Vierzig Kilo koscheres Essen im Gepäck

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Glühende Zionistin. Bereits mit 13 Jahren entscheidet sich Marianna für die Alija ohne ihre Eltern. Den Schritt hat sie trotz Entbehrungen nie bereut.
Glühende Zionistin. Bereits mit 13 Jahren entscheidet sich Marianna für die Alija ohne ihre Eltern. Den Schritt hat sie trotz Entbehrungen nie bereut.

Seit Oktober letzten Jahres ist Marianna Levtov die Repräsentantin der Jewish Agency in Deutschland. Und bestimmt die jüngste, denn sie war erst 24 Jahre alt, als sie die Stelle in Berlin antrat. Von Manja Altenburg

Marianna kümmert sich um MASA, ein Projekt für Studenten, die nach Israel gehen, und um die Alija. Aber vor allem liegt ihre Hauptaufgabe darin, die jüdische Identität der in Deutschland lebenden jungen Juden zu stärken. Stärkung der Identität von Diasporajuden und Alija? Das ist doch ein Widerspruch? Nein, erwidert Marianna. Denn aus ihrer Sicht (und der Jewish Agency) ist es unmöglich, Alija zu fördern, ohne jüdische Bildung und jüdisches Leben in den Gemeinden der Diaspora zu unterstützen. Marianna hilft also jungen Juden dabei, die Verbindung zu ihren jüdischen Wurzeln wiederherzustellen. Dann erst kommt bei ihr die Alija ins Gespräch. Das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Schließlich geht es dabei um wichtige Entscheidungen, die ein ganzes Leben verändern. Marianna ist sich bewusst, dass sie darauf maßgeblich mit einwirken kann. Darum geht sie behutsam vor. Hinterfragt sich selbst, denkt sich in die Köpfe der anderen hinein und versucht ihre Sichtweisen einzunehmen. Perspektivenwechsel, eine Bewegung, die sie oft vollzieht. Der direkte persönliche Kontakt liegt ihr sehr am Herzen. Ihre Arbeit gleicht von außen einem Drahtsteilakt: Mal ist sie gute Freundin, mal Lehrerin und dann wieder strenge Mentorin. Dabei die Balance zu wahren, fällt nicht immer leicht. Bisher ist es ihr gelungen. Oftmals, so bemerkt sie, ähnle ihr Job auch einer „avodat kodesh“ (heiligen Arbeit); und sie fügt offenherzig hinzu, sie hoffe, „ dass ich für diese Aufgabe erwachsen genug bin“! Wenn man sie erlebt, hat man daran keinen Zweifel: Hier sitzt die richtige Person an der richtigen Stelle. Marianna weiß, wovon sie spricht und vor allem, wie sich Alija anfühlt. Sie selbst machte mit dreizehn Alija. Ganz allein, ohne ihre Eltern. Und das war ihre eigene Entscheidung.

„Ich hoffe, dass ich für diese Aufgabe erwachsen genug bin.“

Das ist es!

Glühende Zionistin. Bereits mit 13 Jahren entscheidet sich Marianna für die Alija ohne ihre Eltern. Den Schritt hat sie trotz Entbehrungen nie bereut. / © Privat1992, Marianna ist 5 Jahre alt, ziehen ihre Eltern von Mariannas Geburtsstadt Murmansk nach Weißrussland. Die schlechte politische Lage zwingt sie dazu. Mariannas Wissen um ihr Judentum beschränkt sich bis zum Alter von 13 Jahren auf Schlagwörter wie Schoa oder gelber Stern, ein paar jiddische Wörter und typisch jüdische Speisen wie Kneidelach. Ihre Urgroßeltern, mit denen sie aufwächst, haben die Schoa überlebt. Jüdischen Alltag gibt es zu Hause nicht. In dem Sinne ist sie, wie sie selbst sagt „ein ganz normales sowje­tisches Mädchen“. Doch weiß sie, dass sie jüdisch ist, und darauf ist sie stolz. Bis heute. Als sie in der Schule von ihrem Ururgroßvater, einem Rabbiner, erzählt, begegnet ihr erstmals offener Antisemitismus. Das erschüttert sie, aber nicht ihre jüdische Identität. Die Erfahrung bestärkt ihre Suche nach ihren Wurzeln. Auf zwei Machanot der Sochnut, Marianna ist 12 Jahre alt, lernt sie Madrichim kennen. Sie kommen aus Israel und berichten viel vom Land, von der Armee, vom Judentum. Sie ist begeistert und weiß ab dem Moment: Das ist es, was ich machen will! Ihre Entscheidung ist gefallen, und Mariannas Eltern legen dem Kind keine Steine in den Weg. Natürlich vermisst sie während der Alija ihre Eltern; auch heute hat sie noch eine enge Bindung zu ihnen. Sie telefonieren fast täglich miteinander.

Drei Jahre lang religiöses Leben

In Israel kommt sie auf eine orthodoxe Schule und lebt drei Jahre lang streng religiös. Das ist alles neu für sie. Schließlich war sie bis dahin ein „normales sowjetisches Mädchen“. Die religiöse Bildung, die sie erhält, hilft ihr heute sehr bei ihrem Job. Nicht nur bei der jüdischen Bildung, auch beim stetigen Perspektivenwechsel. Marianna hat sich bewusst dagegen entschieden, das religiöse Leben weiterzuführen: „Wohlmöglich hätte ich heute zehn Kinder und würde Kopftuch tragen und wäre damit glücklich.“ So schmunzelt sie darüber, wie sie als religiöser Teenager mit 40 Kilo koscherem Essen im Gepäck zu ihren Eltern nach Weißrussland reiste. Heute bezeichnet sie sich als traditionelle Jüdin. Mit 16 macht sie Abitur und arbeitet bis zum Eintritt in die Armee. Hier dient sie als Polizistin in der Altstadt von Jerusalem und wird für Kriegseinsätze ausgezeichnet. Eine Arbeit, die viel Feingefühl und Wissen der Kulturen voraussetzt. Danach studiert sie in Jerusalem internationale Beziehungen, ostasiatische Studien und Chinesisch. Während des Studiums arbeitet sie im zentralen Exekutivbüro der Jisra’el-Beitenu-Partei, als Assistentin der Meretz-Partei in der Knesset und forscht für das Israeli Ministry of Immigrant Absorption and Integration. Hier lernt sie viele persönliche Geschichten verschiedenster Menschen kennen. Fast wie ein Abenteuer.

In ihrem Leben hat sie das Glück, nur von den Besten, wie sie selbst sagt, zu lernen. Abgesehen von der Prägung durch ihre Mentoren, wie Professor Dr. Ze’ev Khanin und Adv. Ronit Bernstein, verändert die Arbeit ihre Wahrnehmung von der Welt und der Wirtschaft.

Im Rahmen ihrer Assistentenstelle kommt sie 2011 nach Wien, 2012 nach München sowie nach Brüssel. Hier sammelt sie praktische Erfahrungen. 2012 beendet sie ihr Masterstudium in European Studies mit Auszeichnung. Noch im selben Monat wird sie Repräsentantin der Jewish Agency in Deutschland in Berlin. Das alles geht nahtlos ineinander über.

Meine Zukunft ist in Israel!

Ein festes und klares Bewusstsein des ganz persönlichen Judentums spielt eine zentrale Rolle in ihrer Arbeit. Dahin möchte sie die jungen Leute, die auf der Suche sind, führen, bevor sie Alija machen. Sie sollen ihren eigenen Weg zum Judentum finden, und zwar einen sicheren, wie sie beteuert. Den hat Marianna für sich gefunden und auch ein Zuhause. Auch wenn sie ihren derzeitigen Job liebt und die vielen Reisen quer durch die Republik, die damit verbunden sind, so weiß sie tief im Herzen, dass ihre Zukunft nur an einem Platz der Erde sein kann: in Israel.

Zur Person

Marianna Levtov, geboren 1987 in Murmansk, macht mit 13 Jahren ohne ihre Eltern Alija. Nach der Schule dient sie in der Armee und studiert in Jerusalem internationale Beziehungen, ostasiatische Studien und Chinesisch. Während und nach ihrem Masterstudium arbeitet sie bei politischen Parteien und in der Knesset. Seit 2012 ist sie Repräsentantin der Jewish Agency in Deutschland in Berlin.

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