
Für die Soldaten mit besagten Schläfenlocken gibt es in den einschlägigen Geschäften schwarze Gummibänder, mit denen das lange Haar unter dem Helm zusammengebunden werden kann. Und auch T-Shirts in Armeegrün mit angenähten Zizijot, den traditionellen Gebetfransen, kann man dort erstehen. Sie sollen das Anziehen unter der Uniform vereinfachen. Doch ansonsten fehlen noch viele Lösungen. Der alte Zwist zwischen den ultraorthodoxen Juden, die traditionell vom Militärdienst befreit waren, und dem Rest der jüdischen Bevölkerung, die nach dem zwei bis drei Jahre langen Pflichtdienst auch noch Reservedienst zu leisten hat, ist nun durch die Last dieses langen Krieges noch mehr entflammt. Die Regierung jongliert mit halbherzigen Hilfslösungen zwischen der Forderung auf Fairness und Gleichheit für alle Familien, den Anforderungen des Krieges und den Drohungen der strengreligiösen Parteien, die Regierung platzen zu lassen, falls ein Gesetz zur Einberufung ihrer jungen Männer implementiert wird.
Aber zwischen diesen Fronten gibt es noch einige andere Stimmen: „Nach dem 7. Oktober habe ich beschlossen, zur Zawa zu gehen und unser Zuhause zu bewachen. Wenn nicht das Massaker gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich nicht eingerückt“, erklärt Mosh in einem Fernsehinterview. Mosh ist aus der religiösen Gemeinde in Kfar Chabad, wo die meisten jungen Männer mehr oder weniger intensiv in der Jeshiva lernen, anstatt den Militärdienst zu absolvieren. Er ist der Einzige in seiner Altersgruppe, der zur Armee will. Doch er versucht, seine Entscheidung nicht allzu publik zu machen, um sich nicht der Kritik und den Verurteilungen der Rabbiner und der anderen Familien auszusetzen. Aber nachdem in seiner Gemeinde nicht ferngesehen wird, scheint so ein TV-Interview nicht riskant für ihn zu sein.
Auch Mendel, in schwarzem Sakko, mit Schläfenlocken und Hut, stellt sich dem Interview: „Mein Umdenken kam mit dem Riss in der Gesellschaft, den ich im letzten Jahr beobachten konnte, mit dem enormen Schmerz und den Tränen der Mütter und Frauen, die ihre Söhne und Ehemänner in diesem Krieg verloren haben. Und da geht es nicht nur um Mütter, die um ihre Kinder weinen, da leidet das ganze Land.“ Er kommt aus der streng religiösen Admor-Gemeinde in Bnei Brak. Dort ist man besonders vehement gegen den Militärdienst. Seine Familie hat aber trotz seines für sie sehr radikalen Entschlusses einzurücken den Kontakt mit Mendel nicht, wie befürchtet, abgebrochen. Er selbst steht voll zu seiner Entscheidung: „Als ich gesehen habe, dass es diese neue Einheit gibt, die unter der Aufsicht des Rabbinats steht, habe ich verstanden, dass das genau der richtige Platz für mich ist. Stellen wir uns das vor: Mendel wird Soldat und kämpft in Gaza!“, meint er lachend: „Das ist großartig, das ist eine große Sache!“

Ich habe einen Bruder, der für dich kämpft,
seine Familie und seine Arbeit für ein ganzes Jahr verlässt.
Es ist ein heldenhaftes Volk mit einem goldenen Herz.
Mit erhobener Fahne laufe ich in den Kampf.
Liedertext von Mendel R.
Eine neue Brigade soll die unterschiedlichen Interessen einen. Sowohl für ihn als auch für Mosch war entscheidend, dass im Jordantal die streng religiöse HashmonaimBrigade entsteht. Mit einigen Synagogen, einer Mikwe und streng koscherem Essen soll es die renovierte und erweiterte Basis den charedischen Soldaten ermöglichen, ihren Dienst auszuüben, ohne die religiösen Vorschriften und Gesetze zu verletzen. Die strenge Aufsicht über Kleidung, Lebensstil und Kaschrut soll die Befürchtungen der Rabbiner, dass die jungen Männer durch den Armeedienst „verweltlicht“ werden, entkräften. Die Hoffnung ist, dass jetzt auch die radikaleren unter den religiösen Führern einsehen werden, dass dafür keine Gefahr besteht. Das Tragen der schwarzen Kippa ist auf der Basis Pflicht, und nur „koschere“ Handys mit gefiltertem Internet sind erlaubt. Frauen sind nicht zugelassen, ausgenommen der hochgestellten Offizierinnen, die an der Ausbildung der Rekruten beteiligt sind. In der ersten Phase sollen dort 200 Männer ausgebildet werde, doch für die kommenden Jahre werden weitaus größere Zahlen erwartet.
VERÄNDERTE VORAUSSETZUNGEN
Noch Gründervater David BenGurion hatte entschieden, dass für Jeshiva-Studenten der Armeedienst nicht obligatorisch ist. Was damals bei der Staatsgründung vernachlässigbar war, wurde zu einem großen
Konflikt und schuf zwei Klassen im Staat: jene, die ihre Zeit und manchmal auch ihr Leben für den Staat
geben, und jene, die währenddessen bei ihren Familien bleiben und weiter Thora lernen dürfen. 2012 entschied der oberste Gerichtshof, dass die Befreiung der Talmud-Schüler vom Militärdienst verfassungswidrig ist. 2024 verfügte der Oberste Gerichtshof die Wehrdienstpflicht für die Ultraorthodoxen.
Aber wie sollen aus Jeshiva-Studenten, die noch nie an einer Turnstunde teilgenommen haben, fähige Soldaten werden? Keine leichte Aufgabe für den IDF, den Israelischen Wehrdienst, der die Aufnahme und Eingliederung dieser neuen Bevölkerungsgruppe bewältigen müsste, wenn der Plan zur Rekrutierung von tausenden Strengreligiösen aufgeht. Denn während die säkularen Jugendlichen schon Jahre vor ihrer Einberufung Ausdauer- und Krafttraining für die Armee machen, gibt es bei den Charedim tendenziell nicht viel Körperbewusstsein, und der Fitnessgrad lässt meist zu wünschen übrig.
„Ich bin in meinem Leben nicht gelaufen, habe nie geturnt, bin noch nie im Meer geschwommen, noch nie Rad gefahren … Ich hoffe, dass sie uns in der Armee in Form bringen, aber da werden sie schwer arbeiten müssen“, seufzt Mendel, während er sich bei seinem nun täglichen Workout im Park an einer Stange hochzieht und dabei auch seine Bauchmuskel trainiert: „Bei uns in der Jeshiva gibt es dafür nur die Stangen in der Dusche“, witzelt er. Mendel ist mit 33 einer der älteren zukünftigen Soldaten. Er hat sich einer Gruppe zur Vorbereitung auf die Armee angeschlossen und fragt sich täglich, wie er die physisch fordernde Grundausbildung überstehen wird.
In seinem Umfeld gilt Mendel als kluger Kopf, bei dem jüngere Studenten öfters Rat suchen. Vielleicht hat seine Initiative einen Einfluss auf die anderen jungen Männer in seiner Gemeinde. Aber der Weg zur Gleichstellung, was den Armeedienst betrifft, ist noch lang und voller Hindernisse. Der neue Gesetzesentwurf von Verteidigungsminister Israel Katz wird nun von beiden Lagern vehement kritisiert. Katz hatte eine stufenweise Rekrutierung vorgeschlagen, bei der bis 2032 nur insgesamt fünfzig Prozent der wehrpflichtigen Charedim eingezogen würden. Damit wäre der Bedarf des IDF nach mindestens 10.000 zusätzlichen Soldaten pro Jahr bei Weitem nicht gedeckt. Auch der „Rückstau“ von insgesamt etwa 60.000 Strengreligiösen im wehrpflichtigen Alter wird damit in keiner Weise berücksichtigt.
„Nach dem 7. Oktober habe ich beschlossen,
zur Zawa zu gehen und unser Zuhause zu bewachen.
Wenn nicht das Massaker gewesen wäre, wäre
ich wahrscheinlich nicht eingerückt.“
Mosh aus Kfar Chabad
Die meisten der Reservisten müssen nun schon zum vierten oder fünften Mal ihre Familien und Jobs verlassen und werden für Monate eingezogen. Viele von ihnen sind schon über ein Jahr durchgehend in der Armee. Damit werden die strengreligiösen Juden in Israel immer mehr zu einer Art privilegierten Klasse. Nun demonstrieren einerseits die religiösen Gruppierungen vehement gegen die Einberufung, die ihrem Weltbild nicht entspricht, und verbrennen provokant ihre Einberufungsbefehle, während die säkularen Israelis auf die Barrikaden steigen, weil sie die Bürde nicht mehr weiter allein tragen wollen. Eine Aktivistin verlangte in einer Knesset-Sitzung zynisch auch „einen Nachlass von 50 Prozent“ für den bevorstehenden Reservedienst ihres Mannes: „Dann könnte er dieses Jahr wenigstens an den Feiertagen, zu Purim und zu Pessach, zuhause bei den Kindern sein.“
„Für mich ist das das Größte, das ich in meinem bisherigen Leben getan habe!“, gefällt sich der Jeshiva-Student Mendel in der Aufgabe des Vorreiters, der so eine bahnbrechende historische Änderung mitträgt: „Das wird viele Menschen hier im Land berühren, und wir werden die Bürde gemeinsam tragen.“
Er steuert aufgeregt und erwartungsvoll auf seine neue Rolle als Soldat zu. Aber er hat auch viele Ängste und Bedenken, wie es dort auf der Basis sein wird: „Du kommst dort ja ganz allein an“, sinniert er. „Aber zum Schluss wird alles gut sein, mit G-ttes Hilfe.“
Bleibt abzuwarten, ob das Konzept der neuen Militärbasis aufgeht und wirklich viele andere dem Beispiel von Mendel und Mosh folgen werden.