Von der Mutter zur Ima und dem Recht auf Enkel

Keine einfachen Geschichten sammelt Gisela Dachs zum Thema jüdische Familie

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Familie. Herausgegeben von Gisela Dachs im Auftrag des Leo Baeck Instituts Jerusalem. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 178 S., € 18,50

Familiengeschichten, das klingt nach Eltern und Kindern, Wärme und Liebe. Denkt man an jüdische Familiengeschichten mag auch noch anderes mitschwingen: Krieg, Verlust und Vertreibung einerseits, Traditionen, Humor und Witze andererseits.

„Wenn wir uns mit einem emotional, politisch und historisch so aufgeladenen Thema wie der jüdischen Familie befassen, dürfen wir keine einfachen Geschichten erwarten“, schreibt Gisela Dachs im Vorwort zu ihrem Almanach Familie. Wie schon davor in ihren Anthologien derselben Reihe, etwa zu Themen Alter, Sport oder Musik, ist die in Israel lebende deutsche Publizistin bei ihrer Auswahl mit viel Sensibilität für das große Thema vorgegangen.

Israel und die Diaspora. Familiengeheimnisse, Tabus, Lebenslügen, Kindheitserinnerungen und Traumata, Familienidyllen, Kinderwunsch und Identitätssuche zwischen Israel und der Diaspora kommen in den gar nicht fiktiven, sondern sehr echten und selbst erlebten Geschichten zur Sprache.

Begriffe wie etwa COS (Children of Survivors) oder Angaben einiger Websites, die Nachkommen von Holocaust-Überlebenden bei der weltweiten Suche nach etwaigen Verwandten helfen, der jüdische „Genealogietourismus“, der die Enkelgeneration in entlegenste Orte treibt, verweisen auf den langen Schatten der Vergangenheit in jüdischen Familien. Wie Kinder aus Täterfamilien mit diesem Erbe umgehen, beleuchtet die andere Seite dieser Vergangenheit.

„Wenn wir uns mit einem emotional,
politisch und historisch so aufgeladenen Thema
wie der jüdischen Familie befassen,

dürfen wir keine einfachen Geschichten erwarten.“
Gisela Dachs

Das Aufwachsen in Kinderhäusern der Kibbuzim und wie es erlebt wurde, ist hingegen ebenso spezifisch israelisch wie das auch gesetzlich verankerte Menschenrecht auf Nachwuchs, das in Israel zu einer weltweit einzigartigen Offenheit für die medizinischen Möglichkeiten der Reproduktion geführt hat. Warum orthodoxe Frauen sich eher mit „nicht jüdischen“ Samen befruchten lassen, warum Eltern gefallener Soldaten die Spermien ihrer Söhne einfrieren lassen dürfen (es gibt offenbar auch ein Recht auf Enkel), das sind schon sehr spezielle Familienfragen.

Die Alija, also den Aufstieg einer Österreicherin von einer Mutter zur „Ima“, offenkundig ein „Zauberwort“, beschreibt Anita Aviv-Horiner, die auch den Unterschied zwischen einer riesigen sephardischen Verwandtschaft und der eigenen aschkenasischen Kleinfamilie selbst erlebt hat.

„Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit.“ Dieses Zitat von Karl Kraus fällt einer jungen Frau anlässlich der allzu heftigen Umklammerung ihrer Verwandten ein. Man liest’s und staunt also gar nicht mehr besonders über die eigene Mischpoche.

 

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