Von Pak bis Shanghai

Das Leben des Ignaz Trebitsch, der sich später auch Timothy Trebich-Lincoln, dann wieder Moses Pinkeles und zuletzt sogar Chao Kung nannte, könnte filmreifer nicht sein. Versuch einer kurzen Lebensgeschichte.

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Ignaz „Timothy“ Trebich Lincoln, 1879 in Budapest geboren, hatte so viele Namen wie Gesichter und Berufe. © Scherl / SZ-Photo / picturedesk.com

Es gibt Lebensgeschichten, die so unglaublich ablaufen, dass sie kopfschüttelnd als viel zu unwahrscheinlich abgetan werden. Wenn sie dann auch noch gewürzt sind mit allerlei erfolgreichen kriminellen Handlungen, werden sie dem Reich der Übertreibung und Fantasie zugerechnet. Und dennoch gibt es sie.

Schon beim Namen Moses Pinkeles muss man lächeln: Ignaz Timothy Trebich-Lincoln hatte viele Pseudonyme, denn für all die Stationen und Vorhaben seines Lebens konnte ein Name allein nicht reichen. Seine Geschichte beginnt am 4. April 1879 in Paks, einer kleinen, 120 Kilometer südlich von Budapest gelegenen Stadt. Seine Familie war wohlhabend, der Vater ein Getreidehändler und die Mutter eine entfernte Verwandte der Rothschilds. Die Familie hatte drei Söhne. Ignaz lernte in einer Jeschiwa und ging in eine ausgezeichnete säkulare Schule, wo er Französisch und Deutsch lernte. Sprachen, die er bereits mit zehn Jahren fließend sprach.

Nach der Schule strebte Ignaz eine Kariere als Schauspieler an und besuchte die beste Schauspielschule in Budapest. Zu dieser Zeit verlor sein Vater bei Börsenspekulationen den Großteil seines Vermögens. Um das verlorene Geld zu kompensieren, begann Ignaz, Uhren zu stehlen. Er beendete sein Schauspielstudium und startete eine Weltreise, die bis zu seinem Tod nicht mehr endete. Um sich finanziell über Wasser zu halten, schrieb er Reisegeschichten für ungarische Zeitungen über Südamerika. Allerdings hielt er sich dort niemals auf.

1898 ließ sich Ignaz taufen und zog im Jahr darauf nach London. Dort lebte er bei einer christlichen Mission, die von einem ebenfalls getauften Juden namens Lipschitz geführt wurde. Sein Leben als Christ begann etwas unglücklich, nachdem er eine Uhr von Frau Lipschitz stahl und erwischt wurde. Er floh daraufhin nach Deutschland, wo er zum Priester geweiht wurde. In dieser neuen Berufung begab er sich auf eine Reise nach Kanada, wo er als Missionar für die irische presbyterianische Mission arbeitete.

Ignaz „Timothy“ Trebich-Lincoln an Bord der „Empress of Russia“, um mit weiteren buddhistischen Mönchen am Bodenseee ein Kloster zu gründen. © Scherl / SZ-Photo / picturedesk.com

Trebitsch war sehr erfolgreich in seiner Tätigkeit, bei der er anderen Juden das Evangelium beibrachte. Es dauerte aber nicht lange, und er zerstritt sich mit seinen Vorgesetzten. Aus Trotz schloss er sich der anglikanischen Kirche an und begeisterte in seinen inspirierenden Predigten zahlreiche Gläubige. Doch schon 1903 kehrt er aus unbekannten Gründen wieder nach England zurück, wo ihn der Erzbischof von Canterbury zum Pfarrer einer Gemeinde in der Grafschaft Kent ernannte. Dort gab es kaum Juden, die konvertieren wollten, und so beendete Trebitsch diese Tätigkeit sehr bald wieder, um neue Aufgaben zu suchen.

 

Trebitsch schrieb ein Buch über öffentliche Ordnung,
das später zu
einer zentralen Referenz
für die liberale
Partei Englands wurde.

 

Während seiner vielen Reisen durch Großbritannien lernte er auf einer Zugfahrt Benjamin Seebohm Rowntree kennen, einen erfolgreichen Schokoladenhersteller, der später seine politische Karriere finanzierte. Trebitsch begann sich nun für Politik zu interessieren und strebte eine Karriere im Parlament an. Rowntree machte ihn zu seinem Privatsekretär und schickte ihn auf das europäische Festland, um über Armut zu forschen.

Trebitsch schrieb für Rowntree ein Buch über öffentliche Ordnung, das später zu einer zentralen Referenz für die liberale Partei Englands wurde. Zu dieser Zeit änderte er auch seinen Namen in Timothy Trebich-Lincoln. Er wählte den Zusatznahmen Lincoln aus Bewunderung für den amerikanischen Präsenten, der für ihn ein großes Vorbild war.

1910, sieben Jahre nach seiner Priestertätigkeit, wurde „Timothy“ zum „Liberal Member“ für den Bezirk Darlington in das House of Commons des englischen Parlaments gewählt.

Ignaz Trebitsch hatte die Fähigkeit, jede Ideologie oder religiöse Weltanschauung mit der Leidenschaft eines Missionars zu vertreten und zu fördern, große Menschenmengen anzuziehen und sie zu leichtfertigen Handlungen zu veranlassen, etwa, ihm ihr Geld zu übergeben.

Bernard Wasserstein beschreibt in seinem Buch The Secret Lives of Trebitsch Lincoln (1988, Yale University Press) das Leben dieses außergewöhnlichen Menschen. Ohne die aufwendige Recherche von Wasserstein wären die vielen Leben des Ignaz Trebtisch Lincoln gänzlich in Vergessenheit geraten.

Als Parlamentsabgeordneter baute sich Timothy Trebich-Lincoln gute Kontakte auf, die ihm halfen, in die ganz großen Geschäfte einzusteigen. Damals spekulierten viele mit Ölaktien, und so begab er sich nach Südosteuropa, wo Öl gefunden worden war. Er gründete das Anglo-Austrian Petroleum Syndikat und erzählte seinen Geldgebern über hervorragend laufende Geschäfte. Doch das stimmte alles nicht, und er machte Bankrott. Durch diesen Skandal verlor er auch seinen Sitz im Parlament.

Anfang 1911 stand er vor dem existenziellen Aus, hatte überall Schulden, keinen Job und eine Familie mit vier Kindern. Verzweiflung war für Trebitsch aber keine Option, und so stieg er nun richtig ins Ölgeschäft ein, indem er seine besten Kontakte nutzte und Investoren zu den Ölfeldern in Galizien und Rumänien brachte, die bereitwillig investierten. Er gründete eine Aktienfirma, trieb noch mehr Geld auf, verhandelte, überzeugte und reiste – bis er wieder bankrottging.

Inzwischen brach der Erste Weltkrieg aus, und Trebitsch nahm eine schlecht bezahlte Arbeit als Zensor deutscher Briefe an. Da er sich dabei unterfordert fühlte, bot er dem englischen Geheimdienst an, Doppelagent zu werden. Diese Karriere scheiterte bald daran, dass er keine interessanten Informationen liefern konnte. Seine finanzielle Situation wurde immer prekärer. Mit Scheckbetrug versuchte er seine Situation zu ändern, wurde deshalb bald polizeilich gesucht und setzte sich 1915 in die USA ab. Seine Frau ließ er mit den Schulden zurück.

In den USA setzte Trebitsch die Scheckbetrügereien fort und schrieb ein Buch, in dem er behauptete, britische Kriegsgeheimnisse aufzudecken. All das, während er weiterhin Schulden anhäufte. Auf Druck von Scotland Yard, ihn auszuliefern, wurde er in den USA festgenommen. Um sich einfallsreich aus dieser Schlinge zu ziehen, bot Trebitsch den USA an, Staatsgeheimnisse auszuplaudern, diesmal Deutsche. Anfänglich glaubten ihm die amerikanischen Behörden und gaben ihm sogar Druck der Auslieferung durch die Briten wurde zu groß, und so wurde Trebich-Lincoln in New York festgenommen und in ein Gefängnis in Brooklyn gebracht. Aus diesem gelang ihm kurzzeitig ein Ausbruch, bald darauf wurde er jedoch wieder festgenommen und diesmal sofort an die Briten ausgeliefert. In England wurde er 1916 zu drei Jahren Haft wegen Fälschung verurteilt. Während seines Gefängnisaufenthaltes entwickelte er einen rachsüchtigen Hass gegen alles Britische, der von nun an sein Leben dominieren sollte.

Kaum entlassen, ging er nach Deutschland, wo er sich 1920 reaktionären Kreisen anschloss, um die Weimarer Republik zu stürzen. Der Putsch war aber nicht erfolgreich, und Trebitsch, der für die Putschisten als Pressesprecher fungierte, wurde in Berlin erneut festgenommen. Es wundert nicht, dass ihm auch Kontakte zu Adolf Hitler und Miklós Horthy, damaliges antisemitisches Staatsoberhaupt Ungarns, nachgesagt wurden. Bemerkenswert, weil er damals unter dem Alias Moses Pinkeles lebte.

Noch Ende 1932 trat Chao Kung, wie sich Trebitsch nun nannte, in Berlin auf, um über den Buddhismus zu referieren. © Scherl / SZ-Photo / picturedesk.com

Auch in Berlin brach er aus dem Gefängnis aus und flüchtete nach Ungarn. Diesmal nahm er einen Koffer voller Dokumente mit, die die rechten politischen Strömungen Deutschlands inkriminierten, und bot sie vergeblich den britischen und französischen Geheimdiensten an.

Wenig verwunderlich, kam Trebitsch in Ungarn abermals in Konflikt mit dem Gesetz und musste sich absetzen. Er beschloss als nächsten Racheakt gegen das britische Imperium, China in eine Militärmacht zu verwandeln, die es Indien ermöglichen sollte, die Briten von dort zu vertreiben.

Mit dieser neuen Idee vor Augen schiffte er sich 1922 mit falschen Papieren nach China ein. Dort angekommen, schloss er sich der Bürgerkriegsarmee unter General Wu Pei Fu an. In den folgenden Jahren half Trebich-Lincoln den Japanern von China aus bei ihrem Kampf, die Mandschurei zu erobern, und trug damit gleichzeitig dazu bei, dass die britische Vormachtstellung in Asien zusammenbrach.

1931 beschloss Trebich-Lincoln, dass es an der Zeit war, seinen Glauben und die religiösen Aspekte seines Lebens wiederzubeleben. Also wurde er zum buddhistischen Mönch ordiniert und änderte seinen Namen in Chao Kung. Er übernahm, ganz seinem Charakter folgend, auch jetzt wieder eine Führungsrolle.

Nach der Gründung eines Klosters und einer Sekte übernahm er, wie schon Jahre zuvor als Priester, wieder missionarische Aufgaben und reiste nach Europa. Wie er das alles finanziert hat, ist nicht bekannt. Gerüchteweise wird angenommen, dass er durch seine Geheimdiensttätigkeit zu Geld kam.

 

Sein letztes Interview gab Ignaz Trebitsch Lincoln
einer jüdischen Exilzeitung in Shanghai,
der er von seiner Idee eines Tel Aviv
im Miniaturformat erzählte.

 

Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs suchte Trebitsch Kontakt zu einem NSBeamten und bot seine Dienste an. Doch das Angebot wurde von Reinhard Heydrich, dem Leiter des NS-Reichssicherheitshauptamts, aufgrund der jüdischen Herkunft Trebitschs abgelehnt. Nach dem Tod des damaligen Dalai Lama versuchte der damals bereits 60-Jährige, Heinrich Himmler davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee wäre, ihn zu seinem Nachfolger zu ernennen. Im Gegensatz zu den Nazis waren die Briten und die Tibeter nicht begeistert von der Idee, und Trebitsch schaffte es nie nach Tibet.

Unermüdlich ging es für ihn in Shanghai weiter mit neuen hochtrabenden Ideen. Vor dem Hintergrund der Massenmorde durch die Nationalsozialisten schrieb er einen Brief an Hitler, in dem er die Beendigung der Ermordung von Juden forderte. Als Reaktion darauf befahl das Nazi-Kommando seine japanischen Verbündeten, nachdem diese 1937 Shanghai erobert hatten, Trebitsch hinzurichten. Zu dieser Zeit war er in Shanghai jedoch eine wichtige intellektuelle Persönlichkeit, die buddhistische Studiensitzungen und Riten beaufsichtigte, und so verhallte die Forderung der Nazis, ihn zu töten. Ignaz Trebich-Lincoln hatte schon früh seine Nähe zum Judentum aufgegeben. Umso erstaunlicher ist es, dass im Jahr 1943 ein Interview in der jiddisch-russisch-englischen Wochenzeitung Lebn erschien, die von den jüdischen Flüchtlingen in Shanghai herausgegeben wurde.

In diesem letzten Interview beschreibt der Reporter den in Mönchsgewändern gekleideten Ignaz Trebich-Lincoln als gelassenen Menschen. Trebitsch nutzte die Gelegenheit, die ihm dieses Gespräch bot, um seine Ansichten zu jüdischen Themen zu erklären. Obwohl er vehement gegen den Zionismus war, hatte er seinen eigenen Plan zur Lösung der jüdischen Flüchtlingsprobleme und der Obdachlosigkeit in Shanghai. Seine Lösung sah vor, die jüdischen Flüchtlinge auf buddhistischem Territorium in der Nähe von Shanghai anzusiedeln und dort eine Modellsiedlung zu bauen: ein Tel Aviv im Miniaturformat.

Ignaz Trebitsch-Lincoln starb am 7. Oktober 1943.

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