In diesem Sommer ist ein trauriger Rekord aufgestellt worden. So viele Menschen wie nie sind in Israel ertrunken. Insgesamt 49, darunter dreizehn Kinder unter zehn. Weitere 152 Notfälle mussten im Krankenhaus behandelt werden. Wer dabei sofort an die Wellen und Strömungen im schönen Mittelmeer denkt, erfasst die Lage aber nicht wirklich. Denn vom Meer geht der Statistik nach die geringere Gefahr aus. Die meisten Tragödien ereigneten sich in privaten oder öffentlichen Schwimmbädern. Wieso aber dieser plötzliche Anstieg, fragte man sich – und bekam die Antwort: digitale Abhängigkeit.

In einer landesweiten Kampagne wird jetzt Eltern eindringlich nahegelegt, ihre Kinder beim Plantschen nicht aus den Augen zu lassen, soll heißen: das Handy ganz beiseite zu legen. Eine 27-jährige Bademeisterin in einem Jerusalemer Hotel ist gerade wegen fahrlässiger Tötung eines Mädchens angeklagt worden. Sie soll mit ihrem Smartphone zugange gewesen sein, als die Kleine mit ihrem Leben rang.

Es sieht so aus, als gebe es eine riesige Kluft zwischen dem, wie die Israelis sich selbst sehen, und wie ihre Lebensrealität mit Daten von aussen gemessen wird.

Handysucht mit fatalen Folgen – das gibt es gewiss woanders auch. Aber vielleicht hat man in Europa, wo es ja diesen Sommer auch sehr lange unerträglich heiß war und eine außergewöhnlich lange Badesaison gab, nur den Zusammenhang noch nicht hergestellt.

Sicher ist bloß, dass die Bade- und Sommerferienzeit hier trotzdem viel länger andauert, was den digitalen Konsum natürlich auch bei den Kindern steigert.

Ab der 7. Klasse haben sie zehn Wochen lang keinen Unterricht, und weil die Feiertage in diesem Jahr so früh beginnen, dauert es nach dem Schulanfang im September genau eine Woche und dann haben sie schon wieder Ferien, mehr oder weniger durchgehend bis zum Oktober.

Wer in den großen Ferien keinen Urlaub gemacht hat, tut es dann eben spätestens zu Sukkot. Beliebte Ziele waren und sind die Wüste, Galiläa und alles, was nicht Israel ist. Über die andauernde Faszination von „Chul“, dem Ausland schlechthin, ließe sich ein ganzes Buch schreiben. Das beginnt mit dem Gefühl von Freiheit vom Alltag, das nur in der Ferne so richtig aufkommen mag (auch wenn man am Smartphone schon weiterverfolgt, was in Israel los ist), geht dann weiter über das Shoppen in diversen europäischen Großstädten (mittlerweile sogar in Warschau und Krakau, dank der Direktflüge von Ryanair) und endet fast immer mit einer Wut über die Preise zuhause, wo alles so unendlich viel teurer ist.

Das mit den Preisen stimmt. Aber nicht alles ist woanders besser, möchte man den ewig Unzufriedenen zuflüstern. Erstens war es auf dem Alten Kontinent in diesem Sommer streckenweise sogar heißer als hier, wobei man dort die Temperaturen ohne Klimaanlagen aushalten musste. Zweitens gibt es zweifellos ganz wunderbare Strände etwa in Griechenland, aber wer in Tel Aviv aufgewachsen ist, für den hält sich die Begeisterung meist doch in Grenzen. (So viele Steine, wo ist der feine Sand?) Und drittens schmecken Kaffee und Salate hier inzwischen viel besser als an den meisten Orten in Europa. Dieses Augenmaß sollte man sich schon bewahren.

Was uns zum weltweiten alljährlich veröffentlichten Glücklichkeitsindex bringt. Dieser Bericht stützt sich auf Daten des Gallup World Poll und misst seit 2012 insgesamt vierzehn Schlüsselbereiche in Bezug auf Lebensqualität. Dabei geht es um Einkommen, Lebenserwartung, soziales Umfeld, Freiheit, Vertrauen und Großzügigkeit. In den letzten drei Jahren hat sich Israel hartnäckig an 11. Stelle behauptet – vor Österreich (12), Deutschland (15), den USA (18), England (19) und Frankreich (23). Das erstaunt hier immer wieder aufs Neue.

Die meisten Tragödien ereigneten sich in privaten oder öffentlichen Schwimmbädern. Wieso aber dieser plötzliche Anstieg, fragte man sich – und bekam die Antwort: digitale Abhängigkeit.

Das gute Abschneiden Israels führt in der Regel zu Skepsis: Man fragt sich verwundert, was denn so glücklich machen würde in diesem Land mit überteuerten Wohnungen, einer katastrophalen geopolitischen Lage und weitläufiger Korruption. Oder man stellt gerne gleich die ganze Methode der Datenerhebung in Frage. Dennoch sieht es so aus, als gebe es eine riesige Kluft zwischen dem, wie die Israelis sich selbst sehen, und wie ihre Lebensrealität mit Daten von außen gemessen wird.

Ja es gibt eine wachsende Wohlstandskluft, einen überteuerten Wohnungsbau und einen Streit darüber, wie sich die vorhandenen Ressourcen besser verteilen ließen. Trotz aller Kritik gibt es aber eine stabile Wirtschaftslage, eine hohe Lebenserwartung, eine Gesundheitsversorgung, die in Wirklichkeit viel besser ist als ihr Ruf, und eng gestrickte soziale und familiäre Netzwerke, die ein Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit vermitteln. Erstaunlich bleibt die Tatsache, dass in einer so polarisierten Gesellschaft aber ausgerechnet auch Werte wie Großzügigkeit und Freiheit gut abschneiden –jedenfalls im Vergleich mit anderen Ländern.

Fest steht: Israel lässt sich nur schwer messen und ist nicht leicht zu erfassen. Das wird sich auch im nächsten Jahr nicht ändern. In diesem Sinne: Shana Tova! 

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