Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde will der Bevölkerung zeigen, wie Juden in Österreich leben, er will Vorurteilen entgegenwirken. Von der EU fordert er ein Gesetz gegen Verhetzung, sagt er im Gespräch mit Margaretha Kopeinig.
wina: Herr Präsident, Ihre Arbeit kennzeichnen zwei zentrale Anliegen: Europa und der Kampf gegen Antisemitismus sowie die Öffnung der Gemeinde. Welche Bilanz ziehen Sie nach einem knappen Jahr an der Spitze der IKG?
Oskar Deutsch: Vor einem Jahr hätte ich mir nicht gedacht, wie stark und spürbar Antisemitismus in verschiedenen EU-Ländern ist. Antisemitismus, zum Teil auch Antizionismus, nehmen zu. Es gibt Antisemitismus im klassischen Sinne, er zeigt sich auch im Schächtverbot in Polen oder durch die immer wiederkehrende Debatte über ein Verbot der Beschneidung. Es gibt auch einen immer stärker werdenden Antisemitismus der radikalen Islamisten. Es ist meine Aufgabe, österreichische und europäische Politiker zu sensibilisieren. Deswegen reiste ich im Juni nach Brüssel, und es wird nicht meine letzte Reise gewesen sein.
wina: Welche Erfahrungen haben Sie in Brüssel gemacht?
OD: Ich habe sehr klar gesehen, dass viele EU-Abgeordnete nicht informiert sind. Es ist jetzt unsere Aufgabe, auch die des European Jewish Congress und anderer jüdischer Organisationen, Informationen zu geben, von der EU aber auch Taten zu verlangen.
wina: Ihnen ist die Öffnung der Gemeinde sehr wichtig. Was ist Ihr Ziel?
OD: Ich möchte der Bevölkerung zeigen, wie Juden in Österreich leben und was wir der österreichischen Gesellschaft anbieten können, um Vorurteilen entgegenzuwirken. Das gelingt uns unter anderem durch Tage der offenen Tür. Im Oktober gibt es wieder einen Tag der offenen Tür im Gemeindezentrum und in der Synagoge. Im letzten Jahr kamen 4.000 Besucher. Wir verstärken auch die Kulturarbeit, nicht nur für Gemeindemitglieder, sondern für alle Österreicher. Jeder ist eingeladen, an unserer Kultur teilzuhaben. Wir wollen auch vermehrt Schulklassen in die Zwi-Perez-Chajes-Schule, die Schule der Kultusgemeinde, einladen.
wina: Wie ist hier das Feedback?
OD: Sehr positiv. Ich habe gesehen, dass unser Angebot, eine offene jüdische Gemeinde zu sein, angenommen wird. Die Menschen sehen, dass das jüdische Wien Teil dieser schönen Stadt ist. Viele haben danach ein anderes Bild von einem Juden. Immer wieder wundern sich Menschen, dass sie in die Synagoge kommen dürfen. Ich sage immer zu den Besuchern, dass sie nicht nur am Tag der offenen Tür eingeladen sind, sondern immer, wenn die Synagoge offen ist. Sie können auch am Schabbat beim Gottesdienst dabei sein. Die Leute sind beeindruckt. Sie sehen, es gibt keinen Unterschied zwischen Juden und Nicht-Juden, der einzige Unterschied ist die Religion. Ich habe das Gefühl, dass viele nicht wissen, was Judentum ist, was ein jüdischer Mensch ist. Es ist höchste Zeit zu erleben, wie wir miteinander sehr, sehr gut auskommen und die Kultur teilen. Dazu gehört auch die Esskultur. Es gibt in Wien einige koschere Restaurants. Viele werden auch von Nicht-Juden besucht. Manchmal stehen vor dem Restaurant in der Seitenstettengasse Leute und fragen: Darf ich hinein? Es ist unsere Aufgabe, diese Schwellenangst abzubauen.
wina: Was ist Ihr Ausblick für das neue Jahr?
OD: Die Öffnung der Gemeinde ist ein permanenter Prozess. Ich möchte die Präsenz der Kultusgemeinde und ihre Aktivitäten in den Medien verstärken. Ich wünsche mir, dass Medien nicht nur Interesse an unseren politischen Aussagen haben, sondern auch an den Aktivitäten der Gemeinde und an dem, was sie zum kulturellen Leben beiträgt.
wina: Kommen wir noch einmal zur EU: Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, und EU-Kommissarin Cecilia Malmström äußerten kürzlich in einem Kommentar für die FAZ: „In vielen Ländern erleben wir derzeit eine Zunahme von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Nationalismus und Hass.“ Jeder fragt sich: Wann folgen Taten der EU?
OD: Wir fordern ein EU-Gesetz gegen Verhetzung. In Österreich haben wir ein Gesetz, in Großbritannien hingegen steht die Freiheit der Rede über dem Tatbestand der Verhetzung. Das geht nicht. Hassreden und Verhetzung dürfen nicht länger erlaubt sein. Auf Österreich bezogen: Es geht einfach nicht, dass FPÖ-Politiker einer Facebook-Plattform angehören, auf der sich rechtsradikale, antisemitische und antimuslimische Postings befinden. Es muss klar sein, dass eine Partei wie die FPÖ nicht an einer Regierung teilnehmen darf.
wina: Das ist eine klare Ansage für Koalitionsverhandlungen nach der Wahl am 29. September. Geben Sie eine Wahlempfehlung ab?
OD: Man soll nur nicht die FPÖ wählen! Das ist meine Wahlempfehlung. Es ist wichtig, die FPÖ aus der Regierung rauszuhalten. Es sind immer dieselben, die durch antisemitische Äußerungen auffallen. Deswegen fordere ich alle Parteien auf, klarzustellen, dass sie mit der FPÖ keine Koalition eingehen werden.