverbesserer der Gründergeneration zum einsamen Hasser, dem nur noch der Selbstmord bleibt, der Optimist hingegen glaubt an die Dialektik und an die „dritte Generation“, der „die wunderbare, gesegnete Synthese gelingen wird: Von ihren Eltern erben sie die Spontaneität und von den Alten den Geist.“

Draußen, vor den Toren des Kibbuz, findet Geschichte statt, die Alten lesen abends davon in den Zeitungen, während es drinnen leidenschaftlich menschelt, es glühend heiß oder bitter kalt ist, Stürme toben und die Schakale heulen.

Im Mikrokosmos des Kibbuz hat Amos Oz, wie man erkennen kann, seine Lehrjahre verbracht, mit seinen ersten Erzählungen hat er dort ein bravouröses Gesellenstück geliefert.

 

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