Vom globalen Ticken

Unter den Gründern bekannter Schweizer Uhrenproduzenten finden sich zahlreiche Juden, oft aus Frankreich zugewandert.

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Achille Ditesheim gründete 1881 eine Werkstatt zur Fertigung von Taschenuhren. 1905 wurde Movado ( heißt auf Esperanto immer in Bewegung) dann als Firmenname registriert. ©www.movadogroup.com
Ardath. 1895 eröffnete Moise Dreyfuss seine Fabrik in der Schweizer Stadt La Chaux-de-Fonds im Kanton Neuchâtel. Heute sind goldene Ardaths feine Sammlerstücke.

Heute ist die goldene Ardath ein feines Sammlerstück. Sie zeigt gebläute Zeiger auf einem silbernen Zifferblatt, geschwungene, innen liegende Ziffern, weiter außen einen Kranz winziger Zahlen, die sich mit dem großen Sekundenzeiger des Stoppmechanismus nutzen lassen.
Für Henry Halpert war die Ardath ein alltägliches Arbeitsinstrument. Erst in Budapest, später in Wien, stoppte er damit die Aushärtung von Zahnabdrücken seiner Patienten. Ob er wusste, dass die Uhr aus den 1930er-Jahren aus der Produktion einer jüdischen Familie in der französischen Schweiz stammte, ist nicht überliefert.
Im Jahr 1895 eröffnete Moise Dreyfuss seine Fabrik in der Schweizer Stadt La Chaux-de-Fonds im Kanton Neuchâtel. Seine Ardaths exportierte er bald nach ganz Europa, doch die Marke wurde in den 1960er-Jahren stillgelegt. Die Familie Dreyfuss besitzt über ihre Holding aber nach wie vor die in 35 Ländern der Welt verkaufte Uhrenmarke Rotary. Der Firmensitz liegt in Neuchâtel, aber am bekanntesten ist diese Brand in Großbritannien. Ihre stoßfesten Zeitmesser wurden ab 1940 sogar zur Standardausstattung der British Army erkoren.
Wie kamen Juden in die Schweiz und in die Uhrenbranche? Stefanie Mahrer, Historikerin an der Uni Bern, hat sich in ihrer Dissertation mit diesen Fragen beschäftigt. Ursprünglich hatte die Schweiz ein sehr striktes Regime gegen die Zuwanderung von Juden, nur gelegentlich brachten etwa Missernten jüdische Elsässer dazu, es mit dem Risiko einer baldigen Ausweisung doch zu wagen. 1866 erlaubte dann eine Verfassungsänderung sowohl Residenz wie auch Gewerbefreiheit für Juden, und deren Erfolgsgeschichte und Aufstieg konnte beginnen.
Ironischerweise hatte eine schwere Exportkrise der Schweizer Uhrenbranche daran einen nicht unwesentlichen Anteil. Die Lieferungen teurer handgemachter Uhren in die USA war in den 1870er-Jahren dramatisch eingebrochen, amerikanische Fabrikanten konnten billiger produzieren. Die traditionellen, alteingesessenen christlichen Uhrmacher wollten dennoch ihre Produktionsmethoden nicht ändern. Juden, relativ neu im Geschäft, zeigten sich deutlich flexibler und entwickelten eine neue, arbeitsteilige Fertigung. Im Zentrum stand der Établisseur, der die Uhr zusammenbaute, rundum bildete sich ein Netz von spezialisierten Zulieferern für Teile und Baugruppen, später ganze Werke. Die Grundlagen dafür waren im damals ländlichen La Chaux-de-Fonds gelegt worden, um an die strikt regulierten, teuren Uhrmacher der Genfer Zünfte Zahnräder, Schrauben und Federn zu verkaufen.
Die Branche erholte sich dank der jüdischen Unternehmer rasch. „Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es in La Chaux-de-Fonds 20 Uhrenmanufakturen, 17 davon befanden sich in Besitz jüdischer Familien“, erläutert die Historikerin Mahrer. Damit gelang den jüdischen Entrepreneurs auch der gesellschaftliche Aufstieg ins regionale Bürgertum, die Emanzipation.
Wer waren nun diese Unternehmer, und wie hießen ihre Erzeugnisse? Zu den ersten Gründern gehörten die Brüder Marc und Emmanuel Didisheim mit ihrer Firma Marvin. Verwandte von ihnen gründeten weitere Produktionen mit den Markennamen Juvenia und Vulcain. Durch Heiraten verband sich die Familie später auch mit den Eberhards und Blums.

»Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es in La Chaux-de-Fonds 20 Uhrenmanufakturen, 17 davon befanden sich in Besitz jüdischer Familien.«
Stefanie Mahrer

Theodor Schwob war in La Chaux-de-Fonds Pferdehändler gewesen und begann später, Uhren herzustellen. Sein Schwiegersohn hatte zuerst für Zenith gearbeitet und gründete dann die Uhrenfirma Tavannes, später Cyma. Ein anderer Zweig der Ditesheims gründete die Uhrenfirma L.A.I. Ditesheim, dann Movado Ditesheim. Nathan George Howitt, ein amerikanischer Industriedesigner und Bauhaus-Jünger, entwarf für das Unternehmen die so genannte Museum Watch, die später vom New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt wurde. Eugène Blum wiederum etablierte mit seiner Frau Alice Lévy eine Manufaktur, die Anfangsbuchstaben ihrer beider Namen ergaben den Markennamen Ebel.
Auch in Biel waren jüdische Gründer aktiv, etwa die Familie Antman mit ihrer Antima Watch Company, Siegmund Liebmann mit Liema oder Goschler & Cie. mit ihrer Urania. Manche dieser Firmen wuchsen sehr schnell. So zählte Léon Lévy et Frères in Biel schon im Jahr 1886 mehr als 700 Beschäftigte, ihre Marke nannte sich Pierce. In Solothurn wiederum entstand eine Manufaktur, die ihre Produkte als Roamer Watch Co. vermarktete.
Laut der Historikerin Mahrer hatten die jüdischen Unternehmer mit ihrer Ini­tiative die Schweizer Uhrenbranche vor dem drohenden Untergang gerettet. Doch was passierte mit ihren Firmen später? Die meisten gibt es heute nicht mehr, die schwere Krise, die durch die elektronischen Quarzuhren ausgelöst wurde, überlebten viele nicht. Ebel gehörte einige Jahre zum Luxuskonzern LVMH (Louis Vuitton Moët Hennessy), 2004 wurde das Unternehmen an die US-Gruppe Movado verkauft. Zwei Uhrenmarken im unteren Luxussegment befinden sich nach wie vor in jüdischem Familienbesitz: Rotary/Dreyfuss sowie Raymond Weil. Bei letzterer hat im Jahr 2014 der Enkel des Firmengründers Raymond Weil, Elie Bernheim, den Chefsessel von seinem Vater Olivier Bernheim übernommen.
Die ehrwürdige Ardath, die schon in Budapest und Wien im medizinischen Einsatz stand, ist auch heute noch zu schade für den finsteren Dauerschlaf im Safe. Sie gehört getragen und wird es auch. Dann tickt die alte Dame vernehmlich vor sich hin, nach mehr als 80 Jahren immer noch recht zuverlässig.


©Reinhard Engel

Wohlstand und Frömmigkeit
Die Schweizer Uhrenfabrikanten bauten auch würdige Gotteshäuser.
1884 wurde der Grundstein für eines der größten und schönsten jüdischen Gotteshäuser der Schweiz gelegt. Die Synagoge von La Chaux-de-Fonds mit ihrer mächtigen Kuppel und einer Mischung aus romanischen und byzantinischen Elementen symbolisierte sowohl ökonomische Erfolge wie Gläubigkeit der jüdischen Unternehmer der Region. Errichtet wurde sie vom Architekten Ludwig Lévy.
Schon einige Jahre davor hatten die jüdischen Bürger von Biel ihre – etwas bescheidenere – Synagoge bauen lassen. Diese wurde inzwischen mehrmals renoviert und zeigt Glasfenster des israelischen Künstlers Bob (Robert) Nechin.

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